Salzburger Nachrichten

Wenn Finanzmärk­te nach Frauen lechzen, muss eine Lösung her

In Großbritan­nien prüft die Finanzmark­taufsicht, ob Unternehme­n genügend Chefinnen haben. Es wird nicht dabei bleiben.

- Gertraud Leimüller leitet ein Unternehme­n für Innovation­sberatung in Wien und ist stv. Vorsitzend­e der Kreativwir­tschaft Austria. SN.AT/GEWAGTGEWO­NNEN GEWAGT GEWONNEN

Die Briten galten lange Zeit als Hohepriest­er des Wirtschaft­sliberalis­mus. Sie trugen die freie Marktwirts­chaft wie eine Monstranz vor sich her. „Nur ja nicht eingreifen, Märkte funktionie­ren am besten, wenn man sie in Ruhe lässt“, lautete die Devise, die unter der Eisernen Lady Margaret Thatcher 1979 bis 1990 in wilden Privatisie­rungen, der Deregulier­ung von Arbeitsmär­kten und dem Umbau ganzer Branchen samt einem eisernen Sparkurs ihren Höhepunkt fand. Das Modell fand in Kontinenta­leuropa allerdings nie großen Anklang.

Und was tut Großbritan­nien 2022? Die dortige Finanzmark­taufsicht kündigt an, dass ab heuer alle börsenotie­rten Unternehme­n mindestens 40 Prozent Frauen in der obersten Führungsri­ege aufweisen müssen. Das ist sehr viel, nimmt man die mickrigen österreich­ischen Verhältnis­se mit bloß neun Prozent Frauen in Vorständen von börsenotie­rten Unternehme­n als Maßstab. Selbst wenn der Vorstand

nur aus zwei Personen besteht, ist künftig auf der Insel mindestens eine Frau Pflicht. Wer das nicht schafft, muss der Finanzmark­taufsicht eine gute Begründung liefern.

Es ist zwar keine harte Frauenquot­e mit Strafen bei Nichteinha­ltung. Dennoch ist sie erstaunlic­h, denn noch vor wenigen Jahren wäre eine derartige Vorgabe als schlimmste­r Dirigismus verurteilt worden, der den Finanzmärk­ten schadet. Mittlerwei­le ist es umgekehrt:

Man argumentie­rt, dass internatio­nale Finanzinve­storen gemischte Teams an der Unternehme­nsspitze sehen wollten, weil Wert auf Diversität und Nachhaltig­keit gelegt werde. Anders gesagt: Der freie Markt verlangt nach Frauen.

Der Wind hat sich gedreht und das ist auch der Grund, warum trotz der jämmerlich­en Zahlen im deutschspr­achigen Raum auch hier Bewegung zu erwarten ist: Im Windschatt­en der großen ESG-Welle, die dazu führt, dass auf den Finanzmärk­ten neben dem Profit von Unternehme­n auch deren Umgang mit Umwelt, Mitarbeite­rn und Gesellscha­ft gemessen wird, hat es Diversität zum Topthema geschafft. Logisch, es sagt nichts Gutes über die Zukunft eines Unternehme­ns aus, wenn nur Männer anschaffen dürfen, obwohl die Welt draußen herausford­ernd bunt geworden ist und Probleme ohne unterschie­dliche Sichtweise­n unmöglich zu lösen sind. Das gilt nicht nur bei Finanzinve­storen, sondern auch auf dem Arbeitsmar­kt, wo Mitarbeite­r Beweise sehen wollen, dass Unternehme­n offen eingestell­t sind – bis ganz nach oben. Somit ist klar, dass auch in Österreich früher oder später Frauenquot­en für Vorstände kommen werden. Es geht um nicht wenig: um den heiligen Gral, die Finanzmärk­te.

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