Gescheitert – was jetzt?
Fehler zu machen ist in Österreich immer noch ein Tabu. Doch es bewegt sich etwas. Wie wir vom richtigen Umgang mit dem Scheitern am Arbeitsplatz profitieren.
ALEKSANDRA NAGELE
Käferbohnenschokolade mit Zwiebelkonfit. Das Rezept war revolutionär, die ersten Proben köstlich. Nach ein paar Wochen rief ihn ein Kunde an, Chocolatier Josef Zotter erwartete großes Lob. Der Herr aber monierte: „Herr Zotter, das ist das Grauslichste, das ich je gegessen hab, bitte prüfen S’ das noch einmal.“Was war passiert? Hatte Zotter etwas falsch gemacht? Bei der nächsten Verkostung war alles klar: Die Zwiebel hatte sich „weiterentwickelt“und schmeckte nun nach feuchten Socken.
Die Käferbohnenschokolade liegt heute am Ideenfriedhof auf Zotters Firmengelände in Riegersburg. Dort ist sie in bester Gesellschaft, denn seit 2012 begräbt Zotter hier Kreationen, die aus dem Sortiment genommen wurden, und Ideen oder Projekte, die gescheitert sind. Neben der Käferbohnenschokolade ruht hier etwa auch die Haselnuss-Mandelpraline (2009–2010), die zwar ein Verkaufsschlager gewesen sein soll, aber andere Sorten blockierte. Ein weiterer Grabstein erzählt von Zotters Konditorei in der Grazer Innenstadt (1987–1999), ein großer Erfolg, gleichzeitig wahrscheinlich aber auch sein größtes Scheitern. 1996 musste der Chocolatier Insolvenz anmelden.
Im Hause Zotter bleibt das Scheitern aber explizit erlaubt: „Wenn mal etwas nicht klappt, dann geht die Welt nicht unter. Wer aber nichts probiert, weil er Angst vorm Scheitern hat, der ist auch nicht offen für Innovationen. Und die brauchen wir gerade jetzt ganz besonders“, so Zotter-Sprecherin Susanne Luef.
Dass es nicht in allen österreichischen Unternehmen so gut um die Fehlerkultur bestellt ist, zeigt eine Umfrage von Marketagent, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Führungskräfte befragt wurden. Etwa 60 Prozent der Befragten fürchten sich vor persönlichen Auswirkungen, wenn ihnen Fehler passieren. Die Angst vor Bestrafung oder Jobverlust führt dazu, dass Fehler vertuscht werden. Jeder Fünfte gibt an, schon einen Fauxpas unter den Teppich gekehrt zu haben. Rund 36 Prozent wollen miterlebt haben, dass eine Führungskraft einen selbst verursachten Fehler auf einen Mitarbeiter geschoben hat.
Die Angst vor Fehlern beobachtet auch Martin Panosch, Landesdirektor der Wiener Städtischen Versicherung in Salzburg: „Manche Mitarbeiter agieren sehr vorsichtig und kleben gern an den Buchstaben von Arbeitsanleitungen, um nur ja keine Fehler zu machen.“Die Folge liegt auf der Hand: Wer Angst hat, wird sich hüten, mutig Ideen vorzuschlagen oder sie gar auszuprobieren. „Wenn man als Unternehmen innovativ und agil agieren möchte, muss man auch mal altbekannte Pfade verlassen. Mit Dienst nach
Vorschrift geht das nicht. Da braucht es eine gewisse Fehlertoleranz“, so Panosch. „Die erste Frage darf nicht sein: Wer ist schuld?
Bei der Wiener Städtischen engagiert sich Panosch, um eine zeitgemäße Fehlerkultur zu etablieren. Wenn Fehler passieren, dann steht nicht die Schuldfrage, sondern etwas ganz anderes im Vordergrund: Was haben wir daraus gelernt?
„Lesson Learned“steht auch im Zentrum der Fuckup Nights, eines Veranstaltungsformats, das Geschichten über das berufliche Scheitern auf die Bühne bringt. Wenn Menschen auf einer solchen Bühne von einem Fehler erzählen, dann haben sie in der Vorbereitung genau diese Frage für sich beantwortet. Durch Reflektieren verändert sich die eigene Haltung. „Ich fühlte mich erleichtert, konnte abschließen und freier in die Zukunft blicken“, so Claudia Kanz, die in diesem Veranstaltungsrahmen in Salzburg auf der Bühne stand und mittlerweile wieder an einem neuen innovativen Projekt, den animierten „Wassergeistern“, arbeitet.
Die Umfrage zeigt, dass nur ein Drittel der österreichischen Firmen aktiv für ein offeneres Gesprächsklima sorgt, wenn es um Fehler geht. Je größer die Firma, desto kleiner das Bewusstsein für den konstruktiven Umgang mit Fehlern. Dass die Vorbildwirkung des Managements im Umgang mit Fehlern entscheidend ist, ist Panosch bewusst. Deshalb will er bald bei einer Fuckup Night als Vorbild vorangehen: Am 5. Mai erzählt er im Loft in Salzburg von einem Scheitern aus seiner Karriere. Das offene Sprechen über die eigenen Schwächen erzeugt einen „Safe Space“, also einen Raum, in dem man sich sicher fühlt und sich folglich öffnen kann. Das beschreibt auch Claudia Kanz nach ihrem Bühnenauftritt: „Ich habe viel positives Feedback erhalten. Als ich von der Bühne ging, erzählten mir plötzlich andere von ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Scheitern. Das erinnerte mich daran, dass jeder mit Wasser kocht und es in Wahrheit allen ähnlich geht.“In solchen Umgebungen arbeite man nicht nur lieber, sondern auch produktiver. Panosch möchte, „dass Neugier und der Mut, neue Wege zu beschreiten, belohnt werden. Denn jedes Scheitern kann eine riesige Chance für eine positive, neue Entwicklung sein.“
Von diesen positiven Entwicklungen zeugen viele große Ideen aus der Wirtschaftsgeschichte, von der Glühbirne bis zum Champagner. Auch Chocolatier Josef Zotters heutiger Erfolg ist eigentlich einem Fehler zu verdanken: Weil er einen Auftrag vergessen hatte und unter Zeitdruck stand, strich er die Schokolade Schicht für Schicht auf, anstatt sie zu gießen. Zotters handgeschöpfte Schokolade war geboren.