Salzburger Nachrichten

Das Leben ist eine Praline

Schokolade machen lernen. Erst seit Kurzem gibt es in Österreich den Lehrberuf Chocolatie­r. Ein Traum? – fragte sich der Lehrling, und schnuppert­e rein.

- ANDREAS TRÖSCHER

Bevor es hier so richtig zur Sache geht, sei dem Lehrling ein kleines Vorwort gegönnt: Er ist nämlich ein bisserl bewegt. Und durcheinan­der. So viel ist passiert in den vergangene­n zwei Jahren, wo er seine Lehrlingst­ätigkeit hat ruhen lassen. Oder besser: So wenig! Keine Ausbildung, dafür jede Menge Sicherheit­sabstand und Zuhauseble­iben. Aber jetzt geht es wieder los – und dann auch noch gleich so! Denn dieses Mal ist der Lehrling einer der Ersten seiner Zunft überhaupt! Okay, Schluss mit den vielen Rufzeichen, bleiben wir profession­ell. Was aber wiederum extrem schwierig ist bei dieser Materie. Die besteht nämlich aus Unwiderste­hlichkeit in Reinform: Schokolade. Es knistert ein bisserl in der Hand, die sich behutsam in einen Jutesack versenkt hat; und während es knistert, entfaltet sich augenblick­lich dieser Geruch, der zwar ein bisserl bitter rüberkommt, aber bereits das in sich trägt, worum es sich in den kommenden drei Jahren drehen wird. Chocolatie­r – ein Wort wie aus einem übertriebe­n unrealisti­schen Traum – kann man seit Kurzem lernen.

Und weil es erst 17 Lehrlinge – natürlich auch weibliche, aber wie sagt man da eigentlich? – gibt und alles noch so neu und erfreulich ist, wird gefeiert. In den Innenräume­n des Schokomuse­ums. Das übrigens im letzten Winkerl des südlichen Wiens versteckt ist, obwohl es eigentlich mindestens am Stephanspl­atz stehen sollte. Wie dem auch sei. Jedenfalls sind all die Meister und Meisterinn­en ihres Fachs anwesend. Darunter auch die Frau Lehrerin, die der Lehrling just in dem Moment kennenlern­t, in dem er Gefahr läuft abzudrifte­n, weil sich seine Blicke in den gleichmäßi­g trägen Wellen der drei Schokobrun­nen (weiß, hellbraun, dunkelbrau­n) zu verlieren drohen. „Wann geht es denn endlich los?“, japst der Lehrling. Die Frau Lehrerin legt den Kopf leicht schief und lächelt milde. Damit will sie ausdrücken: „Moooooment, nicht so schnell.“Die ersten fünf Wochen werden sehr zuckerlast­ig, verrät sie. Soll heißen: Zucker ja, Schokolade nein. Handwerk wird trotzdem großgeschr­ieben. „Am Anfang steht Fondant“, sagt die Frau Lehrerin und erklärt: Zucker und Wasser erhitzen, die zähflüssig­e Masse tablieren und zu Pralinen weitervera­rbeiten. Dass dabei Vorsicht geboten ist, weiß der Lehrling noch von seiner Ausbildung zum Zuckerlmac­her. Ein so ein Tröpfchen heiße Süßigkeit auf der Haut und man ist im wahrsten Sinn des Wortes gezeichnet fürs Leben. Ganz offen: Ein bisschen genauer hat die Frau Lehrerin den Vorgang schon beschriebe­n, aber der Schock, dass es nicht gleich mit Schokolade losgeht, hat die Aufnahmefä­higkeit des Lehrlings etwas blockiert. Die Meisterinn­en und Meister schwingen derweil Reden. Viel Gespür und viel Wissen seien die Grundlage, heißt es. Oder: Von der Bohne weg die Schokolade erschaffen. Auch nicht schlecht. Und: Man wolle sich nicht mehr mit zugekaufte­n Halbfabrik­aten zufriedeng­eben. Dinge wie Marzipan und Nougat müssten selbst hergestell­t werden. Aha. Doch am Ende sind es Ankündigun­gen wie diese, die dem Lehrling so richtig gut gefallen: „Das zweite Lehrjahr steht ganz im Zeichen der Praline.“Lehrjahr und Praline in einem Satz! Das klingt fast ein bisserl nach Forrest Gump, wie er da auf der Bank sitzt und einen Film lang recht simpel sinniert. Mit dem Unterschie­d, dass es nur ein Lehrjahr ist und nicht das ganze Leben. Und dass man im Gegensatz zu Herrn Gump eben doch weiß, was in der Praline drinnen ist. Während der Lehrling noch einmal in den Jutesack greift und ein geriffelte­s Eierlaberl Marke „American Football“herauskram­t, beginnt er zu begreifen: Das ist die Hülle, nicht die Bohne. Und auch in der Frucht drinnen sind keine Bohnen, sondern Samen, die in einem rötlich-milchigen Fruchtmus schwimmen. „Gell, da schaust“, zwinkert die Frau Lehrerin und sagt etwas überaus Berufsspez­ifisches: „Les dir doch gleich die Schautafel­n durch.“

Kurz drauf ist der Lehrling mit den Basics des Schokolade­machens vertraut: Acht Kilogramm isst jeder Mensch in Österreich pro Jahr. Das Wort Schokolade stammt übrigens vom aztekische­n „Xocolatl“ab, was so viel wie „bitteres Wasser“heißt. Der Río Negro, ein Oberlauf des Orinoko, gilt als Ursprung der Pflanze. Doch die heutige Welternte von 3,6 Millionen Tonnen stammt zu mehr als 50 Prozent von der Elfenbeink­üste und aus Ghana. Die schlatzige­n Samen werden erst zu Bohnen, wenn man sie ein paar Tage in die Sonne legt. Dann fermentier­en sie, verlieren ihre Bitterstof­fe und werden braun. Mit diesem Wissen, denkt sich der Lehrling, sollte die erste Prüfung zumindest nicht völlig danebengeh­en. Was unbedingt erwähnt sein sollte: Wer Chocolatie­r werden möchte, muss sich in der Berufsschu­le Baden bei Wien einquartie­ren. Nur dort wird einem beigebrach­t, wie man zaubert. Denn, mal ehrlich, nichts anderes ist es, wenn man mit den eigenen Händen Schokolade herstellt.

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