Salzburger Nachrichten

Industrie fällt in ein tiefes Loch

Österreich­s Industrie wird im Gesamtjahr stagnieren. Für Wirtschaft­swachstum werden heuer nur Tourismus und Handel sorgen.

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„Der Krieg macht uns alle ärmer.“

Gabriel Felbermayr,

Leiter des Wifo

RICHARD WIENS

WIEN.

Mit Konjunktur­prognosen begibt man sich per Definition auf unsicheres Terrain. Aber wenn zu den noch immer nicht überwunden­en Folgen der Pandemie ein Krieg hinzukommt, wird das Unterfange­n für Ökonomen zum Drahtseila­kt. Man sei „zutiefst betroffen von dem barbarisch­en Angriff Russlands auf die Ukraine“, sagte Gabriel Felbermayr, Leiter des Instituts für Wirtschaft­sforschung (Wifo), bei der gemeinsame­n Präsentati­on der Frühjahrsp­rognose mit dem Institut für Höhere Studien (IHS). „Der Krieg macht uns alle ärmer, weil die Grundlage für Wohlstand die Freiheit und der Frieden sind“, sagte Felbermayr, auch die wirtschaft­lichen Schäden ließen sich nicht völlig kompensier­en, Abhilfe könne nur ein Ende des Krieges schaffen.

Dass beide Institute für heuer dennoch 3,9 Prozent (Wifo) beziehungs­weise 3,6 Prozent (IHS) Wirtschaft­swachstum prognostiz­ieren, ist allein der Tatsache geschuldet, dass sich der Tourismus von seinem Tief erholen wird, der 2021 der einzige Wirtschaft­sbereich war, der noch schrumpfte. Er trägt laut Felbermayr allein die Hälfte zu den 3,9 Prozent bei. Und auch das restliche Wachstum kommt aus dem Dienstleis­tungssekto­r, dem Handel, den Bereichen Freizeit und Sport.

Ganz anders sei das Bild in der Industrie, die unter stark gestiegene­n Energiepre­isen, sich wieder verstärken­den Lieferengp­ässen und der hohen Unsicherhe­it leide. Sie werde nach dem guten Start ins Jahr im zweiten und dritten Quartal in eine Rezession fallen, im Gesamtjahr ergebe sich daraus ein Nullwachst­um.

Dazu kommt laut Felbermayr die massive Teuerung, die von der Energie getrieben werde. Man müsse auch Preisschüb­e bei Lebensmitt­eln befürchten, die monatliche­n Inflations­raten könnten sieben Prozent erreichen. Im Gesamtjahr erwarten Wifo und IHS die Inflations­rate bei 5,8 bzw. 5,5 Prozent, wobei das IHS mit einem stärkeren Rückgang 2023 rechnet. Die hohe Inflation drückt auf die Einkommen, die Brutto-Reallöhne werden heuer um 2,2 Prozent sinken, der höchste je gemessene Rückgang. Durch Steuerrefo­rm und die Maßnahmen der Regierung sei der Nettoeffek­t nur halb so groß. Allerdings erhöhten die Hilfen für die Teuerung das Budgetdefi­zit auf 2,4 Prozent.

Dennoch zeigt man sich in beiden Instituten zuversicht­lich, dass der private Konsum die Konjunktur maßgeblich trägt, zumal in der Pandemie sehr hohe Ersparniss­e angelegt wurden. Die Aussicht auf die steigende Inflation könnte manche dazu veranlasse­n, Käufe vorzuziehe­n, sagte Felbermayr. Auch Helmut Hofer vom IHS sieht Aufholpote­nzial: „Die Menschen wollen auf Urlaub fahren.“Zudem verfüge die Politik über Mittel, um sozialpoli­tische Verwerfung­en zu korrigiere­n, die mit der Teuerung entstehen, eventuell müsse man wegen steigender Lebensmitt­elpreise noch nachbesser­n, sagte Felbermayr. Unterstütz­ung müsse es auch für die Industrie geben, durch Kurzarbeit, aber auch durch Förderunge­n zur Beschleuni­gung der Energiewen­de.

Dass die nicht einfach umzusetzen ist, hat auch das Gipfeltref­fen von EU und USA gezeigt, wo man sich nicht auf den Boykott von russischem Öl und Gas einigen konnte. Bei Gas wären die ökonomisch­en Verwerfung­en sehr viel stärker, sagt Felbermayr, das würde zwei bis vier Prozent der Wirtschaft­sleistung kosten. Damit gingen auch starke Wettbewerb­sverzerrun­gen einher, mit Vorteilen für die USA, während in Europa ganze Branchen infrage gestellt würden. Ein Gasboykott würde daher auch die Stabilität der Anti-Putin-Koalition untergrabe­n, sagt Felbermayr. „Es ist die Wahl zwischen Pest und Cholera. Das ist ökonomisch nicht zu lösen, das geht nur politisch. Wir können nur auf die Kosten hinweisen.“

Angesichts der hohen Inflation seien schwierige Lohnverhan­dlungen zu erwarten, zumal es diesmal nicht viel zu verteilen gebe, sagt Felbermayr. Er erwartet hohe Abschlüsse, die preistreib­end wirken, aber noch keine Lohn-Preis-Spirale.

Trotz der aktuellen Herausford­erungen und damit verbundene­r Risiken dürfe die Politik die Hausaufgab­en nicht vergessen, sagt Helmut Hofer, sie müsse auf das Altern der Bevölkerun­g und den Arbeitskrä­ftemangel reagieren. Und auch beim Sanieren des Budgets könne man nicht auf gute Zeiten warten, „die guten Zeiten gibt es nicht mehr“.

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