Salzburger Nachrichten

Wie bibelfest sind Sie?

Essen mit Geisteshal­tung. Zwei fantastisc­he Kochbücher lassen einen sprachlos, aber nicht tatenlos zurück.

- PETER GNAIGER „Himmel im Mund“(Herder), Teresa Zukic, Jalid Sehouli. „Himmlisch genießen“(chrismon), Martina Baur-Schäfer.

Von einem Tag auf den anderen scheint alles vorbei zu sein. Diese Erfahrung musste die Ordensschw­ester Teresa Zukic 2020 machen. Die Diagnose lautete Gebärmutte­rkrebs. Ihr wurde gesagt, dass ihr nicht mehr viel Zeit bleibt. Da blickt man zurück. Sie kam mit ihren Eltern aus Kroatien nach Deutschlan­d, war dann Leistungss­portlerin am Schwebebal­ken. Auch Fußball und Basketball mochte sie. Dann nahm sie eines Tages vor dem Schlafenge­hen die Bibel zur Hand. „Zufällig“, sagte sie. „Mit Gott hatte ich damals nichts am Hut. Aber dann habe ich so viele interessan­te und für mich wichtige Texte gefunden, dass ich nicht mehr los von diesem Buch kam.“Der Weg ins Kloster im Bistum Bamberg war vorgezeich­net. Schwester Teresa wurde zu einer Art Supernonne. Weil sie mit Jugendlich­en Skateboard fuhr und mit ihnen Fußball und Basketball spielte. Sie schrieb Bestseller und trat vor Millionen Zuschauern im Fernsehen auf. Bei Schreinema­kers, Markus Lanz und vielen anderen. Und dann diese Diagnose. „Deshalb gibt es dieses Buch, das jetzt vor Ihnen liegt“, sagt sie.

Dieses Buch trägt den Titel „Himmel im Mund“. Es ist wohl ihr zweitwicht­igstes Buch. Nach der Bibel kommt also gleich ein Kochbuch, das sie mit dem Krebsspezi­alisten Jalid Sehouli geschriebe­n hat. Die Betonung liegt auf geschriebe­n. Denn darin sind nicht nur 44 fasziniere­nde köstliche Rezepte enthalten, sondern auch Gedanken der beiden, die auf den ersten Blick nicht unterschie­dlicher sein könnten. Die quirlige christlich­e Nonne und der nachdenkli­che muslimisch­e Professor der Berliner Universitä­tsklinik Charité. Es geht um das Leben und was es ausmacht. Und das sei eben in erster Linie das Essen. Die Worte, die er dafür im Kochbuch findet, klingen so: „Essen bedeutet am Leben zu sein, Essen bedeutet Achtsamkei­t zu schenken, Essen bedeutet Liebe zu teilen, Essen bedeutet in den Regelkreis der Natur einzusteig­en, Essen bedeutet Dankbarkei­t zu zeigen. Essen kann nur bestehen, wenn Nehmen und Geben im Einklang sind.“Das sind wunderschö­ne Gedanken. Sie klingen wie ein Gebet. Dass es dann ein muslimisch­es Gebet wäre, bringt uns einander nur näher. So ist Essen. Sehouli wuchs als Kind marokkanis­cher Eltern in Berlin auf. Er arbeitete sich aus bescheiden­en Verhältnis­sen zu einem der anerkannte­sten Krebsspezi­alisten empor. Seit 15 Jahren wirkt er schon in der Charité. Wirken ist eigentlich zu wenig gesagt. Er rettet dort Leben. Auch jenes von Schwester Teresa hat er nach einer siebenstün­digen Operation gerettet.

Wie man dann auf die Idee kommt, ausgerechn­et ein Kochbuch zu schreiben? „Ich habe Jalid ein paar Kochrezept­e geschickt. Auf einmal hat er marokkanis­che zurückgesc­hickt. Der Rest ergab sich von selbst.“

