Die Literatur über künstliche Intelligenz menschelt
Österreichische und ägyptische Autorinnen und Autoren haben sich mit der neuen Technik auseinandergesetzt – und den Menschen ins Zentrum gestellt.
Das Thema künstliche Intelligenz beschäftigt unsere Welt nicht erst seit heute. Das stellt Thomas Ballhausen, der am Mozarteum im Department für Bühnenbild forscht und unterrichtet, bereits zu Beginn des Gesprächs mit den „Salzburger Nachrichten“klar – und erweitert den Zeithorizont gleich beträchtlich: Bereits in antiken Quellen würden mechanische Wesen als eine Art Diener beschrieben. Auch im Mittelalter und besonders in der Renaissance hätten Autoren stark auf das Thema reflektiert. Als Beispiele für zeitgenössische Schriftsteller, die dieses Genre behandeln, nennt Ballhausen den Briten Ian McEwan und den USamerikanischen Science-FictionAutor William Gibson. Angesprochen auf den polnischen Science-Fiction-Autor Stanisław Lem (1921–2006), einen bekannten Protagonisten dieser Szene, verweist Ballhausen auf dessen Text
„Die Waschmaschinentragödie“: In dieser Kurzgeschichte werden immer weiter reichende Aufgaben, von der Kindererziehung bis hin zum Dichten von Sonetten, an Waschmaschinen ausgelagert …
„Science-Fiction wird oft belächelt, das finde ich falsch“, sagt Ballhausen, „denn Science-Fiction ist das Erzählen über die Wissenschaften. Die Literatur hat da eine reflektierende, teilweise auch warnende Funktion, aber sie schafft auch Begriffe. Vergessen wir nicht, dass viele mittlerweile geläufige Begriffe wie Cyberspace oder Virtual
Reality ursprünglich aus der Literatur kommen.“Daran anknüpfend beschäftigt Ballhausen der Gedanke, „dass die Künste auf eine Weise Dinge infrage stellen, die die Wissenschaft nicht ablösen, sondern konstruktiv ergänzen“. Literatur habe immer wieder technologische Entwicklungen antizipiert: „Sie kann uns helfen, einen anderen und geschärften Blick auf bestimmte Entwicklungen zu haben. Denn als Schriftsteller interessiert mich nicht nur, wie wir diese Mechanismen nutzen, sondern wie die Literatur künstliche Intelligenz kritisch reflektiert – ich möchte mich ja ungern abschaffen lassen.“
Diesen literarisch-antizipierendreflektierenden Zugang konnte Ballhausen im Vorjahr auf der vom österreichischen Außenministerium
geförderten Schiene „Internationale Literaturdialoge“konkretisieren und mit künstlerischem Leben erfüllen: Unter dem Leitgedanken „Literatur trifft Artificial Intelligence (AI)“eröffnete Ballhausen einen Dialog zwischen jeweils drei ägyptischen und österreichischen Autorinnen und Autoren, die mit ihren Texten und dem Austausch darüber die Allgegenwart technischer Applikationen und die damit einhergehenden Einflüsse künstlicher Intelligenz kritisch reflektieren.
Der von Ballhausen initiierte und moderierte Austausch zwischen den österreichischen und ägyptischen Autoren fand mithilfe von OnlineLabs statt. Die Technik, über die man nachdachte, sprach und schrieb, war somit gleichzeitig das Medium und die Form des Miteinanders. Bei allen unterschiedlichen literarischen Strategien der Autorinnen und Autoren stand
„das Verbindende im Vordergrund“, beschreibt Ballhausen die Dynamik dieses Austauschs, „und sehr schnell hat auch das Element des Humors eine große Rolle gespielt – im Umgang mit Technik, aber auch im Scheitern an der Technik“.
Eine große Rolle spielten Fragen nach Einund Ausschlussmechanismen
und daran anschließend die Frage der Gerechtigkeit: Was tut künstliche Intelligenz mit unserer Identität? Was macht sie mit unserem sozialen Gefüge? Wie fordert uns dieses Thema, das bleiben wird, neu heraus? „Die Leichtigkeit des Austauschs und die Ernsthaftigkeit des Themas, wenn AI beispielsweise in menschenfeindlichen Szenarien auftaucht, haben sich nicht ausgeschlossen“, sagt Ballhausen und nennt als eine für ihn „sehr schöne und ermutigende Überraschung dieses Projekts, dass der Mensch weiterhin im Zentrum steht: Da sind sehr menschliche Storys rausgekommen.“Diese werden als bleibendes Ergebnis dieses Austauschs in einer zweisprachigen, auf Deutsch und Arabisch erstellten Anthologie im Verlag Edition Atelier erscheinen.
Nach einer öffentlichen Onlineveranstaltung in Kooperation mit dem Kulturforum Kairo wird das Projekt auch im Rahmen der „Langen Nacht der Forschung“am 20. Mai 2022 präsentiert. Initiator Ballhausen freut zudem, dass die Autoren bereits über das Projekt hinaus weiter in Kontakt sind und im Dialog bleiben: „Literatur kann und soll sich mit dem Thema beschäftigen, ohne sich vor irgendeinen Karren spannen zu lassen. Das ist Teil unseres Lebens, aber wie wir den fassbar und diskutierbar machen können, das leisten diese Texte.“
„Science-Fiction wird oft belächelt, das finde ich falsch.“