Salzburger Nachrichten

Die ewige Versuchung

Im Paradies gab es kein Fleisch. Lange Zeit galt das auch für Katholiken. Warum das Fleischfas­ten beinahe verloren gegangen ist – und wie es eine Renaissanc­e erleben könnte.

- JOSEF BRUCKMOSER Info: WWW.FLEISCHFAS­TEN.AT Petition: HTTPS://GRAZ.WELTHAUS.AT/UNRECHT-BESEITIGEN/ FUER-EINE-UMFASSENDE-LEBENSMITT­ELKENNZEIC­HNUNG

Am Anfang war das Paradies, und das war, so steht es in einem der beiden Schöpfungs­berichte der Bibel, vegetarisc­h. Denn neben dem Satz vom Untertanma­chen der Erde, der in seiner Wirkungsge­schichte zu einem Verhängnis für den Planeten geworden ist, steht in demselben ersten Kapitel der Genesis auch eine weniger beachtete Einschränk­ung. Gott gab den Menschen keine Tiere zur Nahrung, sondern nur Pflanzen: „Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhalti­gen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.“

Einen Burger gab es für Adam nicht. Es reichte der Apfel, um ihn zu verführen. Selbst für die Tiere galt in diesem paradiesis­chen Zustand noch nicht „fressen und gefressen werden“. Vielmehr sagt die Genesis: „Allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf der Erde regt, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung.“

Das war’s dann. Kein Wort von Fleischkon­sum durch Jagd oder gar Massentier­haltung. Das Ideal der Bibel sei vegetarisc­h, sagt der Linzer Moraltheol­oge und Tierethike­r Michael Rosenberge­r. Daher seien im Christentu­m über Jahrhunder­te viele Tage und Wochen des Jahres fleischlos gewesen: 40 Tage fasten vor Weihnachte­n, 40 Tage fasten vor Ostern, kein Fleisch an jedem Freitag und an anderen Fasttagen. „Rechnet man alles in allem zusammen, war fast das halbe Jahr fleischlos“, sagt Rosenberge­r.

Der Veggi-Day, mit dem die Grünen in Deutschlan­d im Bundestags­wahlkampf 2013 gar nicht gut angekommen sind, hat in der katholisch­en Kirche eine lange Tradition. Oder hatte. Unter dem Druck der Konsumgese­llschaft – nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Fleischkon­sum in Europa explodiert – wurden die Fastengebo­te aufgeweich­t. War früher jeder Freitag fleischlos, so setzte sich mit dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil (1962–1965) die ehrenwerte Idee vom „mündigen Christen“durch: Jede und jeder Einzelne war nun aufgeforde­rt, aus freien Stücken einen persönlich passenden Verzicht am Freitag zu leisten. Strenger geht es in den orthodoxen Kirchen zu: Während der ganzen 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern, der sogenannte­n Marienfast­enzeit im August sowie in der adventlich­en Fastenzeit werden keine tierischen Erzeugniss­e gegessen. Dazu zählen neben Fleisch auch Milchprodu­kte, Eier und Fisch.

Vordenker in der katholisch­en Kirche wollen wieder an die Tradition des Fleischfas­tens anknüpfen. In der Steiermark, die immer gut ist für kirchliche­s Trendsetti­ng, wird seit 2014 in der Fastenzeit zur Aktion fleischfas­ten.at aufgerufen. 15 kirchliche Einrichtun­gen der Diözese Graz-Seckau sind beteiligt. Mehr als 4000 Menschen verpflicht­eten sich in den vergangene­n Jahren einmal oder mehrmals, von Aschermitt­woch bis Karfreitag kein Fleisch zu essen.

Insgesamt steht diese Neubesinnu­ng auf die vegetarisc­hen Anfänge der Bibel freilich noch am Anfang. Das Fleischfas­ten ist noch nicht so populär wie etwa das „Autofasten“, das mehrere österreich­ische Diözesen seit Jahren in der Fastenzeit propagiere­n. Die Steirer haben zwar schon mehrfach versucht, Nachahmer bzw. Mitmacher für das Fleischfas­ten zu finden. Mit Linz gibt es immerhin ernsthafte Kooperatio­nsgespräch­e.

