Sie haben den Waffenstillstand abgelehnt In der Ukraine wird Ostern also keine Versöhnung bringen
Ostern ist ein Familienfest, ein Fest der Hoffnung. Hoffentlich bringt es zumindest keine neuen Kriegsschauer.
Am Tag vor der Abreise hole ich zwei Weidenkörbe ab, die ich für meine Mutter und meine Schwägerin bestellt habe. Das sind meine Ostergeschenke. Mama wird sich bestimmt sehr darüber freuen. In Weidenkörben tragen wir immer früh am Sonntagmorgen die bemalten Eier und das Ostergebäck Paska in die Kirche, um sie mit heiligem Wasser weihen zu lassen und „die Frohe Botschaft“zu hören. Die ganze Familie muss unbedingt dabei sein.
In unserer Familie ist meine Mama die „Religionsbeauftragte“. Nicht dass man religiöses Gefühl delegieren könnte. Sie fühlt sich einfach verpflichtet, uns an Gott zu erinnern. Ihr Ururgroßvater war ein Priester der orthodoxen Kirche. Im Gästezimmer haben wir eine von seinem Enkel gemalte Ikone, auf der Maria in purpurfarbenem Kleid und dunkelgrüner Robe ihr Kind in den Händen hält.
Meine Bekannte aus Österreich schickt mir ein Video, wo zwei kleine Zwillingsbuben sich umarmen. Der eine hat eine russische und der andere eine ukrainische Flagge auf der Wange. Danach schauen sie in die Kamera und drohen mit ihren kleinen Fingern. Ganz am Ende steht groß geschrieben der Spruch „NET VOJNE“, „Kein Krieg“. Ich prüfe noch, wer das gefilmt hat: Das Video kommt aus Usbekistan.
Die schönen Bilder der Versöhnung mögen für viele lieb und hoffnungserregend erscheinen. Für die Ukrainer sind sie schmerzlich, beinahe ekelhaft. Das Thema „Brüderlichkeit“ist ein breites Feld für Manipulationen. Es wird nach wie vor von Russland ausgenutzt, um sich das Recht zu verschaffen, sich in das Leben unseres Landes einzumischen.
Die ukrainischen Katholiken waren von dem diesjährigen Kreuzweg im Vatikan sehr beeindruckt – auch unangenehme Dinge können beeindruckend sein. Trotz Kritik aus der Ukraine ließ der Vatikan eine Ukrainerin und eine Russin während einer Andacht ein Kreuz tragen. Viele meinen, Versöhnungsfeste zwischen der Ukraine und Russland haben zu früh begonnen. Ich versuche, die Logik dahinter zu verstehen. War das ein Symbol dafür, dass wir in weiter Zukunft wieder eine gemeinsame Sprache werden finden können? Aber es ist kaum an der Zeit, von dieser weiten Zukunft in unserer schrecklichen Gegenwart zu träumen. Ist das ein Versuch, den Krieg auf symbolischer Ebene zu lösen? Wahrscheinlich. Auf realer Ebene ist es leider nicht so einfach.
Eine Versöhnung geschieht aus freiem Willen. Man kann sie nicht künstlich zum Leben erwecken, man darf sie nicht erzwingen. Die Wiedervereinigungen finden dort statt, wo es Liebe von beiden Seiten gibt.
Ostern ist ein Familienfest, ein Fest der neuen Hoffnung. In Russland wird das Fest auch gefeiert. Sie haben den Vorschlag über den vorübergehenden Waffenstillstand abgelehnt. In die Ukraine wird Ostern also keine Versöhnung bringen. Hoffentlich bringt es mindestens keine neuen Kriegsschauer. Meine Weidenkörbe und Sachen sind gepackt. Wir machen uns auf den Weg.