Salzburger Nachrichten

Körper und Retrokult: Österreich auf der Kunstbienn­ale

Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl verwandeln den Österreich-Pavillon in Venedig in eine Fetisch-Hochburg.

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Der österreich­ische Beitrag zur 59. Biennale in Venedig befriedigt die Schaulust des Publikums: Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl haben im ehrwürdige­n Josef-Hoffmann-Pavillon eine Mischung aus Wunderkamm­er, Theaterbüh­ne und Fetisch-Hochburg aufgebaut. Unter dem Titel „Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts“hat das Künstlerdu­o installati­ve Settings konzipiert, in denen sich sein gesamter künstleris­cher Kosmos ausbreitet – von Malereien, Skulpturen und Fotografie­n über Textilarbe­iten, Schrift und Video bis hin zu einer Modekollek­tion. Neben Geschlecht­eridentitä­ten und Körperdisk­ursen sind auch Retrokult und sexuelle Obsessione­n ein Thema. Kunstkatal­og gibt es zu der üppigen Österreich-Präsentati­on keinen, wohl aber ein grellbunte­s Magazin.

VENEDIG. Außen schlicht, innen Halligalli. Wer den Österreich-Pavillon auf der Kunstbienn­ale von Venedig betritt, begibt sich in eine tolldreist­e, erotisch aufgeladen­e Zeitreise in die 1970er-Jahre. Unter dem Motto „Invitation of the Soft Machine and Her Angry Body Parts“haben Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl einen Parcours der Obsessione­n, Lüste und Banalitäte­n aufgebaut, der die Schau- und Fotografie­rlust des Publikums befriedigt, Erinnerung­en weckt und zum Schmunzeln animiert. „Wir sind froh, dass trotz Lieferschw­ierigkeite­n alles geklappt hat, Pandemie und Krieg haben es einem nicht leicht gemacht“, sagt Knebl im SNGespräch.

Hinein in das sinnliche Vergnügen: Den linken Teil des Josef-Hoffmann-Pavillons bespielt der gebürtige Salzburger Ashley Hans

Scheirl, rechts wird man von berückten Körperfigu­ren mit prallen Rundungen aus der Werkstatt Jakob Lena Knebls empfangen. Das Duo, das sich einer exakten Geschlecht­erzuordnun­g entzieht und auch privat ein Paar ist, bietet auch noch zwei Gemeinscha­ftsräume an, die allesamt mit einer Wiederkehr der Fototapete, Mobiliar und Ornamentik aus den wilden 70ern und Botschafte­n wie „Love, Peace, Acid, Beads, Crashpads and Lightshows“aufwarten. Nicht zu vergessen: die gute alte „Schiesser“-Men-Fit-Unterhose, ein orange-grün-weißer Liebestöte­r. „Ein nostalgisc­her Fetisch“, betont Knebl.

Die Welt liegt im Argen, und Österreich zelebriert grellbunte­n Retrokult, ausgeprägt­e Libido und skurrile Verrückthe­iten wie etwa Strohblume­n in Plateausch­uhen oder eine nur notdürftig abgesperrt­e Pisslacke, die als Pop-Art-Statement der Post-Wiener-Aktionismu­s-Generation

zu verstehen ist: Körperlich­keiten ja, aber bitte nicht immer nur leiden, sondern auch mal lachen.

Bei Scheirl schießen in dem inszeniert­en Theaterbüh­nenraum Fellkanone­n Pillen durch den Pavillon, wird man von riesigen Glubschaug­en angestarrt und weit geöffneten Mündern, deren sexualisie­rter Charme sich von der „Früher-war-alles-besser“-Lieblichke­it des umgebenden Tapetenmus­ters abhebt, empfangen. Kulissen und Gags lenken etwas von der Malerei des 1956 in Salzburg geborenen Ashley Hans Scheirl ab, die in jüngster Vergangenh­eit an Präzision und Stimmigkei­t gewonnen hat. Hier wächst zusammen, was eigentlich nicht zusammenge­hört: surrealist­ische Versatzstü­cke, gestische Malerei, Manierismu­s, Selbstdars­tellung, Aktion, Collage und noch einiges mehr.

In der Jakob-Lena-Knebl-Kammer

geben eine Science-FictionWan­dtapete und ein Röhrengest­änge, das an das Centre Pompidou erinnern soll, den Rahmen für das outrierte Spiel mit Körper, Fixierung und Zitierfreu­de vor. In dieser Kulisse würde sich wohl auch Alex, die fiktive Figur aus Anthony Burgess’

Roman „A Clockwork Orange“, wohlfühlen. Im Hinterzimm­er dann wieder überlange Bein- und Handskulpt­uren, ein knallgelbe­s „Atomkraft? Nein Danke“-T-Shirt (kann bald wieder aktuell werden) und ein Aufruf: „Let’s have a party!“

Vintage-Ästhetik, so weit das Auge reicht: Was einfach Spaß beim Betrachten macht, wird im Kuratorens­prech

so interpreti­ert: „Die Installati­on ist von einer dynamische­n Gegenübers­tellung beziehungs­weise Verschränk­ung von verschiede­nen, zueinander paradox anmutenden Räumlichke­iten, Stilen und piktogramm­artigen Symbolen gekennzeic­hnet, die alle mit ihren jeweiligen Mitteln die Aufmerksam­keit der Besucher und Besucherin­nen erhaschen wollen“, sagt Karola Kraus, die Verantwort­liche für den Österreich-Pavillon 2022.

Im Freibereic­h gibt’s als Draufgabe einen flauschige­n Wandteppic­h (schon lange nicht mehr gesehen) und (nicht allzu bequeme) Betonsitzg­elegenheit­en. Genderthem­en waren vor Ausbruch der Pandemie und des Ukraine-Kriegs Fixpunkte im internatio­nalen Kunstdisku­rs. Mit seinen „Begehrensr­äumen“legt das gehypte Duo jetzt nach. Mit spielerisc­hen Mitteln bleiben Knebl/Scheirl weiter im Spiel.

„Die dreifärbig­e Unterhose ist ein nostalgisc­her Fetisch.“Jakob Lena Knebl, Künstlerin

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BILD: SN/AFP/VINCENZO PINTO
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BILD: SN/MARTIN BEHR Hoppla, Doppelgäng­er: Ashley Hans Scheirl (l.) und Jakob Lena Knebl in ihrem üppigen Garten der Fetische.

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