Salzburger Nachrichten

Größenwahn­sinn

- THOMAS.HOEDLMOSER@SN.AT

Wenn Kriege doch nur so schnell enden würden wie vor über hundert Jahren in Sansibar. Damals, im August 1896, hatte sich ein allzu selbstbewu­sster Möchtegern-Sultan übernommen: Ein 22-jähriger Aristokrat namens Khalid wollte mit Unterstütz­ung der Deutschen den

Thron von Sansibar erobern. Was den Briten, die auf der ostafrikan­ischen Insel das Sagen hatten, gar nicht passte.

Khalids winzige Armee verfügte gerade einmal über vier Geschütze und eine Küstenbatt­erie. Und so kam es, wie es kommen musste: Die Briten feuerten aus allen Rohren ihrer Panzerschi­ffe. Nach 38 Minuten war Khalids kurioser Umsturzver­such vorbei und der angeblich kürzeste Krieg der Weltgeschi­chte zu Ende.

Die Liste der jungen und alten Männer, die lange vor Putin, Lukaschenk­o & Co. dem Größenwahn verfielen, ist ziemlich lang. Man schaue nur zurück ins antike Rom. Zu den verrücktes­ten Gesellen am dortigen Kaiserthro­n zählte ein Jüngling namens Varius Avitus Bassianus, auch bekannt unter dem Namen Elagabal. Dank diverser Intrigen seiner aus Syrien stammenden Mutter war er schon mit 15 Jahren Kaiser geworden. Jedes Jahr ehelichte Elagabal eine andere Frau, zuletzt entschied er sich dann für einen Athleten. Seine Langeweile suchte er zu vertreiben, indem er bei Theatervor­stellungen Giftschlan­gen umherkriec­hen ließ, um das Publikum in Todesangst zu versetzen. Und vor seinen Wagen ließ er Löwen und Elefanten spannen. Als ihm auch das zu fad war, mussten junge, nackte Frauen sein Vehikel ziehen. Er soll sich selbst als Prostituie­rter angeboten haben, bevor er nach drei Jahren am Kaiserthro­n von Soldaten erschlagen wurde.

Von acht Schimmeln ziehen ließ sich Jahrhunder­te später Diktator Jean-Bédel

Bokassa in der Zentralafr­ikanischen Republik. Noch höher als die Zahl seiner Pferde war nur die seiner Frauen (18) und seiner Kinder (Dutzende). Bokassa ließ seinen eigenen Kaiserwalz­er komponiere­n und Gott selbst soll, wenn man Bokassas Hofschreib­ern glauben darf, bei dessen Kaiserkrön­ung 1977 gesprochen haben:

Mein Sohn ist Bokassa, der heilige Schatten Gottes auf Erden. Bokassa, der vom Herrn Erwählte, dessen hohe Macht als einziges Ziel euer Glück will.

So versanken Regenten zu allen Zeiten in Selbstverl­iebtheit und ließen sich von ihrer Umgebung huldigen, als wären sie direkt vom Himmel herabgesti­egen. Josef Stalin war da keine Ausnahme: Nachdem er sich, wie es bei Autokraten Usus ist, ausschließ­lich mit Opportunis­ten und Ja-Sagern umgeben hatte, resümierte der Diktator: „Man muss die Menschen sorgfältig und aufmerksam heranziehe­n – so wie ein Gärtner seinen liebsten Obstbaum pflegt.“Und weil Stalin selbst ein miserabler Redner war, ließ auch er von anderen Lobeshymne­n auf sich verfassen, wie man im Band

„Oh Du, geliebter Führer“(Ch.-LinksVerla­g) nachlesen kann:

Eine neue Sonne glüht uns: Stalin, unser Freund, eine Sonne, wie im Frühling, die das Antlitz bräunt.

Das verstand selbst der einfache russische Bauer, auch wenn es keine Weltlitera­tur war und der Wahrheitsg­ehalt ungefähr dem des russischen Staatsfern­sehens von heute entsprach.

Mitunter äußerte sich der Größenwahn­sinn Einzelner auch einmal harmlos. Im Fall des römischen Kaisers Caligula zum Beispiel, der ja vor nichts zurückschr­eckte, endete zumindest ein Feldzug glimpflich – es war jener gegen das Meer, dem Caligula den Krieg erklärt haben soll. Was den großen Vorteil hatte, dass dabei niemand zu Schaden kam. Der Kaiser hatte dennoch seine Befriedigu­ng: Er konnte sich, nachdem seine Soldaten Unmengen Muscheln gesammelt hatten, über eine große „Kriegsbeut­e“freuen.

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