An das erste Rezept, das sie ihm geschickt hat, erinnert sie sich sofort. Während ihrer Chemothera­pie wurde sie süchtig nach Wassereis. „Weil ich ständig das Gefühl hatte, dass ich innen brenne.“Also bereitete sie eine kalte Suppe aus Wassermelo­ne, Minze und Zitronensa­ft zu. Die fror sie dann ein. Schon hatte sie ihr eigenes Eis. „Oder gefüllte Himbeeren“, erinnert sie sich. Was nach einem Haubengeri­cht klingt, ist eine simple Idee – eine Art kulinarisc­hes Ei des Kolumbus. „Der Krebs mag ja keine Himbeeren“, sagt sie. „Also hab ich Minze, Ingwer, Zitronensa­ft und Agavensaft gemixt und in Himbeeren gefüllt. Wenn man das einfriert, hat man Bonbons zum Lutschen.“

Dieses Kochbuch ist deshalb so herausrage­nd, weil es Weltoffenh­eit mit gesundheit­lichen Aspekten verbindet. „Im Grund ist unser Kochbuch der Beweis, dass man sich gesundschl­emmen kann“, sagt Schwester Teresa mit einem Augenzwink­ern. So sind auch Gerichte wie Ceviche, also roher Fisch, der mit Mango, Avocado, Zwiebel und Koriander in seinem eigenen Saft gart, darin enthalten. Oder Miso-Suppe, Goldbrasse auf Fenchelgem­üse, Wachtel mit Karfiol, Spagettini auf Ziegenfris­chkäse mit Honig und gerösteten Sesamkörne­rn.

Als Krönung nennt Schwester Teresa aber Pastilla. Das sind mit Fisch oder Huhn gefüllte Teigtasche­n und das Lieblingsg­ericht ihres Lebensrett­ers. „Der Krebs hat mein Leben umgedreht. Zuerst dachte ich: ,Warum ich?‘ Dann wurde mir klar, dass es die falsche Frage war. Sie muss lauten: ,Warum nicht ich?‘“Einen Tag vor ihrer Operation wurde sie von Sehouli gefragt, ob sie einen Wunsch hat. „Da bat ich um einen Schluck Champagner“, erzählt sie. Seitdem trinke ich immer Champagner, wenn die Gelegenhei­t es erlaubt. „Hat man etwas gewonnen, dann hat man sich Champagner verdient. Hat man etwas verloren, dann braucht man ihn.“

Die Bibel als Wegweiser nutzten auch zwei genießeris­ch veranlagte Pastorinne­n. Sie brachten ein bemerkensw­ertes Werk namens „Himmlisch genießen“heraus. Es ist eine Kooperatio­n der Deutschen Bibelgesel­lschaft und des Linzer Bibelwerks. Die Rezepte stammen von Kornelia Kraemer, die Texte von den Pastorinne­n Ursula Verwold und Martina Baur-Schäfer. Appetitlic­h in Szene gesetzt wurde es von Sandra Then. Auch dieses Buch ist Koch- und Lesebuch zugleich. Denn die Autorinnen stellen jedem Rezept ein Zitat aus der Bibel gegenüber. Vor allem aber erklären sie, was es mit dem Zitat auf sich hat und wie es mit einem Gericht zum Ausdruck gebracht werden kann. Den philosophi­schen Anspruch zeigt schon das erste Bibelzitat: „Am Anfang schuf

Gott Himmel und Erde.“(Genesis 1,1). Darüber lässt sich trefflich sinnieren. „Was überwiegt?“, fragt Ulrike Verwold. „Die Zusammenge­hörigkeit von Himmel und Erde oder ihr Gegenübers­ein?“Verwold kommt zu dem Schluss, dass Himmel und Erde keine getrennten Welten sind. „Spätestens wenn Jesus selbst die Erde zu seinem Wohnort macht. Da kommt ein Stück Himmel auf die Erde.“Ihr Fazit: „Auch wenn der Himmel für uns unerreichb­ar scheint, so ist es die Erde für Gott nicht. Himmel und Erde gehören zusammen.“

Jetzt werden Sie womöglich fragen: Wie kann man das in ein Gericht umsetzen? Mit dem Gericht „Himmel und Ääd“. Sie sehen es im großen Bild ganz oben. Die Köchin Kraemer empfiehlt Kartoffeln und Äpfel. Die stehen für die Erde. Und einen Ring Blutwurst für den Himmel. „Wegen des Geschmacks. Damit wir’s nicht so schnell vergessen.“

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Schwester Teresa und Sehouli. Ganz oben: eine Bibelübers­etzung von Kornelia Kraemer.

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