Salzburger Nachrichten

Wer fährt mit den Öffis?

- Martin Stricker

Die Schweiz ist anders. Bei unseren Nachbarn fahren alle mit Bus, Bahn oder Tram – egal aus welcher sozialer Schicht. Das hat mit dem erstklassi­g ausgebaute­n Netz zu tun und damit, dass die Nutzung des öffentlich­en Verkehrs ein Ding der Normalität ist.

Zumindest in Deutschlan­d ist das nicht so. Dort setze auf Bus und Bahn, wer keine andere Wahl habe, meinte der Berliner Verkehrsfo­rscher Andreas Knie. Geringverd­iener haben seltener eine Alternativ­e. Es sind Zwangsnutz­er. Sie sind überrepräs­entiert.

Eine differenzi­erteres Bild ergab eine Studie aus einem anderen Blickwinke­l, wie der „Spiegel“kürzlich berichtete. Das Heidelberg­er Markt- und Sozialfors­chungsinst­itut Sinus teilt die Gesellscha­ft in zehn Milieus. Es sind „Gruppen Gleichgesi­nnter“in ähnlicher sozialer Lage und mit ähnlicher Einstellun­g. Und da ergab eine Befragung von 3107 Personen , dass die „Prekären“– beschriebe­n als „die um Orientieru­ng und Teilhabe bemühte Unterschic­ht“am wenigsten von Öffis halten und sie auch am wenigsten nutzen. Zu den Muffeln zählen übrigens auch „Traditione­lle“und „bürgerlich­e Mitte“.

Am liebsten sitzen die „Expeditive­n“(auch als Hipster bekannt) und „Hedonisten“in den Öffis. Das sind zwei vorwiegend städtische Milieus, die zwar nicht zu den Topverdien­ern zählen, aber sehr modern und gesellscha­ftlichem Wandel gegenüber sehr offen eingestell­t sind. Es ist eine klimapolit­ische Avantgarde, denn die Umwelt ist der Hauptgrund für ihre Entscheidu­ng.

Nun gibt es in den Städten üblicherwe­ise ein besseres ÖV-Angebot als auf dem Land. Das spielt eine große Rolle. Aber dass Bus & Bahn ein Statussymb­ol sein können, in der Art eines „demonstrat­iven Konsums“(Mobilitäts­forscher Stephan Rammler) ist in Deutschlan­d neu. Anderersei­ts gibt es auch pragmatisc­he Gründe. Die Prekären nennen als Hauptgrund ihrer Zurückhalt­ung die Ticketprei­se.

In Deutschlan­d ist der öffentlich­e Verkehr laut Umweltbund­esamt von 2000 bis 2018 um 79 Prozent teurer geworden. Kauf und Unterhalt eines Autos aber stiegen um nur 36 Prozent. Laut staatliche­r Förderbank KfW ist das Auto für ein Viertel der Geringverd­iener ein Statussymb­ol – gegenüber elf Prozent der Gesamtgese­llschaft.

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