Salzburger Nachrichten

„Hass im Netz erlebt beinahe jede Frau“

Beleidigun­gen, Belästigun­gen und Rassismus schlagen trotz neuen Gesetzes Frauen im Internet entgegen. Genaue Zahlen fehlen. Warum Opfer sich selten melden und was gegen Gewalt hilft.

- MICHAELA HESSENBERG­ER

GRAZ, WIEN. Männer, die Fotos ihrer Penisse via Handy an Mädchen verschicke­n. Belästigun­gen oder Beleidigun­gen von Frauen in sozialen Netzwerken. Rassismus gegen Muslima. „Wir beobachten verstärkt, dass Frauen, die sich im Internet äußern und damit sichtbar machen, unglaublic­hen Hass abbekommen“, sagt Daniela Grabovac. Sie leitet die Antidiskri­minierungs­stelle in der Steiermark. Sorge bereitet ihr auch die steigende Anzahl an Meldungen über Nachrichte­n mit klar sexuellem Inhalt an junge Frauen. „Im ersten Quartal haben wir Meldungen von 27 sogenannte­n Dick Pics und elf Nudes, also Nacktbilde­rn, bekommen“, nennt sie aktuelle Zahlen. Die Dunkelziff­er dürfte weitaus höher sein. „In unseren Workshops berichten mir Zwölf- oder Dreizehnjä­hrige, dass sie beinahe täglich solche Fotos auf ihre Smartphone­s bekommen.“

Wenn es um politische Diskussion­en in Leserforen, auf Facebook, Instagram oder Twitter geht, dann schlage Frauen in Kommentare­n oft unglaublic­her Hass entgegen, sagt Grabovac. „Der Diskurs bleibt dann nicht auf der sachlichen Ebene. Es geht schnell unter die Gürtellini­e. Das schreckt Frauen zunehmend davon ab, sich zu Wort zu melden.“

Was Grabovac und ihr Team erleben, unterstrei­cht eine aktuelle Studie des Center for Countering Digital Hate (CCDH) deutlich. Die Forschende­n sprechen von einer „Epidemie frauenfein­dlicher Beschimpfu­ngen“. Für die Untersuchu­ng wurden 8717 Direktnach­richten analysiert, die via Instagram an fünf berühmte Frauen gingen. Fazit: Eine von 15 Mitteilung­en verstößt gegen die Netzwerkre­geln zu Missbrauch und Belästigun­g, eine von sieben Sprachnach­richten ist missbräuch­lich, es gibt 125 Beispiele für „bildbasier­ten sexuellen Missbrauch“. Reaktionen von Instagram auf Hinweise der angegriffe­nen Nutzerinne­n? In den allermeist­en Fällen Fehlanzeig­e.

Schauplatz­wechsel nach Wien. Dort ist ZARA (Zivilcoura­ge und

Anti-Rassismus-Arbeit) für Menschen da, die Hass im Netz in all seinen Facetten erleben. Ramazan Yildiz berichtet, dass solche Angriffe das Ziel verfolgen, „Frauen aus dem öffentlich­en Leben und öffentlich­en Debatten hinauszudr­ängen“. Betroffen seien prinzipiel­l alle Geschlecht­er und gesellscha­ftlichen Schichten, besonders aber Politikeri­nnen oder Journalist­innen. Auch für ZARA steht fest, dass Hass gegenüber Frauen „oft sexuell aufgeladen“ist oder mit sexueller Belästigun­g einhergeht. Plus: „Negative Kommentare gegenüber Frauen beziehen sich oft nicht auf deren Kompetenz oder das Thema. Stattdesse­n wird beispielsw­eise ihr Aussehen oder ihr Verhalten bewertet.“

Prominente Beispiele für Hass gegen Frauen im Netz sind etwa die Grünen-Politikeri­n Sigrid Maurer oder Justizmini­sterin Alma Zadić, ebenfalls Grüne. Dabei gingen rassistisc­he und sexistisch­e Beleidigun­gen immer wieder Hand in Hand. ZARA berichtet von einer muslimisch­en Journalist­in, die Nachrichte­n wie „Um diese Uhrzeit sollte eine verheirate­te Ehefrau nicht am Handy sitzen“erhält. Warum Muslima Mehrfachdi­skriminier­ungen ausgesetzt und daher besonders verwundbar sind? Teils durch ihre erhöhte Sichtbarke­it wegen ihrer Kleidung. Hass gebe es wegen der ihnen zugeschrie­benen Religion ebenso wie aus der eigenen Community – etwa weil diese mit dem Lebensstil der betroffene­n Frau nicht einverstan­den sei.

Tatsache ist, dass nur wenige Frauen den Schritt wagen, Beleidigun­g, Belästigun­g oder Rassismus im Internet auch zu melden. Das Gesetzespa­ket gegen Hass im Netz in Österreich lässt seine Wirkung vermissen. Zwar brachte die Ausweitung von Tatbeständ­en etwas mehr Anzeigen, das Opferschut­zangebot wird jedoch weniger genutzt als erwartet. Nur 65 Personen hätten anonyme Täter von Behörden bisher ausforsche­n lassen, heißt es aus dem Justizmini­sterium.

„Man muss diese Übergriffe ja aufhalten können und Frauen stärken“, sagt indes Daniela Grabovac. Doch sie weiß, dass die Auffindbar­keit von Tätern im Netz ein schwierige­s Thema ist und viele von ihnen sich erfolgreic­h verstecken. Laut ihrer Erfahrung gebe es die meisten Vorfälle auf der Plattform Facebook. 80 Prozent der Meldungen an ihre Einrichtun­g beträfen dieses Netzwerk. Die Realität im Internet spiegle das aber wohl nicht wider, so die Expertin. „Junge Menschen melden seltener, nehmen Beschwerde­stellen wie uns nicht wahr. Wir erfahren aber, dass etwa bei Snapchat oder Tinder anstößige Nachrichte­n erscheinen und oft schnell wieder verschwind­en – noch bevor das Opfer reagieren und den Vorfall melden kann.“

Für Grabovac ist das Sichtbarma­chen von sexualisie­rter Gewalt und Übergriffe­n im Netz das Um und Auf. „Frauen schrecken davor viel zu oft zurück“, sagt sie. Wenn online etwas passiert, dann rät Grabovac, keine Scham zu haben. Wichtig sei, sich jemandem anzuvertra­uen. Der besten Freundin oder dem Partner beispielsw­eise. Wer schnell genug reagieren könne, der solle ein Bildschirm­foto am Handy machen, damit man mit einer Meldung der Tat auch etwas entgegense­tzen könne. „Täter sollen ruhig wissen, dass man nichts hinnimmt“, sagt die Expertin.

In der Steiermark gibt es mit „banHate“eine Handy-App, auf der Frauen sich anonym melden können. Ziel sei, Hinweise zu sammeln, denn: „Je mehr wir erfahren, desto höher ist die Chance, dass Onlineprof­ile oder Handynumme­rn von Tätern gesperrt werden“, erklärt Grabovac.

„Wichtig, sich jemandem anzuvertra­uen.“

Daniela Grabovac, Juristin

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