Wer fährt mit den Öffis?
Die Schweiz ist anders. Bei unseren Nachbarn fahren alle mit Bus, Bahn oder Tram – egal aus welcher sozialer Schicht. Das hat mit dem erstklassig ausgebauten Netz zu tun und damit, dass die Nutzung des öffentlichen Verkehrs ein Ding der Normalität ist.
Zumindest in Deutschland ist das nicht so. Dort setze auf Bus und Bahn, wer keine andere Wahl habe, meinte der Berliner Verkehrsforscher Andreas Knie. Geringverdiener haben seltener eine Alternative. Es sind Zwangsnutzer. Sie sind überrepräsentiert.
Eine differenzierteres Bild ergab eine Studie aus einem anderen Blickwinkel, wie der „Spiegel“kürzlich berichtete. Das Heidelberger Markt- und Sozialforschungsinstitut Sinus teilt die Gesellschaft in zehn Milieus. Es sind „Gruppen Gleichgesinnter“in ähnlicher sozialer Lage und mit ähnlicher Einstellung. Und da ergab eine Befragung von 3107 Personen , dass die „Prekären“– beschrieben als „die um Orientierung und Teilhabe bemühte Unterschicht“am wenigsten von Öffis halten und sie auch am wenigsten nutzen. Zu den Muffeln zählen übrigens auch „Traditionelle“und „bürgerliche Mitte“.
Am liebsten sitzen die „Expeditiven“(auch als Hipster bekannt) und „Hedonisten“in den Öffis. Das sind zwei vorwiegend städtische Milieus, die zwar nicht zu den Topverdienern zählen, aber sehr modern und gesellschaftlichem Wandel gegenüber sehr offen eingestellt sind. Es ist eine klimapolitische Avantgarde, denn die Umwelt ist der Hauptgrund für ihre Entscheidung.
Nun gibt es in den Städten üblicherweise ein besseres ÖV-Angebot als auf dem Land. Das spielt eine große Rolle. Aber dass Bus & Bahn ein Statussymbol sein können, in der Art eines „demonstrativen Konsums“(Mobilitätsforscher Stephan Rammler) ist in Deutschland neu. Andererseits gibt es auch pragmatische Gründe. Die Prekären nennen als Hauptgrund ihrer Zurückhaltung die Ticketpreise.
In Deutschland ist der öffentliche Verkehr laut Umweltbundesamt von 2000 bis 2018 um 79 Prozent teurer geworden. Kauf und Unterhalt eines Autos aber stiegen um nur 36 Prozent. Laut staatlicher Förderbank KfW ist das Auto für ein Viertel der Geringverdiener ein Statussymbol – gegenüber elf Prozent der Gesamtgesellschaft.