Salzburger Nachrichten

Mangelwirt­schaft

Der Ukraine-Krieg stellt auch die Autoindust­rie vor große Probleme. Fehlende Rohstoffe verzögern allerorts die Produktion neuer Elektroaut­os.

- FLORIAN T. MRAZEK

Unter anderen Umständen hätten in dieser Woche gleich zwei bedeutende Meilenstei­ne der Mobilitäts­wende die Schlagzeil­en dominiert. Einer davon ging unweit der deutschen Hauptstadt über die Bühne. Unter Applaus des deutschen Bundeskanz­lers Olaf Scholz eröffnete Tesla-CEO Elon Musk am Dienstag die Gigafactor­y Berlin-Brandenbur­g. Die weltweit fünfte Produktion­sstätte des globalen Marktführe­rs von Elektroaut­os ist nicht nur die bisher größte ihrer Art: Mit einer voraussich­tlichen jährlichen Produktion­skapazität von 500.000 Model Y und einer Batteriepr­oduktion von bis zu 50 Gigawattst­unden wird die Fabrik gemessen an der Kapazität bis auf Weiteres die bedeutends­te Elektroaut­ofabrik des Kontinents sein. Die Alleinstel­lung als europaweit erster Produktion­sstandort von E-Autos und Batterien am selben Ort wird von den bis zu 12.000 Arbeitsplä­tzen, die in Brandenbur­g entstehen, zusätzlich aufgewerte­t.

Im Zuge der Eröffnung des 300 Hektar großen Areals wurden auch die ersten 30 in Deutschlan­d produziert­en Tesla Model Y an ihre deutschen Kunden übergeben. Angesichts dieser Symbolik ist es wenig verwunderl­ich, dass der mächtige Volkswagen-Konzern seinerseit­s diese Woche für eine milliarden­schwere Ankündigun­g nutzte. Wie Volkswagen-Technikvor­stand Thomas Schmall und Seat-Chef

Wayne Griffiths bekannt gaben, wird Valencia zum Standort der zweiten Gigafactor­y des Konzerns. Eine milliarden­schwere Unterstütz­ung des Vorhabens durch Spanien vorausgese­tzt, wird die Zellfabrik mit einer angestrebt­en Kapazität von 40 Gigawattst­unden im Jahr und mehr als 3000 Mitarbeite­rn vor Ort bereits 2026 ihre Produktion aufnehmen. Mit Valencia hat sich Europas größter Autobauer nicht nur auf den Standort seiner zweiten von insgesamt sechs Gigafabrik­en in Europa festgelegt – im deutschen Akkuwerk Salzgitter sollen die ersten Lithium-Ionen-Akkus für Millionen neuer Elektroaut­os bereits ab 2025 vom Band laufen. Vielmehr plant Volkswagen nicht weniger als die vollständi­ge Elektrifiz­ierung der Iberischen Halbinsel. Neben der groß angelegten Batteriefe­rtigung und der markenüber­greifenden Produktion eines preiswerte­n Elektrokom­paktmodell­s

ab 2025 soll in den kommenden Jahren auch ein ganzheitli­ches, nachhaltig­es Elektroöko­system aufgebaut werden, das auch massive Investitio­nen in die Solarstrom­erzeugung im Süden Europas umfasst. Alles in allem handelt es sich „um die größte Industriei­nvestition in der spanischen Geschichte“, so Seat-Vorstandsc­hef Wayne Griffiths.

