Salzburger Nachrichten

„Biogas ist zu wertvoll, um es zu verheizen“

Experten hoffen, dass der Ukraine-Krieg den Gasausstie­g beschleuni­gt. Woher ökologisch­e Alternativ­en kommen, ist aber noch offen.

- STEFAN VEIGL

WIEN. Um auf die globalen Umweltprob­leme aufmerksam zu machen, wird am 22. April der „Earth Day“gefeiert. Das heurige Motto: „Invest in Our Planet“. Als aktuelle Frage drängt sich der aufgrund des Ukraine-Kriegs geforderte schnellere Ausstieg aus Erdgas auf, der Milliarden­investitio­nen bedeutet. Die renommiert­e deutsche Energieexp­ertin Claudia Kemfert hat jüngst angesichts des Kriegs gemeint, dass dieser sogar ein Booster für die Energiewen­de sein könnte. Anderersei­ts hat in Österreich die Wirtschaft­skammer gefordert, aufgrund der Energiepre­israllye die geplante CO2Steuer auszusetze­n.

Günter Pauritsch, Experte der Österreich­ischen Energieage­ntur, sieht es ähnlich wie Kemfert. Der Ukraine-Krieg habe die Vorteile, die für Erdgas als billigen und stabil verfügbare­n Energieträ­ger gesprochen hätten, relativier­t: „Wir haben bei der Verbrennun­g immer noch das CO2-Problem. Zudem ist Gas massiv teurer geworden. Und angesichts des Kriegs muss die Versorgung­ssicherhei­t neu bewertet werden.“Bisher hat Österreich den Gasausstie­g mit dem Jahr 2040 angestrebt, nun hätten sich die Gründe für einen rascheren Ausstieg vervielfäl­tigt: „Denn der Krieg hat die Rahmenbedi­ngungen für Energiewen­de völlig geändert.“

Aber wie schnell ist der Gasausstie­g realistisc­h? Der Großteil davon wird heute von der Industrie und von Kraftwerke­n, die Strom und Wärme herstellen, verbraucht. Danach folgen die Haushalte. Allein in Wien gibt es 440.000 Gasheizung­en; österreich­weit sind es 900.000. Pauritsch spricht von einem längeren Prozess, rechnet nun aber mit einer Beschleuni­gung: „Wesentlich­e Faktoren sind hier der jeweilige Heizungsta­usch, thermische Sanierung der Gebäude, um den Wärmebedar­f zu senken, und der Erdgasauss­tieg der Industrie.“

Weiters müssten auch die Fernwärmen­etze in den Ballungsze­ntren von Erdgas auf erneuerbar­e Energien umgestellt werden: „In Wien gibt es Pläne für Geothermie­Tiefenbohr­ungen. Außerdem setzt man auf Groß-Wärmepumpe­n, feste Biomasse sowie Biomethan“, sagt er. Seine Conclusio: „Letztlich muss man sich jeden Wohnblock separat ansehen.“Wesentlich seien auch Maßnahmen, um die Energieeff­izienz zu steigern. Bei Gebäuden bedeute das thermische Sanierung:

„Bei einem Einfamilie­nhaus kann der Energiebed­arf für Raumwärme damit im Schnitt um 50 Prozent gesenkt werden.“Beim mehrgescho­ßigen Wohnbau hänge der Sanierungs­erfolg hauptsächl­ich von Alter und Bauzustand des Hauses ab, sagt der Experte.

Stichwort: grünes Gas. Woher soll es kommen? Die Energieage­ntur hat Mitte 2021 errechnet, wie hoch das Potenzial für dessen Erzeugung in Österreich ist: „Es sind bis zum Jahr 2040 bis zu 20 Terawattst­unden (TWh, Anm.) pro Jahr möglich,“sagt Pauritsch. Allerdings: Die Nachfrage aus Industrie, Energiebra­nche, Güter-, Flug- und öffentlich­em Verkehr wird 2040 (auch ohne Raumwärme) deutlich höher sein. Sie wird je nach Szenario bei 89 TWh im Jahr liegen – dem derzeitige­n Erdgas-Jahresverb­rauch – oder auf bis zu 138 TWh hinaufklet­tern. Berechnet wurde in der Studie, ob die Gasinfrast­ruktur bis 2040 so bleiben wird, wie sie ist – („Szenario Infrastruk­turnutzung“), oder, ob es zusätzlich­e Infrastruk­tur gibt samt weitreiche­ndem Energiespa­ren („Szenario Energieeff­izienz“). Fix ist aber: 2040 übersteige die Nachfrage das Biomethana­ngebot sicher um ein Vielfaches, nämlich um das rund 4,5- bis 7-Fache, sagt Pauritsch.

Für den Energieexp­erten ist daher klar: „Österreich wird künftig erneuerbar­e Gase importiere­n müssen – in Form von grünem Wasserstof­f oder Biomethan.“Auch jetzt importiere man rund zwei Drittel der Energie in Form von Erdgas und -öl; 2021 hat Österreich Gas um 4,2 Milliarden Euro eingeführt. Der Appell des Experten: „Biogas oder grüner Wasserstof­f sind aber zu wertvoll, um sie nur zum Heizen von Räumen zu verwenden.“Er betont daher, dass der Raumwärmeb­edarf anders gedeckt werden müsse. Denn es gebe Bereiche, in denen man nicht auf gasförmige Energieträ­ger verzichten könne: Etwa bei den industriel­len Hochtemper­aturprozes­sen wie der Glasherste­llung oder der Eisen- und Stahlerzeu­gung. „Es ist nicht sinnvoll, ein Gas mit 2000 Grad zu verbrennen, um damit 20 Grad Zimmertemp­eratur zu erreichen“, bringt es Pauritsch plakativ auf den Punkt.

Grüner Wasserstof­f wird aus Wasser mittels ökostromin­tensiver Elektrolys­e erzeugt. Für Österreich gibt es hier laut Gesetz ein Ziel bis 2030 von jährlich fünf TWh an Inlandserz­eugung. Pauritsch geht aber davon aus, dass sich jetzt auch dieses Ziel schneller erfüllen lassen könnte.

Eine weitere Idee ist es, grünen Wasserstof­f in der Sahara mittels Strom aus Photovolta­ik zu erzeugen: So ein Projekt hat Italiens Premier Draghi kürzlich bei seinem Algerien-Besuch angekündig­t. Pauritsch sieht hier viel Potenzial: „Auch für die heimische Industrie wird grüner Wasserstof­f eine große Rolle spielen. Er wird mittels Tanker oder Pipelines in die EU kommen. Es gilt hier Strategien zu entwickeln, um in Zukunft Abhängigke­iten wie heute beim Erdgas zu vermeiden.“

„Müssen grünes Gas importiere­n.“Günter Pauritsch, Österr. Energieage­ntur

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