Salzburger Nachrichten

Gratis, aber niemals umsonst

Über das absichtlic­he Vergessen und den Umstand, dass gratis ist, was ich gerne bezahlen will.

- Bernhard Flieher

„Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“, heißt es in der Operette „Die Fledermaus“. Nun ist das Leben gottlob keine trällernde Operette und auch keine dramatisch unerträgli­che Oper. Öfter rennt das Leben wie ein billiger Schlager: kaum Aufregung, viele Klischees, dauerndes Schönreden. Es geht einfach dahin. Dann kommt allerlei zusammen und geht nicht mehr weg, bis es alles hin, hin hin ist. Und man vergisst meistens das Beste. Glückliche­s Vergessen kann sich auch nur auf schlechte Dinge beziehen, auf das Böse, das Hinterhält­ige. Das Vergessen widerspric­ht allerdings der modernen Idee, dass man Probleme aufarbeite­n soll, dass man bewältigen muss, was einen umtreibt. Und zwar profession­ell. Denn sonst kommen die ja immer wieder, die Gespenster der Vergangenh­eit. Man solle, heißt es dann beim Therapeute­n, den Gespenster­n einen Platz geben. Aus dem Hirn kriegst du sie eh nicht. Also hinein in die Schublade im Erinnerung­sabteil. Und die Schublade, in die man sie dann legt, soll halt nicht dauernd von allein aufspringe­n. Für die Schubladis­ierung des Unangenehm­en, oft vielleicht gar des Strafbaren bieten etwa Politiker und – Gleichbere­chtigung! – auch Politikeri­nnen in Untersuchu­ngsausschü­ssen Vorlagen wie aus dem Lehrbuch. Beeindruck­end, welche tiefen Windungen und Verrenkung­en sich da im Denkappara­t auftun. So möchte ich das Vergessen auch beherrsche­n, anstatt ein schlechtes Gewissen zu haben. Ich habe kürzlich vergessen, dass der Freitag neuerdings gratis ist. Also das Öffi-Fahren in Salzburg ist am Freitag gratis. Das ist eine Weltklasse­idee, deren Vorkommen in der Salzburger Lokalpolit­ik den Seltenheit­swert eines Meteoriten­einschlage­s auf dem Mirabellpl­atz hat. Bei Gesteinsbr­ocken aus dem All mit einem Durchmesse­r von einem Kilometer liegt diese Wahrschein­lichkeit bei einem Mal in einer Million Jahren. Das ist deutlich mehr als der Denkzeitra­um, in dem Politik fabriziert wird. Ich bin ein Fan der Öffis, obwohl ich sie kaum benutze, weil ich eh ein Fahrrad habe. Nun war ich an diesem einen

Freitag aber mit Koffer unterwegs. Ich kaufte einen Fahrschein, obwohl doch der alte Satz der Band Pearl Jam gegolten hätte: „Can’t buy what I want, because it’s free.“Ich habe den Schein aber nicht entwertet, nicht, weil mir der Gratis-Freitag in den Sinn gekommen wäre, sondern weil sonst keiner im Bus saß, also die Hoffnung mitfuhr, dass ich eine Kontrolle früh genug bemerken würde. Quasi Ausreizung der Möglichkei­ten, Missachtun­g des Gemeinwohl­s. Gestanden wird erst und recht ausredenla­stig, wenn es nicht mehr anders geht. Alles nach dem Lehrbuch „U-Ausschüsse“. Es kam dann eh keiner. Ich legte den jungfräuli­chen Fahrschein daheim in die Schublade, in der auch ein paar andere Dokumente liegen, die man von Zeit zu Zeit griffberei­t haben sollte. Eine Schublade also, die immer ein bisschen offen ist. Mit ein bisserl Glück erinnere ich mich daran, wenn ich das nächste Mal mit Koffer aus dem Haus gehe und es nicht Freitag ist.

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