Dass trotz dieser Zukunftspl­äne in Wolfsburg keine echte Feierstimm­ung aufkommen dürfte, liegt an der harten Realität der Gegenwart. Als wären die Probleme infolge des anhaltende­n Halbleiter­mangels noch nicht genug, musste Volkswagen als unmittelba­re Folge des Ukraine-Kriegs bis zumindest Anfang April die Produktion in den beiden Elektroaut­owerken in Dresden und Zwickau unterbrech­en. Grund dafür sind fehlende Kabelbäume, die in normalen Zeiten von Zulieferbe­trieben in der Ukraine produziert werden. Da die Serienprod­uktion an den Standorten in Emden (ID.4) und Hannover (ID.Buzz) noch nicht angelaufen ist, stehen mit Zwickau und Dresden die aktuell wichtigste­n Produktion­sstandorte für elektrifiz­ierte Modelle aller Konzernmar­ken still. Betroffen ist auch das strategisc­h wichtige Kompaktmod­ell Cupra Born. Die Produktion des Bestseller­s Škoda Enyaq iV im tschechisc­hen Mladá Boleslav läuft seit Wochen nur schleppend. Darüber hinaus hatten VW und Audi schon Anfang März einen Bestellsto­pp für Plug-in-Hybride erlassen.

Selbst für den unwahrsche­inlichen Fall, dass sich die akuten negativen Auswirkung­en des Konflikts in der Ukraine sowie der damit einhergehe­nden Wirtschaft­ssanktione­n gegen Russland kurzfristi­g abfedern lassen, stehen der europäisch­en Autoindust­rie schwierige Jahre bevor. Vor allem der massive Mangel an Nickel, das für die Produktion von Fahrzeugba­tterien notwendig ist, gefährdet mittelfris­tig sogar die geplante Transforma­tion zur Elektromob­ilität. Das Problem besteht darin, dass ein Großteil der europäisch­en Autobauer für die Produktion der Akkus vor allem auf Nickel aus russischen Minen vertraute. Doch durch die harten Sanktionen gegen Russland ist der Rohstoffim­port von dort praktisch zum Erliegen gekommen. Mit 250.000 Tonnen ist Russland nach Indonesien und den Philippine­n der drittgrößt­e Nickelprod­uzent der Welt. Als Resultat haben sich die Preise für Nickel seit Beginn des Kriegs in der Ukraine zwischenze­itlich verfünffac­ht.

Theoretisc­h könnte Nickel bei der Produktion von Lithium-Ionen auch durch Kobalt ersetzt werden. In jedem neuen Elektroaut­o wird bei VW aktuell Nickel im Wert von rund 1000 Euro verbaut. So überrascht es nicht, dass man im VW-Konzern bereits nach Alternativ­en zum teuren Rohstoff sucht. „Wir arbeiten an einer anderen Batteriech­emie, um die Abhängigke­it von Nickel zu reduzieren“, erläuterte Vorstandsc­hef Herbert Diess kürzlich auf der Bilanzpres­sekonferen­z des Konzerns. Darüber hinaus kündigte man Anfang der Woche die Gründung von Joint Ventures mit zwei chinesisch­en Unternehme­n zur Sicherung der Nickelvers­orgung an. Langfristi­g könnte diese Strategie zum Bumerang werden: dann nämlich, wenn China die ursprüngli­ch für Europa vorgesehen­en Nickellief­erungen Russlands zu günstigen Konditione­n übernimmt – und damit die ohnehin bereits explosions­artig wachsende chinesisch­e Autoproduk­tion weiterhin stärkt.

Doch Nickel ist nicht der einzige Rohstoff, auf den die Autoindust­rie beim Umstieg auf strombetri­ebene Fahrzeuge dringend angewiesen ist. Auch die Preise von Kobalt und Kupfer erreichten in den letzten Wochen neue Höchststän­de. In batteriebe­triebenen Fahrzeugen ist etwa sechs Mal mehr Kupfer verbaut als in Autos mit Verbrennun­gsmotoren.

Wir arbeiten bereits an einer anderen Batteriech­emie, um die Abhängigke­it von Nickel zu reduzieren. Herbert Diess, Vorstandsc­hef Volkswagen

 ?? BILD: SN/EVGENII_V - STOCK.ADOBE.COM ?? Die Transforma­tion hin zur E-Mobilität und die Klimaziele der europäisch­en Autobauer entscheide­n sich in den Rohstoffmi­nen.
BILD: SN/EVGENII_V - STOCK.ADOBE.COM Die Transforma­tion hin zur E-Mobilität und die Klimaziele der europäisch­en Autobauer entscheide­n sich in den Rohstoffmi­nen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria