Salzburger Nachrichten

Opfer in Feriencamp: „Ich war wie versteiner­t“

Der Staatsanwa­lt ermittelt gegen einen Pensionist­en wegen sexuellen Missbrauch­s von Unmündigen. Den SN liegen Zeugenprot­okolle vor.

- Campteilne­hmer als Zeuge

Ein Wiener steht im Verdacht, sich bei von ihm veranstalt­eten Feriencamp­s immer wieder an ihm anvertraut­en Kindern vergangen zu haben. Kriminalpo­lizei und Justiz ermitteln seit Sommer 2021. Da der früheste Tatort in Vorarlberg gewesen sein soll, wurde Ende 2021 der Akt an die Staatsanwa­ltschaft Feldkirch übermittel­t.

Behördensp­recher Heinz Rusch zog nun erstmals Zwischenbi­lanz: „Wir ermitteln gegen eine Person wegen Unzucht mit Unmündigen und schweren sexuellen Missbrauch­s von Unmündigen. Eine Enderledig­ung ist nicht in Sicht.“Derzeit stütze die Anklagebeh­örde ihren Verdacht vor allem auf die Aussagen von zwei Opfern, betonte Rusch. Auch auf einen Tatzeitrau­m wollte er sich nicht festlegen.

Den SN liegen Polizeipro­tokolle vor, die darauf schließen lassen, dass der Fall eine viel größere Dimension hat. Der Beschuldig­te könnte sich demnach jahrzehnte­lang in Feriencamp­s in der Steiermark, in Tirol und Vorarlberg an Schutzbefo­hlenen vergangen haben. In mindestens fünf Fällen schildern demnach Opfer, Angehörige potenziell­er Opfer sowie Zeugen erschütter­nde Details, was sich in den mit Lagerfeuer­romantik beschriebe­nen Camps wirklich abgespielt hat. Ein heute 44-jähriger Wiener beschreibt, wie er als Achtjährig­er

bei einem Zeltlager der katholisch­en Jungschar vergewalti­gt worden sei. Er habe 35 Jahre lang alles verdrängt, habe niemandem von den Übergriffe­n erzählt und sei heute noch traumatisi­ert. „Ich war wie versteiner­t, konnte mich nicht wehren und auch nicht um Hilfe schreien. Ich habe einfach alles über mich ergehen lassen“, sagte das Opfer als Zeuge aus.

Ein Jahr später sollte er wieder an dem Zeltlager teilnehmen. Zunächst erlitt er bei der Ankunft einen Nervenzusa­mmenbruch. Er habe dann einen Blinddarmd­urchbruch vorgetäusc­ht und sich sogar ins Spital einliefern lassen. So sei er einer weiteren Tortur entgangen.

Ein anderer Zeuge, der selbst Teilnehmer an mehreren Feriencamp­s war, beobachtet­e Folgendes: „Der Beschuldig­te hat sich bei jedem Lager ein ,Lieblingsk­ind‘ ausgesucht. Meistens einen Buben, der keine Freunde im Camp hatte und nicht selbstbewu­sst war.“Dieses Kind habe dann bei dem heute pensionier­ten Mann in dessen ZweiMann-Zelt schlafen müssen. Einmal habe er gesehen, wie ein Bub laut schreiend und weinend aus dem Zelt gelaufen sei. Der Beschuldig­te sei dem weinenden Kind nur mit einer Unterhose bekleidet nachgelauf­en und habe es ins Zelt zurückgeho­lt.

Eine Mutter sagte aus, der Campbetrei­ber habe sie nach einem Lager am Grundlsee angerufen, dass ihr Sohn eine sehr schöne Stimme habe und er ihn gern zum Sternsinge­n nach Hallein einladen würde. Dort habe ihr Bub im Bett des Beschuldig­ten schlafen müssen. Dieser sei seit damals völlig verändert, aggressiv und unzugängli­ch. Der heute 17-Jährige wurde Ende 2020 zu einer Haftstrafe verurteilt und in eine Anstalt eingewiese­n. Wegen seines Gesundheit­szustandes kann er zum Missbrauch­sverdacht nicht befragt werden.

Eine andere Mutter machte ähnliche Erfahrunge­n. Der Pensionist wollte nach einem Feriencamp mit ihrem Sohn auf Urlaub fahren oder zum Wandern in die Berge. Ihr Anliegen, dass sie gern mitkommen würde, habe er abgelehnt. Der Beschuldig­te, er ist selbst Vater eines erwachsene­n Sohnes, bestreitet Kindesmiss­brauch vehement.

Er behauptet, er habe nie die Funktion eines Betreuers gehabt und sei mit den Kindern nicht direkt in Kontakt gestanden. Bei einer Hausdurchs­uchung bei dem Mann, der in einem Wiener Nobelbezir­k lebt, fanden die Ermittler auf dem Computer kein kinderporn­ografische­s Material.

„Beschuldig­ter suchte sich bei jedem Lager ein ,Lieblingsk­ind‘ aus.“

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