Gratis, aber niemals umsonst
Über das absichtliche Vergessen und den Umstand, dass gratis ist, was ich gerne bezahlen will.
„Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“, heißt es in der Operette „Die Fledermaus“. Nun ist das Leben gottlob keine trällernde Operette und auch keine dramatisch unerträgliche Oper. Öfter rennt das Leben wie ein billiger Schlager: kaum Aufregung, viele Klischees, dauerndes Schönreden. Es geht einfach dahin. Dann kommt allerlei zusammen und geht nicht mehr weg, bis es alles hin, hin hin ist. Und man vergisst meistens das Beste. Glückliches Vergessen kann sich auch nur auf schlechte Dinge beziehen, auf das Böse, das Hinterhältige. Das Vergessen widerspricht allerdings der modernen Idee, dass man Probleme aufarbeiten soll, dass man bewältigen muss, was einen umtreibt. Und zwar professionell. Denn sonst kommen die ja immer wieder, die Gespenster der Vergangenheit. Man solle, heißt es dann beim Therapeuten, den Gespenstern einen Platz geben. Aus dem Hirn kriegst du sie eh nicht. Also hinein in die Schublade im Erinnerungsabteil. Und die Schublade, in die man sie dann legt, soll halt nicht dauernd von allein aufspringen. Für die Schubladisierung des Unangenehmen, oft vielleicht gar des Strafbaren bieten etwa Politiker und – Gleichberechtigung! – auch Politikerinnen in Untersuchungsausschüssen Vorlagen wie aus dem Lehrbuch. Beeindruckend, welche tiefen Windungen und Verrenkungen sich da im Denkapparat auftun. So möchte ich das Vergessen auch beherrschen, anstatt ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich habe kürzlich vergessen, dass der Freitag neuerdings gratis ist. Also das Öffi-Fahren in Salzburg ist am Freitag gratis. Das ist eine Weltklasseidee, deren Vorkommen in der Salzburger Lokalpolitik den Seltenheitswert eines Meteoriteneinschlages auf dem Mirabellplatz hat. Bei Gesteinsbrocken aus dem All mit einem Durchmesser von einem Kilometer liegt diese Wahrscheinlichkeit bei einem Mal in einer Million Jahren. Das ist deutlich mehr als der Denkzeitraum, in dem Politik fabriziert wird. Ich bin ein Fan der Öffis, obwohl ich sie kaum benutze, weil ich eh ein Fahrrad habe. Nun war ich an diesem einen
Freitag aber mit Koffer unterwegs. Ich kaufte einen Fahrschein, obwohl doch der alte Satz der Band Pearl Jam gegolten hätte: „Can’t buy what I want, because it’s free.“Ich habe den Schein aber nicht entwertet, nicht, weil mir der Gratis-Freitag in den Sinn gekommen wäre, sondern weil sonst keiner im Bus saß, also die Hoffnung mitfuhr, dass ich eine Kontrolle früh genug bemerken würde. Quasi Ausreizung der Möglichkeiten, Missachtung des Gemeinwohls. Gestanden wird erst und recht ausredenlastig, wenn es nicht mehr anders geht. Alles nach dem Lehrbuch „U-Ausschüsse“. Es kam dann eh keiner. Ich legte den jungfräulichen Fahrschein daheim in die Schublade, in der auch ein paar andere Dokumente liegen, die man von Zeit zu Zeit griffbereit haben sollte. Eine Schublade also, die immer ein bisschen offen ist. Mit ein bisserl Glück erinnere ich mich daran, wenn ich das nächste Mal mit Koffer aus dem Haus gehe und es nicht Freitag ist.
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