Die ewige Versuchung
Im Paradies gab es kein Fleisch. Lange Zeit galt das auch für Katholiken. Warum das Fleischfasten beinahe verloren gegangen ist – und wie es eine Renaissance erleben könnte.
Am Anfang war das Paradies, und das war, so steht es in einem der beiden Schöpfungsberichte der Bibel, vegetarisch. Denn neben dem Satz vom Untertanmachen der Erde, der in seiner Wirkungsgeschichte zu einem Verhängnis für den Planeten geworden ist, steht in demselben ersten Kapitel der Genesis auch eine weniger beachtete Einschränkung. Gott gab den Menschen keine Tiere zur Nahrung, sondern nur Pflanzen: „Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen auf der ganzen Erde, die Samen tragen, und alle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie zur Nahrung dienen.“
Einen Burger gab es für Adam nicht. Es reichte der Apfel, um ihn zu verführen. Selbst für die Tiere galt in diesem paradiesischen Zustand noch nicht „fressen und gefressen werden“. Vielmehr sagt die Genesis: „Allen Tieren des Feldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich auf der Erde regt, was Lebensatem in sich hat, gebe ich alle grünen Pflanzen zur Nahrung.“
Das war’s dann. Kein Wort von Fleischkonsum durch Jagd oder gar Massentierhaltung. Das Ideal der Bibel sei vegetarisch, sagt der Linzer Moraltheologe und Tierethiker Michael Rosenberger. Daher seien im Christentum über Jahrhunderte viele Tage und Wochen des Jahres fleischlos gewesen: 40 Tage fasten vor Weihnachten, 40 Tage fasten vor Ostern, kein Fleisch an jedem Freitag und an anderen Fasttagen. „Rechnet man alles in allem zusammen, war fast das halbe Jahr fleischlos“, sagt Rosenberger.
Der Veggi-Day, mit dem die Grünen in Deutschland im Bundestagswahlkampf 2013 gar nicht gut angekommen sind, hat in der katholischen Kirche eine lange Tradition. Oder hatte. Unter dem Druck der Konsumgesellschaft – nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Fleischkonsum in Europa explodiert – wurden die Fastengebote aufgeweicht. War früher jeder Freitag fleischlos, so setzte sich mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) die ehrenwerte Idee vom „mündigen Christen“durch: Jede und jeder Einzelne war nun aufgefordert, aus freien Stücken einen persönlich passenden Verzicht am Freitag zu leisten. Strenger geht es in den orthodoxen Kirchen zu: Während der ganzen 40-tägigen Fastenzeit vor Ostern, der sogenannten Marienfastenzeit im August sowie in der adventlichen Fastenzeit werden keine tierischen Erzeugnisse gegessen. Dazu zählen neben Fleisch auch Milchprodukte, Eier und Fisch.
Vordenker in der katholischen Kirche wollen wieder an die Tradition des Fleischfastens anknüpfen. In der Steiermark, die immer gut ist für kirchliches Trendsetting, wird seit 2014 in der Fastenzeit zur Aktion fleischfasten.at aufgerufen. 15 kirchliche Einrichtungen der Diözese Graz-Seckau sind beteiligt. Mehr als 4000 Menschen verpflichteten sich in den vergangenen Jahren einmal oder mehrmals, von Aschermittwoch bis Karfreitag kein Fleisch zu essen.
Insgesamt steht diese Neubesinnung auf die vegetarischen Anfänge der Bibel freilich noch am Anfang. Das Fleischfasten ist noch nicht so populär wie etwa das „Autofasten“, das mehrere österreichische Diözesen seit Jahren in der Fastenzeit propagieren. Die Steirer haben zwar schon mehrfach versucht, Nachahmer bzw. Mitmacher für das Fleischfasten zu finden. Mit Linz gibt es immerhin ernsthafte Kooperationsgespräche.
Ein Grund für das Zögern anderer Diözesen dürfte der Gegenwind aus der fleischverarbeitenden Industrie sein, den auch die Steirer spüren. Sigrun Zwanzger, die im Welthaus der Diözese Graz-Seckau für politisches Lobbying zuständig ist, sieht aber den Zeitgeist oder – wie das im kirchlichen Jargon gepflegter heißt – die „Zeichen der Zeit“auf ihrer Seite. Es gebe eine erste Kooperation mit einer Fleischerei, die täglich neben einem Fleischmenü auch ein vegetarisches Menü anbiete. Sogar der Hersteller des Neuburger-Leberkäses biete mit seiner Bio-Premium-Marke jetzt Schnitzel, Taler, Faschiertes, Bratstreifen, Rostbratwürstchen und Käsebratwurst ohne Fleisch an.
„Immer mehr Menschen sehen, dass der zu üppige Fleischkonsum für niemanden gut ist: nicht für uns, nicht für die Bäuerinnen und Bauern, nicht für die Tiere“, betont Zwanzger, die ihre Idee im SN-Gespräch so ansteckend vermittelte, dass es nächsten Tag kein Fleischgericht gab, sondern Fisch.
Zwanzger, die politisch gegen den Import von Eiweißfuttermitteln und für eine andere Agrarpolitik kämpft, hat ohnehin nicht vor, alle Österreicherinnen und Österreicher zu Vegetariern zu machen. Die Aktion fleischfasten.at folgt dem Motto „weniger ist mehr“und „Qualität statt Quantität“. Statt 60 Kilogramm Fleisch pro Jahr sollen die Menschen hierzulande rund 20 Kilo verzehren – das dafür in einer höheren Qualität, die beim Fleisch deutlich „schmeckbar“sei, und zu einem angemessenen Preis, der den Erzeugern eine artgerechte Tierhaltung ermögliche.
„Wir wollen den Alltagsbraten wieder zum Sonntagsbraten machen“, sagt Zwanzger, die nichts davon hält, das
Fleischverbot am Freitag wieder einzuführen. „Der Gedanke, dass wir auf unsere Umwelt achten und mit den Tieren sorgsamer umgehen müssen, ist heute viel weiter verbreitet als bei unserer ersten Aktion im Jahr 2014. Daher bin ich zuversichtlich, dass wir die Menschen mit guten Argumenten besser überzeugen können als mit Geboten und Verboten.“
Wesentlich sei eine bessere Kennzeichnung von Nahrungsmitteln. Eine Petition an die Bundesregierung fordert daher eine verpflichtende umfassende Lebensmittelkennzeichnung. Es geht um die Herkunft von Fleisch, Milchprodukten und Eiern, um die Haltungsform der Tiere und die Art der Fütterung. „Wir fordern mehr Transparenz, um massenhaft produziertes Billigfleisch, Eier oder Milchprodukte von den Speiseplänen in der Gemeinschaftsverpflegung und in der Gastronomie zu verdrängen“, betont Zwanzger. „Nur wenn ich die Herkunft tierischer Lebensmittel kenne, kann ich entscheiden, welche Art der Landwirtschaft ich mit meinem Konsum fördere.“Derzeit würden mindestens 500.000 Tonnen gentechnisch verändertes Eiweißfuttermittel nach Österreich importiert und an die Tiere verfüttert. „Das muss endlich auch deklariert werden!“
Die paradiesische Vision der Bibel und eine jahrhundertelange kirchliche Tradition haben die Steirer für sich. Fehlt nur noch, dass „fleischfasten.at“in weiteren österreichischen Diözesen ankommt.