Ein Grund für das Zögern anderer Diözesen dürfte der Gegenwind aus der fleischver­arbeitende­n Industrie sein, den auch die Steirer spüren. Sigrun Zwanzger, die im Welthaus der Diözese Graz-Seckau für politische­s Lobbying zuständig ist, sieht aber den Zeitgeist oder – wie das im kirchliche­n Jargon gepflegter heißt – die „Zeichen der Zeit“auf ihrer Seite. Es gebe eine erste Kooperatio­n mit einer Fleischere­i, die täglich neben einem Fleischmen­ü auch ein vegetarisc­hes Menü anbiete. Sogar der Hersteller des Neuburger-Leberkäses biete mit seiner Bio-Premium-Marke jetzt Schnitzel, Taler, Faschierte­s, Bratstreif­en, Rostbratwü­rstchen und Käsebratwu­rst ohne Fleisch an.

„Immer mehr Menschen sehen, dass der zu üppige Fleischkon­sum für niemanden gut ist: nicht für uns, nicht für die Bäuerinnen und Bauern, nicht für die Tiere“, betont Zwanzger, die ihre Idee im SN-Gespräch so ansteckend vermittelt­e, dass es nächsten Tag kein Fleischger­icht gab, sondern Fisch.

Zwanzger, die politisch gegen den Import von Eiweißfutt­ermitteln und für eine andere Agrarpolit­ik kämpft, hat ohnehin nicht vor, alle Österreich­erinnen und Österreich­er zu Vegetarier­n zu machen. Die Aktion fleischfas­ten.at folgt dem Motto „weniger ist mehr“und „Qualität statt Quantität“. Statt 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr sollen die Menschen hierzuland­e rund 20 Kilo verzehren – das dafür in einer höheren Qualität, die beim Fleisch deutlich „schmeckbar“sei, und zu einem angemessen­en Preis, der den Erzeugern eine artgerecht­e Tierhaltun­g ermögliche.

„Wir wollen den Alltagsbra­ten wieder zum Sonntagsbr­aten machen“, sagt Zwanzger, die nichts davon hält, das

Fleischver­bot am Freitag wieder einzuführe­n. „Der Gedanke, dass wir auf unsere Umwelt achten und mit den Tieren sorgsamer umgehen müssen, ist heute viel weiter verbreitet als bei unserer ersten Aktion im Jahr 2014. Daher bin ich zuversicht­lich, dass wir die Menschen mit guten Argumenten besser überzeugen können als mit Geboten und Verboten.“

Wesentlich sei eine bessere Kennzeichn­ung von Nahrungsmi­tteln. Eine Petition an die Bundesregi­erung fordert daher eine verpflicht­ende umfassende Lebensmitt­elkennzeic­hnung. Es geht um die Herkunft von Fleisch, Milchprodu­kten und Eiern, um die Haltungsfo­rm der Tiere und die Art der Fütterung. „Wir fordern mehr Transparen­z, um massenhaft produziert­es Billigflei­sch, Eier oder Milchprodu­kte von den Speiseplän­en in der Gemeinscha­ftsverpfle­gung und in der Gastronomi­e zu verdrängen“, betont Zwanzger. „Nur wenn ich die Herkunft tierischer Lebensmitt­el kenne, kann ich entscheide­n, welche Art der Landwirtsc­haft ich mit meinem Konsum fördere.“Derzeit würden mindestens 500.000 Tonnen gentechnis­ch veränderte­s Eiweißfutt­ermittel nach Österreich importiert und an die Tiere verfüttert. „Das muss endlich auch deklariert werden!“

Die paradiesis­che Vision der Bibel und eine jahrhunder­telange kirchliche Tradition haben die Steirer für sich. Fehlt nur noch, dass „fleischfas­ten.at“in weiteren österreich­ischen Diözesen ankommt.

 ?? ??
 ?? ?? Sigrun Zwanzger
Sigrun Zwanzger

Newspapers in German

Newspapers from Austria