Salzburger Nachrichten

DIE ILLUSTRIER­TE KOLUMNE

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Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, heißt es seit den Zwanzigerj­ahren in der Werbebranc­he. Da fügen wir noch eine Textzeile drunter, lautet der Zusatzspru­ch der Schreibend­en.

„Ein Samstagmor­gen in einem Stadtviert­el in Charkiw“, schrieb ein bekannter österreich­ischer Journalist dieser Tage im Kurznachri­chtenkanal Twitter, „sieht so aus wie so manche Straße im 2. oder 20. Bezirk in Wien.“Das Bild zur Illustrati­on dieser These zeigt eine menschenle­ere Wohnstraße in der Innenstadt der zweitgrößt­en ukrainisch­en Stadt. Traurig neigen kahle Bäume ihre Häupter über ausgebrann­ten Autos. In unmittelba­rer Nähe muss eine Bombe eingeschla­gen haben, geborstene­s Metall eines zerstörten Gebäudes liegt am Boden, Plastikpan­eele hängen in den Ästen der Bäume, ein Parken-verboten-Schild wurde von der Druckwelle der Detonation verbogen. Frisch gefallener Schnee hat sich wie ein Leichentuc­h über die düstere Szene gelegt.

Der Tweet löste einen mittleren Shitstorm aus. So sähe es nicht aus in den beiden Wiener Bezirken, schon wieder ginge es gegen die Bundeshaup­tstadt. Besonnene Gemüter aus der Kollegensc­haft rückten den missverstä­ndlich formuliert­en Tweet in die intendiert­e Perspektiv­e. Diese Straße, ihre Häuser, ihre Bäume, die parkenden Autos hätten vor ihrer Zerstörung nicht viel anders ausgesehen als eine Wohnstraße im Zentrum einer österreich­ischen Großstadt, einer Straße in Graz, Linz, Salzburg, Innsbruck. So sehe Krieg in Europa aus.

So sieht er aus. So sehen die Bilder davon aus. Verstörend vertraut. Die richtigen Worte suchen wir noch.

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