Diese Baustellen warten in Frankreich
Von Atomausbau bis zur Einwanderung: Frankreich steht vor weitreichenden Entscheidungen.
Für die Amtszeit des nächsten französischen Staatsoberhaupts zeichnen sich schwierige Entscheidungen ab. Schon in den vergangenen Jahren hatte Präsident Emmanuel Macron die Massenproteste der „Gelbwesten“und die Coronapandemie bewältigen müssen. Nun erwartet ihn – oder, im Fall eines Sieges von Marine Le Pen, seine Nachfolgerin – eine ganze Reihe neuer Großbaustellen.
Energie
Wer auch immer die Wahl gewinnt, muss auf die rasant steigenden Preise für Strom und Gas reagieren. Derzeit ist in Frankreich der Preis staatlich gedeckelt. Es ist auch weitgehend Konsens, die Energieversorgung von russischen Importen unabhängiger zu machen.
Emmanuel Macron will dazu die Atomkraft ausbauen. Er setzt auch aus Klimaschutzgründen auf Nuklearenergie. Sie stößt kaum Treibhausgase aus. Allerdings ist das Atomprogramm graue Theorie. Derzeit sind 26 der 56 Reaktoren vom Netz – bei einigen ist rätselhafte Korrosion in den Kühlsystemen festgestellt worden. Allein die Modernisierung des bestehenden, veralteten Kraftwerksparks würde rund 100 Milliarden Euro kosten. Von Neubauten ist da noch gar nicht die Rede. Zudem verfügt Frankreich über gar kein baufähiges Konzept.
Marine Le Pen würde wohl ebenfalls auf Atomkraft setzen, Klimaschutz ist ihr jedoch kein Anliegen.
Pensionsreform
Derzeit liegt das Pensionsantrittsalter in Frankreich bei 62 Jahren. Macron will es auf 65 anheben – eine Maßnahme, die extrem unpopulär ist. Daher hat der amtierende Präsident bereits angedeutet, im Fall seiner Wiederwahl die Anhebung moderater ausfallen zu lassen.
Die 42 unterschiedlichen Pensionssysteme belasten das französische Sozialsystem stark. Es galt bislang als unreformierbar. In Macrons erster Amtszeit hatte es massive Proteste gegeben, als er die ersten Reformschritte eingeläutet hatte. Wegen der Pandemie verfolgte er die Pläne dann nicht mehr weiter. Emmanuel Macron plädiert nun für eine Mindestpension in Höhe von 1100 Euro.
Politikfrust
Obwohl Macron nach seiner ersten Amtszeit sehr gute Wirtschaftsdaten und eine selten niedrige Arbeitslosigkeit vorzeigen kann, sind laut Umfragen drei von vier Franzosen davon überzeugt, dass ihr Land im Abstieg ist. Die steigenden Preise als Folge des Ukraine-Kriegs tragen zu dieser schlechten Stimmung bei. Dazu kommt die weitverbreitete Ansicht, dass die politischen Eliten in Paris längst den Kontakt zur Bevölkerung verloren haben. Macrons beinahe sprichwörtliche Arroganz verstärkt diesen Eindruck.
Marine Le Pen versuchte, dies im Wahlkampf auszunutzen. Sie vertrete das „Frankreich der Vergessenen“, sagt sie – was ein wenig an Donald Trumps Strategie erinnert, der sich ebenfalls als Sprecher der Modernisierungsverlierer darstellte.
Europapolitik
Für den Präsidenten war die Europapolitik ein Schwerpunkt seiner ersten Amtszeit. Logisch, er gewann 2017 mit einem ausgeprägten Europawahlkampf sein Amt. Emmanuel Macron ist der Überzeugung, dass Frankreich nur im Team Europa stark sein kann.
Die EU-Ratspräsidentschaft, die Frankreich turnusgemäß im Jänner für ein halbes Jahr übernommen hat, bot ihm eine zusätzliche Bühne, für den Ausbau der europäischen Souveränität zu werben.
Der Ukraine-Krieg hat Macrons stetes Eintreten für eine gemeinsame Verteidigung bestärkt und bestätigt. Sollte er gewinnen, wird er diese Politik fortsetzen.
Seine Herausforderin Le Pen ist traditionell europakritisch eingestellt. Sie hat aber ihre früheren Forderungen nach einem EU-Austritt oder einem Abschied vom Euro aufgegeben. Sie meint jedoch, dass Frankreich im Wesentlichen allein bestehen kann, und tritt für ein „Europa der Nationen“ein. Das ist ein alter und schwammiger Begriff der französischen Rechten aus der Zeit Charles de Gaulles. Er will sagen, dass die nationale Souveränität Frankreichs das Allerheiligste ist. Die Realität hat sich allerdings längst in eine andere Richtung entwickelt. Von Covid bis Klimaschutz oder Sicherheitspolitik haben Europas Nationen nur gemeinsam genug Gewicht, um ihre Bevölkerungen zu schützen.
Migration
Einwanderung und Ausländer waren während des Wahlkampfs keine großen Schlager. Die rechtsextreme Marine Le Pen hat auf ihr Lieblingsthema weitgehend verzichtet, um sich wählbarer zu machen. Doch der Umgang mit den Muslimen im Land und mit nicht europäischen Flüchtlingen, die schon länger in Frankreich sind und weiterhin eintreffen, wird Thema bleiben. In Calais hausen nach wie vor Hunderte Migranten, die nach Großbritannien wollen, unter unwürdigen Bedingungen. Macron will die Kontrolle der Außengrenzen der EU stärken. Le Pen würde auch die Kontrollen an den Binnengrenzen wieder einführen.