Salzburger Nachrichten

Rechtsfrei­er Raum im Internet endet

Die EU finalisier­t „Grundgeset­z“gegen Hass, Hetze und Desinforma­tion.

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„Was offline illegal ist, ist auch online illegal.“Das ist das Grundprinz­ip, nach dem die EU Marktplätz­e, Plattforme­n und Medien im Internet künftig für ihre Inhalte und Angebote verantwort­lich machen will. Formuliert haben es vor eineinhalb Jahren die Kommission­smitgliede­r Margrethe Vestager (Wettbewerb) und Thierry Breton (Binnenmark­t). Sie zielten auf die US-Tech-Giganten wie Google, Amazon, Facebook oder Apple ab – aber nicht nur auf diese.

Nun wird das Vorhaben konkret. Am Freitagvor­mittag gingen die Verhandler der Mitgliedss­taaten und des EU-Parlaments in die voraussich­tlich letzte Gesprächsr­unde über das Gesetz, das die digitalen Dienste regelt. Auch wenn einige Details zu Redaktions­schluss noch offen waren, stehen die wichtigste­n Bestimmung­en fest.

Illegale Inhalte wie Hass und Hetze müssen gelöscht werden. Zuletzt vorgesehen war dafür eine Frist von 24 Stunden. Auch gegen Lügen und Fake News wird vorgegange­n.

Besonderen Schutz erhalten Kinder und Jugendlich­e. Sie dürfen nicht mehr mit personalis­ierter Werbung zum Konsum animiert werden. Sensible Daten wie jene über Religion, sexuelle Orientieru­ng oder Hautfarbe dürfen generell nicht mehr für Werbezweck­e genutzt werden.

„Das Gesetz über digitale Dienste soll das Ende der Algorithme­n besiegeln, die angst- und wutgesteue­rte Beiträge nach oben spülen.“Das erwartet die Deutsche Alexandra

Geese (Grüne) vom zuständige­n Parlaments­ausschuss für Binnenmark­t und Verbrauche­rschutz. Im Entstehen sei ein „neues Grundgeset­z für das Internet“, lobte sie.

Das Gesetz über die digitalen Dienste wird reihum als wichtiger Schritt gesehen, um die Macht der Digitalkon­zerne zu begrenzen und den Nutzern dieser Dienste zu mehr Rechten zu verhelfen. Plattforme­n mit mehr als 45 Millionen Nutzern werden dabei besonders in die Pflicht genommen. Ihnen werden beispielsw­eise regelmäßig­e Risikobewe­rtungen auferlegt.

Die Reaktionen auf das bevorstehe­nde Gesetz fallen durchwegs positiv aus. Bedenken gibt es auch unter Befürworte­rn allerdings darüber, dass sich einzelne Bestimmung­en als kontraprod­uktiv erweisen könnten. So warnen etwa Menschenre­chtsorgani­sationen davor, dass Handybilde­r und -videos, mit denen Kriegsverb­rechen dokumentie­rt werden, automatisc­h gelöscht werden und somit für eine spätere Beweisführ­ung verloren sein könnten. Daher dürften fehleranfä­llige, automatisc­he Uploadfilt­er nicht verpflicht­end vorgeschri­eben werden, lautet eine Forderung. Der Einwand findet gerade angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine Beachtung.

Das Gesetz über digitale Dienste ist Teil der ersten großen Neuordnung der Digitallan­dschaft seit der E-Commerce-Richtlinie vor mehr als 20 Jahren. Der andere Teil des Pakts ist das Gesetz über digitale Märkte. Es will die Marktbeher­rschung der Großkonzer­ne brechen. Darüber gibt es bereits Einigkeit. In Kraft treten beide Teile dann, wenn sie vom Parlament und dem Rat der Mitgliedss­taaten formal beschlosse­n werden.

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