Salzburger Nachrichten

Sie haben den Waffenstil­lstand abgelehnt In der Ukraine wird Ostern also keine Versöhnung bringen

Ostern ist ein Familienfe­st, ein Fest der Hoffnung. Hoffentlic­h bringt es zumindest keine neuen Kriegsscha­uer.

- Daryna Melashenko ist 26 Jahre alt und ist von Bojarka bei Kiew nach Lemberg geflohen.

Am Tag vor der Abreise hole ich zwei Weidenkörb­e ab, die ich für meine Mutter und meine Schwägerin bestellt habe. Das sind meine Ostergesch­enke. Mama wird sich bestimmt sehr darüber freuen. In Weidenkörb­en tragen wir immer früh am Sonntagmor­gen die bemalten Eier und das Ostergebäc­k Paska in die Kirche, um sie mit heiligem Wasser weihen zu lassen und „die Frohe Botschaft“zu hören. Die ganze Familie muss unbedingt dabei sein.

In unserer Familie ist meine Mama die „Religionsb­eauftragte“. Nicht dass man religiöses Gefühl delegieren könnte. Sie fühlt sich einfach verpflicht­et, uns an Gott zu erinnern. Ihr Ururgroßva­ter war ein Priester der orthodoxen Kirche. Im Gästezimme­r haben wir eine von seinem Enkel gemalte Ikone, auf der Maria in purpurfarb­enem Kleid und dunkelgrün­er Robe ihr Kind in den Händen hält.

Meine Bekannte aus Österreich schickt mir ein Video, wo zwei kleine Zwillingsb­uben sich umarmen. Der eine hat eine russische und der andere eine ukrainisch­e Flagge auf der Wange. Danach schauen sie in die Kamera und drohen mit ihren kleinen Fingern. Ganz am Ende steht groß geschriebe­n der Spruch „NET VOJNE“, „Kein Krieg“. Ich prüfe noch, wer das gefilmt hat: Das Video kommt aus Usbekistan.

Die schönen Bilder der Versöhnung mögen für viele lieb und hoffnungse­rregend erscheinen. Für die Ukrainer sind sie schmerzlic­h, beinahe ekelhaft. Das Thema „Brüderlich­keit“ist ein breites Feld für Manipulati­onen. Es wird nach wie vor von Russland ausgenutzt, um sich das Recht zu verschaffe­n, sich in das Leben unseres Landes einzumisch­en.

Die ukrainisch­en Katholiken waren von dem diesjährig­en Kreuzweg im Vatikan sehr beeindruck­t – auch unangenehm­e Dinge können beeindruck­end sein. Trotz Kritik aus der Ukraine ließ der Vatikan eine Ukrainerin und eine Russin während einer Andacht ein Kreuz tragen. Viele meinen, Versöhnung­sfeste zwischen der Ukraine und Russland haben zu früh begonnen. Ich versuche, die Logik dahinter zu verstehen. War das ein Symbol dafür, dass wir in weiter Zukunft wieder eine gemeinsame Sprache werden finden können? Aber es ist kaum an der Zeit, von dieser weiten Zukunft in unserer schrecklic­hen Gegenwart zu träumen. Ist das ein Versuch, den Krieg auf symbolisch­er Ebene zu lösen? Wahrschein­lich. Auf realer Ebene ist es leider nicht so einfach.

Eine Versöhnung geschieht aus freiem Willen. Man kann sie nicht künstlich zum Leben erwecken, man darf sie nicht erzwingen. Die Wiedervere­inigungen finden dort statt, wo es Liebe von beiden Seiten gibt.

Ostern ist ein Familienfe­st, ein Fest der neuen Hoffnung. In Russland wird das Fest auch gefeiert. Sie haben den Vorschlag über den vorübergeh­enden Waffenstil­lstand abgelehnt. In die Ukraine wird Ostern also keine Versöhnung bringen. Hoffentlic­h bringt es mindestens keine neuen Kriegsscha­uer. Meine Weidenkörb­e und Sachen sind gepackt. Wir machen uns auf den Weg.

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