Werden die USA grün?
Der Ukraine-Krieg macht nachdenklich. Der Ausbau der erneuerbaren Energien könnte zur nationalen Sicherheit beitragen.
In Amerika ist der Einsatz von erneuerbaren Energien ein äußerst umstrittenes Thema. Von Klimawandelleugnern über Tier- und Landschaftsschützer bis hin zu einflussreichen Politikern decken deren Gegner so ziemlich jedes Spektrum der Gesellschaft ab. In der Politik sind es vor allem die Republikaner, die auf die Beibehaltung und sogar den Ausbau der fossilen Energien drängen – immerhin leben viele ihrer Wähler in Bundesstaaten mit großen Öl- und Gasindustrien.
Doch der Krieg in der Ukraine könnte für ein Umdenken sorgen. Er machte klar, dass Energieunabhängigkeit erheblich zur nationalen Sicherheit eines jeden Landes beiträgt. Die Abhängigkeit der Europäischen Union und in deutlich geringerem Umfang auch der USA von russischem Gas und Öl ist eine Warnung.
„Genug ist genug! Nach Jahrzehnten, in denen die USA in tödliche Konflikte rund um das Öl involviert waren, ist es Zeit, unsere strategische Planung zu ändern und die Sicherung von sauberen Energieträgern für uns selbst, unsere Verbündeten und den Rest der Welt in den Vordergrund zu stellen“, schrieb der ehemalige US-Navy-Admiral Dennis McGinn kürzlich in einem Kommentar für die renommierte PolitikWebsite „The Hill“.
Er hält das Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin für nicht überraschend. Auch die Diktatoren im Iran, in Saudi-Arabien, im Irak und in Venezuela „verdanken ihre Stärke allein den fossilen Rohstoffen innerhalb ihrer Grenzen und unserer Abhängigkeit davon“. Die ukrainische Bevölkerung sei nur das jüngste Opfer, dem diese globale Abhängigkeit zum Verhängnis werde.
Millionen Menschen sind seit Beginn der russischen Invasion aus der Ukraine geflohen. Russische Raketen treffen nicht nur militärische Ziele, sondern verwüsten auch Städte. Die Bilder von Tod und Zerstörung erschüttern den Großteil der Welt. Doch indirekt finanzieren die USA, die EU und alle anderen Importeure von russischer Kohle, Gas und Öl diesen Krieg. Im Jahr 2021 verzeichnete das russische Finanzministerium aufgrund der gestiegenen Öl- und Gaspreise einen Exportumsatz von 119 Milliarden US-Dollar und damit 51 Prozent mehr als erwartet. Diese moralisch nur schwer vertretbare Situation führte zu Forderungen, einen sofortigen Importstopp gegen russische Energieträger zu verhängen. Zu Beginn des Monats verkündete der US-Präsident Joe Biden, dass die USA alle Ölimporte aus Russland mit sofortiger Wirkung einstellen würden. Die Europäische Union machte klar, dass sie ihre Abhängigkeit von russischem Öl und Gas und Kohle phasenweise abbauen wolle.
Zwar verfügen die USA im Gegensatz zu Europa über reichlich eigene Vorkommen fossiler Energieträger. Trotzdem wird es nicht möglich sein, den Verlust von russischen Energieimporten auszugleichen. „Putins Krieg tut amerikanischen Familien schon jetzt an der Zapfsäule weh. Ich werde alles tun, um Putins Preiserhöhungen zu minimieren“, betonte Biden. Dass dieses Vorhaben nur schwierig zu realisieren ist, erklärte James Glynn, ein Forscher am Zentrum für globale Energiepolitik in New York, im Gespräch mit den SN.
Selbst wenn die USA ihre Ölproduktion erhöhen sollten, müsste das Land weiterhin importieren. Und der Spritpreis richtet sich nach dem globalen Ölpreis, nicht nach der heimischen Produktion. „Das sind externe Faktoren, die nichts mit unserem Markt zu tun haben“, betont Glynn. Fazit: Der Weg zur Unabhängigkeit kann nur über den Ausbau erneuerbarer Energien führen. Derzeit machen sie nur zwölf Prozent des US-Energiemixes aus, doch die Biden-Administration will das ändern.
„Der Fokus des Präsidenten liegt darauf, mehr saubere Energiequellen an das Stromnetz zu bringen. Solche, die nicht auf fossilen Brennstoffen basieren und nicht auf einem globalen Markt gehandelt werden, der anfällig ist, von Schurken missbraucht zu werden“, schrieb Jen Psaki, die Sprecherin des Weißen Hauses, auf Twitter.
Nicht nur die Regierung in Washington setzt auf erneuerbare Energien, auch fast die Hälfte aller US-Bundesstaaten will die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verringern. In Hawaii, Kalifornien und auch dem ölreichen Texas steigt der Marktanteil der erneuerbaren Energien stetig an.
Laut der gemeinnützigen Organisation Clean Energy States Alliance existieren in mindestens 20 Bundesstaaten sowie in der Hauptstadt Washington und auf Puerto Rico mittlerweile Gesetze oder Dekrete, die eine vollständige Transformation des Stromnetzes hin zu sauberer Energie vorsehen. Kalifornien, das in der Umwelt- und Klimapolitik oft die Vorreiterrolle in den USA einnimmt, will erneut mit gutem Beispiel vorangehen. So sieht der Budgetentwurf des demokratischen Gouverneurs Gavin Newsom Investitionen in Höhe von acht Milliarden Dollar für Projekte in den Bereichen saubere Energien und für Elektrofahrzeuge vor. Kalifornien ist schon jetzt der größte Erzeuger von Solarstrom und Biomasse. Außerdem:
„Wir sind der erste Bundesstaat, der spätestens ab 2035 keine herkömmlichen
Verbrennungsmotoren mehr verkaufen wird“, betonte Newsom zu Jahresbeginn. Kalifornien ist ein Schwergewicht. Der westlichste US-Bundesstaat liegt gemessen an seinem Bruttonationalprodukt weltweit hinter den USA, China, Japan und Deutschland auf Platz fünf.
Die drei großen amerikanischen Autohersteller aus Detroit – Ford, General Motors und Chrysler – schwenken ebenfalls um. Sie wollen ihre Fahrzeugflotten in den kommenden Jahren auf Stromantrieb umstellen und investieren in großem Ausmaß. Ford kündigte 2021 an, mehr als elf Milliarden Dollar in neue Batterie- und Fertigungsfabriken in Tennessee und Kentucky zu stecken.
In Südkalifornien gibt es Pläne für den Abbau des wichtigen Batterierohstoffs Lithium. Das Gebiet in der kalifornischen Wüste wird als Lithium Valley angepriesen und könnte bis zu 40 Prozent des globalen Bedarfs decken. Doch auch Elektroautos sind nur wirklich grün, wenn der Strom, mit dem sie aufgeladen werden, aus erneuerbaren Energien stammt. Auch wenn eine vollständige Transformation des amerikanischen Energienetzes ein langwieriges und kostspieliges Projekt ist, dient die nationale Sicherheit als Ansporn, die Energiewende schneller als geplant zu vollenden. „Erneuerbare Energien sind heimisch. Sie sind sicher. Und sie sind vielfältig, das heißt, es gibt nicht nur einen oder eine Handvoll Anbieter, sondern eine Vielzahl von Anbietern im gesamten Land“, sagte Glynn. Und: „Diese Vielfältigkeit trägt zur nationalen Sicherheit bei.“