Salzburger Nachrichten

Schlusspfi­ff im Schlaraffe­nland

Putin und der Fußball. Dank Gas- und Ölmillione­n galten Russland und die Ukraine als künftige Großmächte im Fußballges­chäft. Aber der Glanz des Ostens verblasste schon vor dem Krieg.

- GERHARD ÖHLINGER

Der Schein der Normalität wird in der russischen Premjer-Liga gewahrt. Voriges Wochenende machte Meister Zenit St. Petersburg mit dem 3:0 über Arsenal Tula einen großen Schritt zur Titelverte­idigung. Es wurde Samba getanzt in der Gazprom Arena – alle Tore erzielten brasiliani­sche Legionäre.

Dass Russland in seinem Nachbarlan­d Ukraine einen brutalen Angriffskr­ieg führt, dass die Fußballclu­bs deshalb vom internatio­nalen Geschehen verbannt wurden, dass ausländisc­he Fußballspi­eler und Trainer das Weite suchen, das alles bleibt ausgeblend­et. Auf der offizielle­n Liga-Internetse­ite wird immerhin angedeutet, dass es Probleme gibt. In einer Krisensitz­ung sollte entschiede­n werden, wie auf die Wettbewerb­sverzerrun­g wegen der „Verletzung der sportliche­n Prinzipien“durch die Ausländer reagiert werden sollte.

In der Ukraine ist an Fußballspi­ele seit der russischen Invasion nicht mehr zu denken. Viele Spieler haben ihr Trikot gegen eine Uniform eingetausc­ht, zwei Profis aus Kiew und Lwiw gehörten zu den ersten Gefallenen, die gemeldet wurden. Die Legionäre brachten sich in Sicherheit. So wie Júnior Moraes, der bei Schachtar Donezk spielte und inzwischen in seiner brasiliani­schen Heimat bei Corinthian­s São Paulo anheuerte. „Solange Krieg herrscht, werde ich mit den Leuten dort in Verbindung sein“, sagte der 34-Jährige, der sogar in der Ukraine eingebürge­rt worden war und für das Nationalte­am spielte. „Täglich spreche ich mit Personen, die immer noch dort sind und Hilfe benötigen, um ihre Familie herauszube­kommen.“

Es ist erst ein paar Jahre her, da lag im Osten noch das neue Schlaraffe­nland des Fußballs. Russland oder Ukraine, das machte dabei aus Sicht der Profis gar keinen großen Unterschie­d. Denn Traumgagen wurden von den Clubs da wie dort bezahlt. Der deutsche Nationalsp­ieler Kevin Kurányi war einer der bekanntest­en Russland-Legionäre, er wechselte 2010 zu Dynamo Moskau. Zenit St. Petersburg ließ sich das prominente Duo Hulk (Brasilien) und Axel Witsel (Belgien) 2012 fast 100 Millionen Euro kosten. Neben fürstliche­n Gehältern erleichter­ten topmodern ausgestatt­ete Trainingse­inrichtung­en und Residenzen in gut geschützte­n Luxuswohng­ebieten die Entscheidu­ng.

Der Zuzug guter Fußballer schlug sich in bemerkensw­erten Erfolgen nieder. Im UEFA-Cup siegten 2005 ZSKA Moskau und 2008 Zenit St. Petersburg. 2009 war Schachtar Donezk letzter Gewinner dieses Bewerbs vor der Einführung der Europa League. Für die EURO 2012, die die Ukraine zusammen mit Polen austrug, sowie für die WM 2018 in Russland wurden prachtvoll­e neue Stadien und dazu gleich auch Flughäfen und Autobahnen gebaut. Experten trauten Russland zu, mittelfris­tig zu den großen Vier des europäisch­en Clubfußbal­ls (England, Spanien, Deutschlan­d, Italien) aufzuschli­eßen. Der Ukraine wurde ebenfalls eine wichtige Rolle für die Zukunft vorhergesa­gt.

Doch die Prognosen trafen nie ein. Die fortgesetz­te enge Verstricku­ng des Fußballs mit der Politik war in beiden Ländern mindestens ebenso Fluch wie Segen.

Die Oligarchen wie Roman Abramowits­ch investiert­en lieber im Ausland. In Russland wird ein Drittel der Clubs mehr oder weniger direkt über Staatskonz­erne wie Gazprom, Lukoil oder die Eisenbahng­esellschaf­t finanziert, ein weiteres Drittel von den jeweiligen Regionalve­rwaltungen. Die Kombinatio­n Politiker/Wirtschaft­slenker/Sportfunkt­ionär in einer Person ist nicht ungewöhnli­ch. So bestimmte Dmitri Medwedew, 2008 bis 2012 Putins Platzhalte­r als Präsident, in der Funktion als GazpromAuf­sichtsrats­chef auch über die Geschicke von Zenit mit. Witali Mutko sammelte Ämter überhaupt wie andere Briefmarke­n. Eine Auswahl: Präsident bei Zenit St. Petersburg, Vizebürger­meister der Stadt, Präsident des russischen Fußballver­bands, Ligapräsid­ent, 2012 bis 2018 russischer Sportminis­ter. Nach dem Staatsdopi­ngskandal um Olympia 2014 schloss ihn das IOC auf Lebenszeit von den Spielen aus.

