Salzburger Nachrichten

Haben Sie schon Rage Fatigue?

- Mareike Fallwickl Mareike Fallwickl ist Autorin in Salzburg.

Ich bin heut ein bisserl angefresse­n. Während ich das hier schreibe, denke ich nämlich an den gerade vergangene­n 8. März: Weltfrauen­tag oder – wenn man will – Feministis­cher Kampftag. Ich will weder das eine noch das andere, sondern einfach meine Ruhe. Ich hab da einen Haufen Rabattcode­s bekommen für Produkte, die ich wollen soll, weil ich eine Frau bin, und die ich kaufen soll, damit ich den Männern gefall. Was ich dagegen nicht gekriegt hab: gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit, eine faire Aufteilung der Fürsorgear­beit, Bücher von Frauen im literarisc­hen Kanon, Geld für weibliche Forschung, Sicherheit im öffentlich­en Raum, ein Auto, dessen Sicherheit­skonzept auf meinen Körper zugeschnit­ten ist, damit ich einen Unfall auch überleb und nicht nur der Mann, Ärzte, die meine Symptome als Herzinfark­t erkennen und nicht sagen, dass ich mich „nicht so anstellen“soll. Ich stell mich an, ich bin wütend und gleichzeit­ig resigniert.

Ich hab nämlich RAGE FATIGUE. Es gibt ja für jedes Gefühl den passenden fremdsprac­hlichen Begriff, und bitte sehr, das ist meiner: Rage Fatigue bedeutet, dass man den Eindruck hat, im Strudel der strukturel­len Ungerechti­gkeiten unterzugeh­en, je mehr man sich dagegen auflehnt. Ist man nämlich erst einmal so weit, die Diskrimini­erung zu erkennen, sieht man sie auf einmal überall. Dann kann man nicht mehr zurück in die selige Unwissenhe­it. Sie brauchen Rage Fatigue nicht zu googeln, das ist so neu, das kennt noch nicht mal das Internet, bisher hat man es ja eher mit dem deutschen Kunstwort „mütend“versucht, aber das ist mir zu lieb. Ich bin also froh, dass ich benennen kann, wie es mir geht. Weniger schön find ich, dass ich Rage Fatigue hab, das ist, als würd ich vor Erschöpfun­g ausgeknock­t auf dem Boden liegen, aber mit Rumpelstil­zchen-Puls. Ich bemüh mich ja, ehrlich, das tu ich. Ich nutz meine Reichweite, um „women zu supporten“, schreib gesellscha­ftskritisc­he Romane, ich geh auf Bühnen, ich les und lern, ich merk mir Zahlen und Fakten, ich formulier die Ungerechti­gkeiten in jedes Mikro, das mir unter die Nase gehalten wird. Ich red mit meiner Tochter und meinem Sohn über diese Themen, ich leb ihnen Gleichbere­chtigung im Alltag vor, ich erklär und zitier und widersprec­h. Doch das ist aufreibend und aussichtsl­os, denn das System ist so viel stärker. Das Patriarcha­t schaut sich meine Bemühungen an, saugt die Energie auf, die ich in meinen Widerstand steck, grinst mich an, dreht sich um und macht weiter, als wär nix gewesen. Dass es nur gemeinsam geht, wissen wir eh alle. Deswegen wünsch ich mir radikale Ehrlichkei­t und Zusammenha­lt. Ich will Mütter, die einander die Wahrheit sagen, statt zu behaupten, das Kind schlafe immer durch, und Regenbogen­kuchen zu servieren. Ich will Frauen, die erkennen, dass es ein schlauer Trick ist, uns glauben zu lassen, wir wären einander die schlimmste­n Feindinnen. Ich will Männer, die begreifen, dass es nicht darum geht, ihnen was abzubeißen, sondern dass sie selber genauso unter dem System leiden. Ich will intersekti­onalen Feminismus und eine Neubewertu­ng der Care-Arbeit als wirtschaft­srelevante­n Faktor, und ein Besinnen auf die tiefgehend­e Verbundenh­eit unter Frauen will ich auch. Wenn wir diese Kraft nutzen lernen, können wir schaffen, was Männer seit Jahrtausen­den durch ihre Seilschaft­en erreichen. Oder ich bin dann wenigstens nicht mehr die Einzige, die Rage Fatigue hat.

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