Größenwahnsinn
Wenn Kriege doch nur so schnell enden würden wie vor über hundert Jahren in Sansibar. Damals, im August 1896, hatte sich ein allzu selbstbewusster Möchtegern-Sultan übernommen: Ein 22-jähriger Aristokrat namens Khalid wollte mit Unterstützung der Deutschen den
Thron von Sansibar erobern. Was den Briten, die auf der ostafrikanischen Insel das Sagen hatten, gar nicht passte.
Khalids winzige Armee verfügte gerade einmal über vier Geschütze und eine Küstenbatterie. Und so kam es, wie es kommen musste: Die Briten feuerten aus allen Rohren ihrer Panzerschiffe. Nach 38 Minuten war Khalids kurioser Umsturzversuch vorbei und der angeblich kürzeste Krieg der Weltgeschichte zu Ende.
Die Liste der jungen und alten Männer, die lange vor Putin, Lukaschenko & Co. dem Größenwahn verfielen, ist ziemlich lang. Man schaue nur zurück ins antike Rom. Zu den verrücktesten Gesellen am dortigen Kaiserthron zählte ein Jüngling namens Varius Avitus Bassianus, auch bekannt unter dem Namen Elagabal. Dank diverser Intrigen seiner aus Syrien stammenden Mutter war er schon mit 15 Jahren Kaiser geworden. Jedes Jahr ehelichte Elagabal eine andere Frau, zuletzt entschied er sich dann für einen Athleten. Seine Langeweile suchte er zu vertreiben, indem er bei Theatervorstellungen Giftschlangen umherkriechen ließ, um das Publikum in Todesangst zu versetzen. Und vor seinen Wagen ließ er Löwen und Elefanten spannen. Als ihm auch das zu fad war, mussten junge, nackte Frauen sein Vehikel ziehen. Er soll sich selbst als Prostituierter angeboten haben, bevor er nach drei Jahren am Kaiserthron von Soldaten erschlagen wurde.
Von acht Schimmeln ziehen ließ sich Jahrhunderte später Diktator Jean-Bédel
Bokassa in der Zentralafrikanischen Republik. Noch höher als die Zahl seiner Pferde war nur die seiner Frauen (18) und seiner Kinder (Dutzende). Bokassa ließ seinen eigenen Kaiserwalzer komponieren und Gott selbst soll, wenn man Bokassas Hofschreibern glauben darf, bei dessen Kaiserkrönung 1977 gesprochen haben:
Mein Sohn ist Bokassa, der heilige Schatten Gottes auf Erden. Bokassa, der vom Herrn Erwählte, dessen hohe Macht als einziges Ziel euer Glück will.
So versanken Regenten zu allen Zeiten in Selbstverliebtheit und ließen sich von ihrer Umgebung huldigen, als wären sie direkt vom Himmel herabgestiegen. Josef Stalin war da keine Ausnahme: Nachdem er sich, wie es bei Autokraten Usus ist, ausschließlich mit Opportunisten und Ja-Sagern umgeben hatte, resümierte der Diktator: „Man muss die Menschen sorgfältig und aufmerksam heranziehen – so wie ein Gärtner seinen liebsten Obstbaum pflegt.“Und weil Stalin selbst ein miserabler Redner war, ließ auch er von anderen Lobeshymnen auf sich verfassen, wie man im Band
„Oh Du, geliebter Führer“(Ch.-LinksVerlag) nachlesen kann:
Eine neue Sonne glüht uns: Stalin, unser Freund, eine Sonne, wie im Frühling, die das Antlitz bräunt.
Das verstand selbst der einfache russische Bauer, auch wenn es keine Weltliteratur war und der Wahrheitsgehalt ungefähr dem des russischen Staatsfernsehens von heute entsprach.
Mitunter äußerte sich der Größenwahnsinn Einzelner auch einmal harmlos. Im Fall des römischen Kaisers Caligula zum Beispiel, der ja vor nichts zurückschreckte, endete zumindest ein Feldzug glimpflich – es war jener gegen das Meer, dem Caligula den Krieg erklärt haben soll. Was den großen Vorteil hatte, dass dabei niemand zu Schaden kam. Der Kaiser hatte dennoch seine Befriedigung: Er konnte sich, nachdem seine Soldaten Unmengen Muscheln gesammelt hatten, über eine große „Kriegsbeute“freuen.