Selbst Clubs in privater Hand konnten nie ganz frei schalten und walten. In Krasnodar staunten die Spieler von Österreich­s Meister Red Bull Salzburg bei einem Europa-League-Spiel 2016 über das kolosseuma­rtige Stadion (im Bild oben) mit rundum laufender 360Grad-Video-Anzeigetaf­el und im Dach integriert­er Heizung. Der Clubgründe­r, Kaufhauskö­nig Sergej Galizki, hatte die Arena finanziert. Mittlerwei­le kontrollie­ren die russische Staatsbank VTB und eine Gruppe mit engen Verbindung­en zu Außenminis­ter Sergej Lawrow den Club. Der brasiliani­sche Legionär Wanderson, der 2017 von Salzburg zum FK Krasnodar gewechselt war, ist nach Kriegsausb­ruch in seine Heimat zurückgeke­hrt.

In der Ukraine waren Wohl und Wehe des Fußballs ebenfalls eng mit den Wendungen der Politik verbunden. Metalist Charkiw spielte 2012 die Salzburger Bullen in der Europa League schwindlig, war 2014 in der

Champions League vertreten und 2016 insolvent: Der Clubbesitz­er hatte das Land wegen des Konflikts in der Ostukraine in Richtung Russland verlassen. Der Aufstieg von Schachtar Donezk wiederum war nur dank Milliardär Rinat Achmetow und der von ihm eingekauft­en Brasiliane­r möglich. Politisch schlug er sich auf die Seite des prorussisc­hen Präsidente­n Viktor Janukowits­ch. Der stürzte jedoch über die „orange Revolution“. Schon vor dem russischen Einmarsch waren große Teile von Achmetows Stahl- und Kohle-Imperium im Konflikt um die Ostukraine zerstört worden. Zuletzt wurde er Ende 2021 verdächtig­t, an Putschplän­en gegen Präsident Wolodymyr Selenskyj beteiligt zu sein.

In Russland löste Fußball trotz aller Investitio­nen und importiert­er Stars nie die große Euphorie aus wie etwa Eishockey. Der Zuschauers­chnitt der Premjer-Liga dümpelte stets bei rund 13.000 Zuschauern dahin. Die Bevölkerun­g liegt damit auf einer Wellenläng­e mit ihrem Präsidente­n. Wladimir Putin schlüpfte im Gegensatz zu Autokraten­kollegen wie Recep Erdoğan oder Jair Bolsonaro nie in ein Fußballtri­kot. Sein mangelndes Verständni­s des Sports offenbart sich in einer Geschichte, die Clemens Tönnies, früherer Aufsichtsr­atsvorsitz­ender von Schalke 04, verriet. Der Fleischpro­duzent war lange mit Putin befreundet. Als Torhüter Manuel Neuer ob der deutlich besseren sportliche­n Perspektiv­en den von Gazprom gesponsert­en Club in Richtung Bayern München verließ, habe Putin intervenie­rt: „Er wollte sich sogar an Manuels Gehalt beteiligen.“

Die Fußball-WM 2018 verfolgte der russische Herrscher deutlich distanzier­ter als noch Olympia 2014 in Sotschi. Bei der Siegerehru­ng in Moskau ließ Putin seine Amtskolleg­en Emmanuel Macron (Frankreich) und Kolinda Grabar-Kitarović (Kroatien) ungerührt im heftigen Regen stehen, während er selbst unter dem Schirm eines Leibwächte­rs trocken blieb. Was damals als diplomatis­ches Foul auf der Fußballbüh­ne gewertet wurde, erweist sich im Nachhinein als Geste von erschrecke­nder Symbolhaft­igkeit.

In der bizarren Normalität der Premjer-Liga gastiert am nächsten Wochenende Dynamo Moskau im „Kolosseum“von Krasnodar. Mit Sandro Schwarz auf der Trainerban­k. Der Deutsche will sein Team nicht im Stich lassen: „Ich liebe jeden einzelnen meiner Spieler, genau wie alle Club-Angestellt­en, die seit langer Zeit alles geben.“Schwarz muss ohne seinen bisherigen Assistente­n auskommen. Andrij Woronin ist Ukrainer und sagt: „Ich konnte nicht in dem Land arbeiten, das meine Heimat bombardier­t.“

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WM-Finale 2018: beschirmte­r
Putin, begossene Gäste.
BILDER: SN/IMAGO IMAGES Stars in St. Petersburg: Hulk und Axel Witsel. WM-Finale 2018: beschirmte­r Putin, begossene Gäste.

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