„Biogas ist zu wertvoll, um es zu verheizen“
Experten hoffen, dass der Ukraine-Krieg den Gasausstieg beschleunigt. Woher ökologische Alternativen kommen, ist aber noch offen.
WIEN. Um auf die globalen Umweltprobleme aufmerksam zu machen, wird am 22. April der „Earth Day“gefeiert. Das heurige Motto: „Invest in Our Planet“. Als aktuelle Frage drängt sich der aufgrund des Ukraine-Kriegs geforderte schnellere Ausstieg aus Erdgas auf, der Milliardeninvestitionen bedeutet. Die renommierte deutsche Energieexpertin Claudia Kemfert hat jüngst angesichts des Kriegs gemeint, dass dieser sogar ein Booster für die Energiewende sein könnte. Andererseits hat in Österreich die Wirtschaftskammer gefordert, aufgrund der Energiepreisrallye die geplante CO2Steuer auszusetzen.
Günter Pauritsch, Experte der Österreichischen Energieagentur, sieht es ähnlich wie Kemfert. Der Ukraine-Krieg habe die Vorteile, die für Erdgas als billigen und stabil verfügbaren Energieträger gesprochen hätten, relativiert: „Wir haben bei der Verbrennung immer noch das CO2-Problem. Zudem ist Gas massiv teurer geworden. Und angesichts des Kriegs muss die Versorgungssicherheit neu bewertet werden.“Bisher hat Österreich den Gasausstieg mit dem Jahr 2040 angestrebt, nun hätten sich die Gründe für einen rascheren Ausstieg vervielfältigt: „Denn der Krieg hat die Rahmenbedingungen für Energiewende völlig geändert.“
Aber wie schnell ist der Gasausstieg realistisch? Der Großteil davon wird heute von der Industrie und von Kraftwerken, die Strom und Wärme herstellen, verbraucht. Danach folgen die Haushalte. Allein in Wien gibt es 440.000 Gasheizungen; österreichweit sind es 900.000. Pauritsch spricht von einem längeren Prozess, rechnet nun aber mit einer Beschleunigung: „Wesentliche Faktoren sind hier der jeweilige Heizungstausch, thermische Sanierung der Gebäude, um den Wärmebedarf zu senken, und der Erdgasausstieg der Industrie.“
Weiters müssten auch die Fernwärmenetze in den Ballungszentren von Erdgas auf erneuerbare Energien umgestellt werden: „In Wien gibt es Pläne für GeothermieTiefenbohrungen. Außerdem setzt man auf Groß-Wärmepumpen, feste Biomasse sowie Biomethan“, sagt er. Seine Conclusio: „Letztlich muss man sich jeden Wohnblock separat ansehen.“Wesentlich seien auch Maßnahmen, um die Energieeffizienz zu steigern. Bei Gebäuden bedeute das thermische Sanierung:
„Bei einem Einfamilienhaus kann der Energiebedarf für Raumwärme damit im Schnitt um 50 Prozent gesenkt werden.“Beim mehrgeschoßigen Wohnbau hänge der Sanierungserfolg hauptsächlich von Alter und Bauzustand des Hauses ab, sagt der Experte.
Stichwort: grünes Gas. Woher soll es kommen? Die Energieagentur hat Mitte 2021 errechnet, wie hoch das Potenzial für dessen Erzeugung in Österreich ist: „Es sind bis zum Jahr 2040 bis zu 20 Terawattstunden (TWh, Anm.) pro Jahr möglich,“sagt Pauritsch. Allerdings: Die Nachfrage aus Industrie, Energiebranche, Güter-, Flug- und öffentlichem Verkehr wird 2040 (auch ohne Raumwärme) deutlich höher sein. Sie wird je nach Szenario bei 89 TWh im Jahr liegen – dem derzeitigen Erdgas-Jahresverbrauch – oder auf bis zu 138 TWh hinaufklettern. Berechnet wurde in der Studie, ob die Gasinfrastruktur bis 2040 so bleiben wird, wie sie ist – („Szenario Infrastrukturnutzung“), oder, ob es zusätzliche Infrastruktur gibt samt weitreichendem Energiesparen („Szenario Energieeffizienz“). Fix ist aber: 2040 übersteige die Nachfrage das Biomethanangebot sicher um ein Vielfaches, nämlich um das rund 4,5- bis 7-Fache, sagt Pauritsch.
Für den Energieexperten ist daher klar: „Österreich wird künftig erneuerbare Gase importieren müssen – in Form von grünem Wasserstoff oder Biomethan.“Auch jetzt importiere man rund zwei Drittel der Energie in Form von Erdgas und -öl; 2021 hat Österreich Gas um 4,2 Milliarden Euro eingeführt. Der Appell des Experten: „Biogas oder grüner Wasserstoff sind aber zu wertvoll, um sie nur zum Heizen von Räumen zu verwenden.“Er betont daher, dass der Raumwärmebedarf anders gedeckt werden müsse. Denn es gebe Bereiche, in denen man nicht auf gasförmige Energieträger verzichten könne: Etwa bei den industriellen Hochtemperaturprozessen wie der Glasherstellung oder der Eisen- und Stahlerzeugung. „Es ist nicht sinnvoll, ein Gas mit 2000 Grad zu verbrennen, um damit 20 Grad Zimmertemperatur zu erreichen“, bringt es Pauritsch plakativ auf den Punkt.
Grüner Wasserstoff wird aus Wasser mittels ökostromintensiver Elektrolyse erzeugt. Für Österreich gibt es hier laut Gesetz ein Ziel bis 2030 von jährlich fünf TWh an Inlandserzeugung. Pauritsch geht aber davon aus, dass sich jetzt auch dieses Ziel schneller erfüllen lassen könnte.
Eine weitere Idee ist es, grünen Wasserstoff in der Sahara mittels Strom aus Photovoltaik zu erzeugen: So ein Projekt hat Italiens Premier Draghi kürzlich bei seinem Algerien-Besuch angekündigt. Pauritsch sieht hier viel Potenzial: „Auch für die heimische Industrie wird grüner Wasserstoff eine große Rolle spielen. Er wird mittels Tanker oder Pipelines in die EU kommen. Es gilt hier Strategien zu entwickeln, um in Zukunft Abhängigkeiten wie heute beim Erdgas zu vermeiden.“
„Müssen grünes Gas importieren.“Günter Pauritsch, Österr. Energieagentur