„Hass im Netz erlebt beinahe jede Frau“
Beleidigungen, Belästigungen und Rassismus schlagen trotz neuen Gesetzes Frauen im Internet entgegen. Genaue Zahlen fehlen. Warum Opfer sich selten melden und was gegen Gewalt hilft.
GRAZ, WIEN. Männer, die Fotos ihrer Penisse via Handy an Mädchen verschicken. Belästigungen oder Beleidigungen von Frauen in sozialen Netzwerken. Rassismus gegen Muslima. „Wir beobachten verstärkt, dass Frauen, die sich im Internet äußern und damit sichtbar machen, unglaublichen Hass abbekommen“, sagt Daniela Grabovac. Sie leitet die Antidiskriminierungsstelle in der Steiermark. Sorge bereitet ihr auch die steigende Anzahl an Meldungen über Nachrichten mit klar sexuellem Inhalt an junge Frauen. „Im ersten Quartal haben wir Meldungen von 27 sogenannten Dick Pics und elf Nudes, also Nacktbildern, bekommen“, nennt sie aktuelle Zahlen. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein. „In unseren Workshops berichten mir Zwölf- oder Dreizehnjährige, dass sie beinahe täglich solche Fotos auf ihre Smartphones bekommen.“
Wenn es um politische Diskussionen in Leserforen, auf Facebook, Instagram oder Twitter geht, dann schlage Frauen in Kommentaren oft unglaublicher Hass entgegen, sagt Grabovac. „Der Diskurs bleibt dann nicht auf der sachlichen Ebene. Es geht schnell unter die Gürtellinie. Das schreckt Frauen zunehmend davon ab, sich zu Wort zu melden.“
Was Grabovac und ihr Team erleben, unterstreicht eine aktuelle Studie des Center for Countering Digital Hate (CCDH) deutlich. Die Forschenden sprechen von einer „Epidemie frauenfeindlicher Beschimpfungen“. Für die Untersuchung wurden 8717 Direktnachrichten analysiert, die via Instagram an fünf berühmte Frauen gingen. Fazit: Eine von 15 Mitteilungen verstößt gegen die Netzwerkregeln zu Missbrauch und Belästigung, eine von sieben Sprachnachrichten ist missbräuchlich, es gibt 125 Beispiele für „bildbasierten sexuellen Missbrauch“. Reaktionen von Instagram auf Hinweise der angegriffenen Nutzerinnen? In den allermeisten Fällen Fehlanzeige.
Schauplatzwechsel nach Wien. Dort ist ZARA (Zivilcourage und
Anti-Rassismus-Arbeit) für Menschen da, die Hass im Netz in all seinen Facetten erleben. Ramazan Yildiz berichtet, dass solche Angriffe das Ziel verfolgen, „Frauen aus dem öffentlichen Leben und öffentlichen Debatten hinauszudrängen“. Betroffen seien prinzipiell alle Geschlechter und gesellschaftlichen Schichten, besonders aber Politikerinnen oder Journalistinnen. Auch für ZARA steht fest, dass Hass gegenüber Frauen „oft sexuell aufgeladen“ist oder mit sexueller Belästigung einhergeht. Plus: „Negative Kommentare gegenüber Frauen beziehen sich oft nicht auf deren Kompetenz oder das Thema. Stattdessen wird beispielsweise ihr Aussehen oder ihr Verhalten bewertet.“
Prominente Beispiele für Hass gegen Frauen im Netz sind etwa die Grünen-Politikerin Sigrid Maurer oder Justizministerin Alma Zadić, ebenfalls Grüne. Dabei gingen rassistische und sexistische Beleidigungen immer wieder Hand in Hand. ZARA berichtet von einer muslimischen Journalistin, die Nachrichten wie „Um diese Uhrzeit sollte eine verheiratete Ehefrau nicht am Handy sitzen“erhält. Warum Muslima Mehrfachdiskriminierungen ausgesetzt und daher besonders verwundbar sind? Teils durch ihre erhöhte Sichtbarkeit wegen ihrer Kleidung. Hass gebe es wegen der ihnen zugeschriebenen Religion ebenso wie aus der eigenen Community – etwa weil diese mit dem Lebensstil der betroffenen Frau nicht einverstanden sei.
Tatsache ist, dass nur wenige Frauen den Schritt wagen, Beleidigung, Belästigung oder Rassismus im Internet auch zu melden. Das Gesetzespaket gegen Hass im Netz in Österreich lässt seine Wirkung vermissen. Zwar brachte die Ausweitung von Tatbeständen etwas mehr Anzeigen, das Opferschutzangebot wird jedoch weniger genutzt als erwartet. Nur 65 Personen hätten anonyme Täter von Behörden bisher ausforschen lassen, heißt es aus dem Justizministerium.
„Man muss diese Übergriffe ja aufhalten können und Frauen stärken“, sagt indes Daniela Grabovac. Doch sie weiß, dass die Auffindbarkeit von Tätern im Netz ein schwieriges Thema ist und viele von ihnen sich erfolgreich verstecken. Laut ihrer Erfahrung gebe es die meisten Vorfälle auf der Plattform Facebook. 80 Prozent der Meldungen an ihre Einrichtung beträfen dieses Netzwerk. Die Realität im Internet spiegle das aber wohl nicht wider, so die Expertin. „Junge Menschen melden seltener, nehmen Beschwerdestellen wie uns nicht wahr. Wir erfahren aber, dass etwa bei Snapchat oder Tinder anstößige Nachrichten erscheinen und oft schnell wieder verschwinden – noch bevor das Opfer reagieren und den Vorfall melden kann.“
Für Grabovac ist das Sichtbarmachen von sexualisierter Gewalt und Übergriffen im Netz das Um und Auf. „Frauen schrecken davor viel zu oft zurück“, sagt sie. Wenn online etwas passiert, dann rät Grabovac, keine Scham zu haben. Wichtig sei, sich jemandem anzuvertrauen. Der besten Freundin oder dem Partner beispielsweise. Wer schnell genug reagieren könne, der solle ein Bildschirmfoto am Handy machen, damit man mit einer Meldung der Tat auch etwas entgegensetzen könne. „Täter sollen ruhig wissen, dass man nichts hinnimmt“, sagt die Expertin.
In der Steiermark gibt es mit „banHate“eine Handy-App, auf der Frauen sich anonym melden können. Ziel sei, Hinweise zu sammeln, denn: „Je mehr wir erfahren, desto höher ist die Chance, dass Onlineprofile oder Handynummern von Tätern gesperrt werden“, erklärt Grabovac.
„Wichtig, sich jemandem anzuvertrauen.“
Daniela Grabovac, Juristin