Haben Sie schon Rage Fatigue?
Ich bin heut ein bisserl angefressen. Während ich das hier schreibe, denke ich nämlich an den gerade vergangenen 8. März: Weltfrauentag oder – wenn man will – Feministischer Kampftag. Ich will weder das eine noch das andere, sondern einfach meine Ruhe. Ich hab da einen Haufen Rabattcodes bekommen für Produkte, die ich wollen soll, weil ich eine Frau bin, und die ich kaufen soll, damit ich den Männern gefall. Was ich dagegen nicht gekriegt hab: gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit, eine faire Aufteilung der Fürsorgearbeit, Bücher von Frauen im literarischen Kanon, Geld für weibliche Forschung, Sicherheit im öffentlichen Raum, ein Auto, dessen Sicherheitskonzept auf meinen Körper zugeschnitten ist, damit ich einen Unfall auch überleb und nicht nur der Mann, Ärzte, die meine Symptome als Herzinfarkt erkennen und nicht sagen, dass ich mich „nicht so anstellen“soll. Ich stell mich an, ich bin wütend und gleichzeitig resigniert.
Ich hab nämlich RAGE FATIGUE. Es gibt ja für jedes Gefühl den passenden fremdsprachlichen Begriff, und bitte sehr, das ist meiner: Rage Fatigue bedeutet, dass man den Eindruck hat, im Strudel der strukturellen Ungerechtigkeiten unterzugehen, je mehr man sich dagegen auflehnt. Ist man nämlich erst einmal so weit, die Diskriminierung zu erkennen, sieht man sie auf einmal überall. Dann kann man nicht mehr zurück in die selige Unwissenheit. Sie brauchen Rage Fatigue nicht zu googeln, das ist so neu, das kennt noch nicht mal das Internet, bisher hat man es ja eher mit dem deutschen Kunstwort „mütend“versucht, aber das ist mir zu lieb. Ich bin also froh, dass ich benennen kann, wie es mir geht. Weniger schön find ich, dass ich Rage Fatigue hab, das ist, als würd ich vor Erschöpfung ausgeknockt auf dem Boden liegen, aber mit Rumpelstilzchen-Puls. Ich bemüh mich ja, ehrlich, das tu ich. Ich nutz meine Reichweite, um „women zu supporten“, schreib gesellschaftskritische Romane, ich geh auf Bühnen, ich les und lern, ich merk mir Zahlen und Fakten, ich formulier die Ungerechtigkeiten in jedes Mikro, das mir unter die Nase gehalten wird. Ich red mit meiner Tochter und meinem Sohn über diese Themen, ich leb ihnen Gleichberechtigung im Alltag vor, ich erklär und zitier und widersprech. Doch das ist aufreibend und aussichtslos, denn das System ist so viel stärker. Das Patriarchat schaut sich meine Bemühungen an, saugt die Energie auf, die ich in meinen Widerstand steck, grinst mich an, dreht sich um und macht weiter, als wär nix gewesen. Dass es nur gemeinsam geht, wissen wir eh alle. Deswegen wünsch ich mir radikale Ehrlichkeit und Zusammenhalt. Ich will Mütter, die einander die Wahrheit sagen, statt zu behaupten, das Kind schlafe immer durch, und Regenbogenkuchen zu servieren. Ich will Frauen, die erkennen, dass es ein schlauer Trick ist, uns glauben zu lassen, wir wären einander die schlimmsten Feindinnen. Ich will Männer, die begreifen, dass es nicht darum geht, ihnen was abzubeißen, sondern dass sie selber genauso unter dem System leiden. Ich will intersektionalen Feminismus und eine Neubewertung der Care-Arbeit als wirtschaftsrelevanten Faktor, und ein Besinnen auf die tiefgehende Verbundenheit unter Frauen will ich auch. Wenn wir diese Kraft nutzen lernen, können wir schaffen, was Männer seit Jahrtausenden durch ihre Seilschaften erreichen. Oder ich bin dann wenigstens nicht mehr die Einzige, die Rage Fatigue hat.