Für Vorarlbergs ÖVP wird es immer enger Steuerschulden und dubiose Geldflüsse
Der Skandal um den Vorarlberger Wirtschaftsbund weitet sich immer mehr aus und bringt auch den Landeshauptmann unter Druck.
BREGENZ. Ausgerechnet die mustergültig funktionierende schwarzgrüne Koalition im „Musterländle“Vorarlberg steht „vor der größten Herausforderung ihres siebenjährigen Bestehens“, wie es ein Insider beschreibt. Ausgerechnet der angesehene Landeshauptmann Markus Wallner „war noch nie so im Eck wie derzeit“, wie man in Vorarlberg hört. Die „Vorarlberger Nachrichten“, die eine wichtige Stimme jenseits des Arlbergs sind, kritisieren in scharfen Tönen den Landeshauptmann und die ÖVP und beschreiben den Wirtschaftsbund als „ÖVP-Kassa“: Die Finanzaffäre der Vorarlberger ÖVP nimmt ein Ausmaß an, das nicht nur den Fortbestand der Landeskoalition, sondern auch die Laufbahn Wallners gefährden könnte.
Und das auch eine bundespolitische Dimension hat. Denn außer Wallner gehören auch zwei ÖVPSpitzenpolitiker auf Bundesebene dem schwer in Schieflage geratenen Vorarlberger Wirtschaftsbund an: Finanzminister Magnus Brunner und der Generalsekretär der Wirtschaftskammer, Karlheinz Kopf. Dass die Bundes-ÖVP immer noch nicht ihren Rechenschaftsbericht für 2019 beim Rechnungshof abgeliefert hat, hat dem Vernehmen nach mit den ungeklärten Geldflüssen innerhalb der Vorarlberger ÖVP (beziehungsweise zwischen Wirtschaftsbund und ÖVP) zu tun.
Spätestens seit Ende März das Finanzamt nach einer Selbstanzeige den Vorarlberger Wirtschaftsbund prüft, kommen fast täglich neue Unregelmäßigkeiten ans Tageslicht. Die Teilorganisation der ÖVP dürfte große Summen an die Partei weitergeleitet haben, ohne diese zu versteuern. Das Geld, das an die ÖVP gegangen sein soll, soll dabei aus dem mittlerweile eingestellten Magazin „Vorarlberger Wirtschaft“stammen, für das eine Firma Anzeigen lukrierte, an der wiederum ExWirtschaftsbund-Chef Jürgen Kessler Anteile hielt. Die Anzeigenpraxis stand schon länger in der Kritik, da Kammerfunktionäre zu Inseraten gedrängt worden sein sollen.
Prüfungsunterlagen legen nun nahe, dass die Inserateneinnahmen, der Gewinn des Wirtschaftsbundes sowie die Geldflüsse an die Landes-ÖVP unzureichend oder gar nicht versteuert wurden. Laut diesen Unterlagen, über die als Erste der ORF Vorarlberg und der „Standard“berichteten, rechnet die Finanz mit bis zu 1,3 Millionen Euro Nachzahlungen an Umsatzsteuer, Körperschaftssteuer und der Steuer auf Zuwendungen. Aus dem Büro des Landeshauptmannes hieß es zuletzt, dass die Vorarlberger Volkspartei keine Spenden oder Sachleistungen des Wirtschaftsbundes erhalten habe, die weiteren Fragen seien Gegenstand eines offenen Steuerverfahrens. Doch es geht nicht mehr nur um Steuerfragen.
Mittlerweile werfen auch Zahlungen an einzelne Funktionäre Fragen auf. So bekam der mittlerweile zurückgetretene Wirtschaftsbund-Direktor Kessler 250.000 Euro als Darlehen für eine Immobilie. Auch eine Zahlung in der Höhe von 24.000 Euro an eine Versicherung mit dem Betreff „Lebensversicherung Walter Natter“(Ex-Wirtschaftsbund-Chef, Anm.) will sich die Finanz näher ansehen.
Landeshauptmann Wallner, dessen ÖVP von dem System profitiert hat, wird sich schwertun, jegliche Mitverantwortung für die Missstände abzustreifen. Denn er ist seit Jahrzehnten mittendrin im System. 1999 wurde Wallner ÖVP-Landesgeschäftsführer, 2003 Klubobmann im Landtag, 2006 als Landesstatthalter die Nummer zwei im Lande. Seit 2011 hat er als LH und ÖVPChef alle Fäden in der Hand. Es gibt wohl nichts in der Vorarlberger ÖVP, das Wallner nicht weiß.
Noch hält sich laut Kathrin Stainer-Hämmerle, Politikwissenschafterin an der Fachhochschule Kärnten und gebürtige Vorarlbergerin, der Schaden für Wallner in Grenzen: „Die Frage ist, wie viel der Landeshauptmann von den konkreten Vorgängen wusste.“Wobei Wallner laut der Politexpertin in der Causa zuletzt nicht immer ganz schlüssig argumentiert hatte. „Einmal war der Wirtschaftsbund laut Wallner ein ,eigenständiger Verein‘. Dann wiederum war der Geldfluss in Richtung ÖVP plötzlich keine Spende mehr, sondern es waren Funktionsbeiträge von einer Vorfeldorganisation der Partei.“
Wie sehr sich die Causa im tiefschwarzen Ländle auf die Wählergunst auswirken wird, ist noch nicht absehbar. Fest steht: Die ÖVP verliert. „In den Umfragen ist es zuletzt für die ÖVP bergab gegangen“, erklärt Stainer-Hämmerle. Laut einer jüngst vom Gallup-Institut durchgeführten Umfrage zeigt sich, dass die Vorarlberger ÖVP derzeit auf 36 Prozent käme, bei der Landtagswahl 2019 waren es 43,5 Prozent. „36 Prozent, das ist natürlich noch immer viel, allerdings wurde die Umfrage erst gleichzeitig mit dem Aufkommen der Causa durchgeführt, das dürfte sich also erst zum Teil niedergeschlagen haben“, so die Politexpertin. Das Wählervertrauen könnte laut der Politologin vor allem von zwei Vorwürfen erschüttert werden: „Erstens, dass Geschäftstreibende quasi zu Inseraten in der Wirtschaftsbundzeitung genötigt wurden, und zweitens, dass die Steuern nicht korrekt abgeführt wurden und sogar vielleicht noch dafür bei der Finanz interveniert wurde.“Aus Sicht der Vorarlberger ÖVP und ihres Obmannes hänge nun alles von folgenden Punkten ab: „Welche Fakten kommen noch auf den Tisch? Was wusste Wallner? Und wie verhält sich der grüne Koalitionspartner? Noch hält die Landesregierung, aber das kann eine Eigendynamik bekommen.“
Um volle Aufklärung zu garantieren, ist aus Sicht von Stainer-Hämmerle auch die Bundes-ÖVP gefordert. „Da muss jetzt das angekündigte Transparenzpaket kommen.“Die ÖVP müsse selbst höchstes Interesse daran haben, klare Regeln zu schaffen. „Sie muss zeigen, dass man solch dubiose Vorgänge hinter sich lassen will.“
Einen Effekt hatte die Affäre bereits auf Landesebene: Die in die Enge getriebene ÖVP stimmte einem strengeren Parteiengesetz zu. Und kommenden Montag findet der erste Sonderlandtag in der Geschichte Vorarlbergs statt. Die Einsetzung eines U-Ausschusses wird erwartet.