Das Leben ist eine Praline
Schokolade machen lernen. Erst seit Kurzem gibt es in Österreich den Lehrberuf Chocolatier. Ein Traum? – fragte sich der Lehrling, und schnupperte rein.
Bevor es hier so richtig zur Sache geht, sei dem Lehrling ein kleines Vorwort gegönnt: Er ist nämlich ein bisserl bewegt. Und durcheinander. So viel ist passiert in den vergangenen zwei Jahren, wo er seine Lehrlingstätigkeit hat ruhen lassen. Oder besser: So wenig! Keine Ausbildung, dafür jede Menge Sicherheitsabstand und Zuhausebleiben. Aber jetzt geht es wieder los – und dann auch noch gleich so! Denn dieses Mal ist der Lehrling einer der Ersten seiner Zunft überhaupt! Okay, Schluss mit den vielen Rufzeichen, bleiben wir professionell. Was aber wiederum extrem schwierig ist bei dieser Materie. Die besteht nämlich aus Unwiderstehlichkeit in Reinform: Schokolade. Es knistert ein bisserl in der Hand, die sich behutsam in einen Jutesack versenkt hat; und während es knistert, entfaltet sich augenblicklich dieser Geruch, der zwar ein bisserl bitter rüberkommt, aber bereits das in sich trägt, worum es sich in den kommenden drei Jahren drehen wird. Chocolatier – ein Wort wie aus einem übertrieben unrealistischen Traum – kann man seit Kurzem lernen.
Und weil es erst 17 Lehrlinge – natürlich auch weibliche, aber wie sagt man da eigentlich? – gibt und alles noch so neu und erfreulich ist, wird gefeiert. In den Innenräumen des Schokomuseums. Das übrigens im letzten Winkerl des südlichen Wiens versteckt ist, obwohl es eigentlich mindestens am Stephansplatz stehen sollte. Wie dem auch sei. Jedenfalls sind all die Meister und Meisterinnen ihres Fachs anwesend. Darunter auch die Frau Lehrerin, die der Lehrling just in dem Moment kennenlernt, in dem er Gefahr läuft abzudriften, weil sich seine Blicke in den gleichmäßig trägen Wellen der drei Schokobrunnen (weiß, hellbraun, dunkelbraun) zu verlieren drohen. „Wann geht es denn endlich los?“, japst der Lehrling. Die Frau Lehrerin legt den Kopf leicht schief und lächelt milde. Damit will sie ausdrücken: „Moooooment, nicht so schnell.“Die ersten fünf Wochen werden sehr zuckerlastig, verrät sie. Soll heißen: Zucker ja, Schokolade nein. Handwerk wird trotzdem großgeschrieben. „Am Anfang steht Fondant“, sagt die Frau Lehrerin und erklärt: Zucker und Wasser erhitzen, die zähflüssige Masse tablieren und zu Pralinen weiterverarbeiten. Dass dabei Vorsicht geboten ist, weiß der Lehrling noch von seiner Ausbildung zum Zuckerlmacher. Ein so ein Tröpfchen heiße Süßigkeit auf der Haut und man ist im wahrsten Sinn des Wortes gezeichnet fürs Leben. Ganz offen: Ein bisschen genauer hat die Frau Lehrerin den Vorgang schon beschrieben, aber der Schock, dass es nicht gleich mit Schokolade losgeht, hat die Aufnahmefähigkeit des Lehrlings etwas blockiert. Die Meisterinnen und Meister schwingen derweil Reden. Viel Gespür und viel Wissen seien die Grundlage, heißt es. Oder: Von der Bohne weg die Schokolade erschaffen. Auch nicht schlecht. Und: Man wolle sich nicht mehr mit zugekauften Halbfabrikaten zufriedengeben. Dinge wie Marzipan und Nougat müssten selbst hergestellt werden. Aha. Doch am Ende sind es Ankündigungen wie diese, die dem Lehrling so richtig gut gefallen: „Das zweite Lehrjahr steht ganz im Zeichen der Praline.“Lehrjahr und Praline in einem Satz! Das klingt fast ein bisserl nach Forrest Gump, wie er da auf der Bank sitzt und einen Film lang recht simpel sinniert. Mit dem Unterschied, dass es nur ein Lehrjahr ist und nicht das ganze Leben. Und dass man im Gegensatz zu Herrn Gump eben doch weiß, was in der Praline drinnen ist. Während der Lehrling noch einmal in den Jutesack greift und ein geriffeltes Eierlaberl Marke „American Football“herauskramt, beginnt er zu begreifen: Das ist die Hülle, nicht die Bohne. Und auch in der Frucht drinnen sind keine Bohnen, sondern Samen, die in einem rötlich-milchigen Fruchtmus schwimmen. „Gell, da schaust“, zwinkert die Frau Lehrerin und sagt etwas überaus Berufsspezifisches: „Les dir doch gleich die Schautafeln durch.“
Kurz drauf ist der Lehrling mit den Basics des Schokolademachens vertraut: Acht Kilogramm isst jeder Mensch in Österreich pro Jahr. Das Wort Schokolade stammt übrigens vom aztekischen „Xocolatl“ab, was so viel wie „bitteres Wasser“heißt. Der Río Negro, ein Oberlauf des Orinoko, gilt als Ursprung der Pflanze. Doch die heutige Welternte von 3,6 Millionen Tonnen stammt zu mehr als 50 Prozent von der Elfenbeinküste und aus Ghana. Die schlatzigen Samen werden erst zu Bohnen, wenn man sie ein paar Tage in die Sonne legt. Dann fermentieren sie, verlieren ihre Bitterstoffe und werden braun. Mit diesem Wissen, denkt sich der Lehrling, sollte die erste Prüfung zumindest nicht völlig danebengehen. Was unbedingt erwähnt sein sollte: Wer Chocolatier werden möchte, muss sich in der Berufsschule Baden bei Wien einquartieren. Nur dort wird einem beigebracht, wie man zaubert. Denn, mal ehrlich, nichts anderes ist es, wenn man mit den eigenen Händen Schokolade herstellt.