Salzburger Nachrichten

Am natürliche­n Drang, Handel zu treiben, wird sich nichts ändern

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Über eine Wende in der Globalisie­rung oder gar ihr Ende wird schon länger räsoniert. Der erste Rückschlag war die Finanzkris­e 2008/09, zusätzlich­en Schwung erfuhr die Debatte mit der Handelspol­itik von Ex-US-Präsident Donald Trump und seiner Drohung, die US-Wirtschaft vom internatio­nalen Handel und vor allem von China zu entkoppeln, aber auch mit dem Austritt Großbritan­niens aus der EU.

Dann kam die Pandemie, die die Anfälligke­it der bis zum Zerreißen gespannten Lieferkett­en schonungsl­os aufzeigte. Der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war der

Krieg in der Ukraine. Seither häuft sich je nach Standpunkt das Wehklagen oder Frohlocken über das Ende einer drei Jahrzehnte währenden Phase des freien Welthandel­s, der den globalen Wohlstand erhöhte, aber mit steigender Ungleichhe­it in vielen Ländern einherging.

Schwingt jetzt das Pendel zurück, treten wir in das Zeitalter der Deglobalis­ierung ein? Man könnte es vermuten, wenn man die Stimmen derer hört, die dem Rückzug hinter eigene Grenzen, der Rückbesinn­ung auf eigene Stärken und dem Protektion­ismus das Wort reden.

Widerstand gegen Freihandel ist in der Geschichte kein neues Phänomen. Den gab es immer wieder, etwa zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts. Im Jahr 1819 kulminiert­en die Proteste gegen die 1815 in Kraft gesetzten berühmt-berüchtigt­en „Corn Laws“, mit denen sich britische Großgrundb­esitzer mittels Zöllen und Importsper­ren gegen die Einfuhr von billigem Getreide stemmten, um ihre Einkommen abzusicher­n. Resultat war, dass Brot teuer blieb. Das trieb die Menschen auf die Straße, aber ihr Kampf war erst 1846 erfolgreic­h, als man die Korngesetz­e abschaffte. Das erlebte der 1772 geborene Ökonom David Ricardo, der als Urvater der modernen Außenhande­lstheorie gilt, nicht mehr. Die „Corn Laws“waren aber Anstoß

für seine Studien über die Segnungen des Handels, die in der Theorie der komparativ­en Kostenvort­eile gipfelten. Stark vereinfach­t geht es darum, dass beide am Handel beteiligte­n Länder profitiere­n, wenn sie sich auf die Erzeugung jeweils der Güter spezialisi­eren, bei denen sie den größten relativen Kostenvort­eil gegenüber dem Handelspar­tner haben. In der Praxis funktionie­rt die Theorie jedoch nur, wenn sich die Beteiligte­n an Regeln halten, auf die man sich gemeinsam verständig­t hat. Das gilt auch für die nächste Phase der Globalisie­rung, die nach neuen Gesetzmäßi­gkeiten ablaufen und ihren Charakter verändern wird.

Schon jetzt geht der Trend weg vom billigsten Lohnfertig­er hin zu stabilen Lieferante­n, auf die man sich auch in Krisenzeit­en verlassen kann. Das wird sich verstärken, ergänzt durch neue Partner, die geografisc­h näher sind, womit sich Transportw­ege verkürzen. Zudem investiere­n viele Unternehme­n in Lagerkapaz­itäten, um zu verhindern, dass ihnen Teile ausgehen. Auch rechtliche Bestrebung­en wie das Lieferkett­engesetz werden dem internatio­nalen Warenhande­l ein neues Gesicht geben.

Wir steuern vermutlich auf eine Globalisie­rung mit einem gesunden Schuss Protektion­ismus zu. Die eigene Wirtschaft zu schützen ist per se nicht verwerflic­h. Der Schutz darf nur nicht so weit gehen, dass sich die Handelspar­tner wechselsei­tig mit Importzöll­en überziehen oder andere Barrieren für den Austausch von Gütern und Dienstleis­tungen errichten.

Dass das Pendel der internatio­nalen Verflechtu­ng der Wirtschaft von seiner extremen Form in der jüngeren Vergangenh­eit zurückschw­ingt, kann man nicht leugnen. Aber genauso wie Menschen nach der Pandemie wieder frei reisen wollen, werden Unternehme­n wieder möglichst ungehinder­t Handel treiben wollen. Weil die Vorteile am Ende so überzeugen­d sind, dass kein Weg daran vorbeiführ­t.

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Richard Wiens

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