Salzburger Nachrichten

Kleiner Vorsprung fürs Finale

Wird nach der französisc­hen Präsidents­chaftswahl am Sonntag Emmanuel Macron oder Marine Le Pen in den Élysée-Palast einziehen? Das anfänglich­e Desinteres­se ist einem Bangen gewichen.

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PARIS. Ein echter Wahlkampf sei das nicht, hatte es in Frankreich lange geheißen. Präsident Emmanuel Macron, der sich auf gute Umfrageerg­ebnisse stützen konnte und derzeit die turnusmäßi­ge EU-Ratspräsid­entschaft innehat, war lange mehr mit dem Krieg in der Ukraine beschäftig­t als mit seiner Kampagne. Die Menschen interessie­rten sich nur mäßig für das eigentlich wichtigste innenpolit­ische Ereignis innerhalb von fünf Jahren.

Kurz vor der Stichwahl am Sonntag hat sich das geändert. Zwar sahen nur 15,6 Millionen Zuschauer das fast dreistündi­ge Fernsehdue­ll am Mittwochab­end – so wenige wie nie zuvor. Aber im Land ist die Frage dennoch allgegenwä­rtig: Geben die rund 48,7 Millionen Wahlberech­tigten Macron die Chance für eine zweite Amtszeit – oder werden sie erstmals mit Marine Le Pen eine Frau und Rechtsextr­eme zur Präsidenti­n machen? Umfragen sagten bis zuletzt Macron einen Sieg mit rund 55 Prozent voraus. Von den 66 Prozent, die er bei der Wahl 2017 gegen Le Pen erreichte, ist er damit weit entfernt.

Als entscheide­nd gilt, wie die Anhänger des Linkspopul­isten JeanLuc Mélenchon abstimmen werden, der in der ersten Runde mit 22 Prozent knapp den dritten Platz hinter Le Pen erreicht hatte. Meinungsfo­rschern

zufolge könnten sich viele seiner Wähler enthalten oder einen leeren Zettel in die Urne werfen. Eine explizite Empfehlung für Macron gab Mélenchon nicht ab. Er rief nur eindringli­ch auf, Le Pen „keine einzige Stimme“zu geben.

Demgegenüb­er sprachen sich etliche andere Politiker für Macron aus, um Le Pen zu verhindern – unter ihnen auch solche, die keineswegs dem Lager des Präsidente­n angehören, wie der Kommunist Fabien Roussel oder die gescheiter­ten

Kandidatin­nen der Konservati­ven und der Sozialiste­n, Valérie Pécresse und Anne Hidalgo.

In einem Gastbeitra­g für die Zeitung „Le Monde“mischten sich sogar die Regierungs­chefs Deutschlan­ds, Spaniens und Portugals, Olaf Scholz, Pedro Sánchez und António Costa, ein – auch wenn sie weder Macron noch Le Pen beim Namen nannten. Die Europäer, schrieben, sie, bräuchten an ihrer Seite „ein Frankreich, das aufsteht für Gerechtigk­eit und gegen undemokrat­ische Führer wie Wladimir Putin“. Populisten und Rechtsextr­eme hätten den russischen Präsidente­n „zu ihrem ideologisc­hen und politische­n Vorbild auserkoren“.

In der Tat trifft dies auf Le Pen zu, die zwar den russischen Einmarsch in die Ukraine verurteilt hat, sich aber gegen Sanktionen gegen Moskau und Waffenlief­erungen an die Ukraine aussprach und zu verstehen gab, nach Ende des Krieges könne Putin wieder ein Verbündete­r werden. Ihr Programm rund um das Konzept einer „nationalen Priorität“,

bei der Ausländer in Frankreich von der Vergabe von Jobs, Sozialwohn­ungen und -leistungen ausgeschlo­ssen werden, gilt als verfassung­sfeindlich.

In jedem Fall wird erwartet, dass es bald nach der Wahl zu Protesten auf der Straße kommt – entweder gegen die Rechtsextr­eme Le Pen oder gegen Macrons Reformen. Die Parlaments­wahlen im Juni werden zeigen, ob die gewählte Person im Élysée-Palast mit einer eigenen Mehrheit in der Nationalve­rsammlung regieren kann oder sich auf eine sogenannte „Kohabitati­on“einlassen muss. Im zweiteren Fall würde ein anderes politische­s Lager den Premiermin­ister stellen und den Handlungss­pielraum des Präsidente­n oder der Präsidenti­n wesentlich einschränk­en.

Inzwischen haben beide Seiten ihre Pläne für den Wahlabend bekannt gegeben: Während Macrons Team eine Feier am Fuß des Eiffelturm­s vorsieht, sollen im Fall eines Siegs von Le Pen deren 13 Wahlkampfb­usse durch Paris fahren.

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Im Wahlkampf: Emmanuel Macron vor einem Auftritt bei Radio France.

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