Salzburger Nachrichten

Wenn die Preise heiß sind, ist ein kühler Kopf gefragt

Die kalte Progressio­n abzuschaff­en ist eine gute Idee. Aber jenen, die unter der hohen Inflation besonders stark leiden, muss man anders helfen.

- Richard Wiens RICHARD.WIENS@SN.AT

Direkte Transfers helfen schnell und punktgenau

Die in den vergangene­n Monaten in lichte Höhen gestiegene Inflation bringt viele Menschen unter Druck und ärmere Haushalte an finanziell­e Grenzen. Konnten sie schon bisher kein Geld sparen, weil das laufende Einkommen gerade ausreicht, um den Lebensunte­rhalt zu bestreiten, bedeuten die hohen Preise, dass sie sich vieles nicht mehr leisten können oder sich verschulde­n müssen.

Die aktuelle Inflations­rate, die mit 6,8 Prozent so hoch ist wie zuletzt vor vierzig Jahren, bringt auch Regierende unter Druck. Sie können nicht tatenlos zusehen, wie Hunderttau­sende Personen an den Rand der finanziell­en Existenz geraten. Wie in anderen Ländern hat auch die österreich­ische Regierung Maßnahmen ergriffen, um die Teuerung abzufedern. Man habe rasch und massiv reagiert, sagt Finanzmini­ster Magnus Brunner und verweist auf beschlosse­ne Entlastung­spakete in Höhe von 4 Mrd. Euro.

Ja, aber die werden nicht reichen, weil sie etwa keine Abhilfe gegen die gestiegene­n Wohnkosten schaffen, gegen die es kein Entrinnen gibt, während man beim Einkaufen oder Autofahren noch sparen kann.

Die Auseinande­rsetzung, wie die öffentlich­e Hand am besten helfen kann, belebt eine in Österreich wiederkehr­ende Debatte – jene über die Abschaffun­g der kalten Progressio­n in der Lohn- und Einkommens­teuer. Die beschreibt den Effekt, dass ein Teil der Lohn- und Gehaltserh­öhungen nicht beim Empfänger ankommt, weil der Steuertari­f die Inflation nicht berücksich­tigt und der Fiskus mitnascht. Gerade die wohl richtige Annahme, dass die Inflations­raten zwar wieder zurückgehe­n, aber mittelfris­tig höher sein werden als im vergangene­n Jahrzehnt, lässt den Ruf nach Abschaffen der kalten Progressio­n zu Recht laut werden.

Im Regierungs­übereinkom­men haben sich ÖVP und Grüne dazu alles offengelas­sen. Dort heißt es zur kalten Progressio­n: „Prüfung einer adäquaten Anpassung der Grenzbeträ­ge für die Progressio­nsstufen auf Basis der Inflation der Vorjahre unter Berücksich­tigung der Verteilung­seffekte.“Brunner hat eine Arbeitsgru­ppe mit dieser Prüfung beauftragt, für ihn ist das Aus der kalten Progressio­n „eine Möglichkei­t“.

Das klingt noch vage und ist aus Sicht des Finanzmini­sters nachvollzi­ehbar. Denn die kalte Progressio­n ist politisch ein heißes Eisen. Mit ihr gäbe die Politik ein Instrument aus der Hand, das ihr gute Dienste geleistet hat. Oft verdächtig nahe an Wahltermin­en, wenn es galt, das staatliche Füllhorn über Bürgern und Bürgerinne­n auszuschüt­ten, wurde verteilt, was der Fiskus davor eingestrei­ft hatte. Diesen Griff in die Taschen der Steuerzahl­er künftig zu unterlasse­n stünde dem Staat gut an. Dass es geht, zeigt ein Blick über die Grenzen. Schweden und Norwegen orientiere­n sich beim Anpassen der Tarife und Freibeträg­e an der Entwicklun­g der Nominallöh­ne, die Schweiz hat die jährliche automatisc­he Anpassung des Steuertari­fs an die Inflation sogar in der Verfassung verankert.

Es spricht also einiges dafür, die kalte Progressio­n abzuschaff­en. Es verstetigt sich damit die Steuerlast und die Bürger sind nicht davon abhängig, ob sich eine Regierung dazu aufschwing­t, die über die Inflation erzielten Mehreinnah­men zurückzuge­ben. Im Durchschni­tt kommen über eine Legislatur­periode damit 2 bis 3 Mrd. Euro zusammen, das ist ein Drittel bis die Hälfte des Volumens einer Steuerrefo­rm. Für die Politik hätte es den positiven Nebeneffek­t, dass eine lästige Debatte ein für alle Mal ein Ende hätte.

Aber man soll sich nichts vormachen, das Abschaffen der kalten Progressio­n löst die aktuellen Probleme nicht. Der sprunghaft­e Anstieg der Marktpreis­e – von Energie über Lebensmitt­el bis zum Wohnen – kann nicht über den Steuertari­f abgegolten werden. Die hohen Preise sind nicht von einer überhitzte­n Konjunktur getrieben, sondern seit 24. Februar von Angst und seit der Pandemie von Engpässen beim Angebot. Gegen diese Art der Inflation kann auch die Geldpoliti­k nicht viel ausrichten, wiewohl eine Zinserhöhu­ng allein als Signal, dass man hohe Inflation auf Dauer nicht zulässt, überfällig ist. Ein Normalisie­ren der Zinsen könnte auch dämpfend auf die Preise für Immobilien wirken, die von der Flucht der Investoren in diese Anlageklas­se getrieben sind.

Kurzfristi­g helfen gegen die hohe Inflation am besten direkte Transfers an stark betroffene Bevölkerun­gsgruppen und Steuersenk­ungen. Nur so verhindert man, dass Essen und Wohnen vom Grundbedür­fnis zum Luxus werden.

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WWW.SN.AT/WIZANY Die unstillbar­en Zwillinge . . .
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