Meint Hans Holzinger, Nachhaltigkeitsexperte der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen.
Frieden und Sicherheit gibt es nur mit einer funktionstüchtigen Armee, sagt Oberstleutnant Bernd Huber, der neue Präsident der Bundesvereinigung der Milizverbände. Noch mehr Waffen machen die Welt nicht sicherer,
Dem Autor dieser Zeilen sind die Sitzungen und Diskussionen rund um die Bundesheerkommission im Jahr 2004 noch gut in Erinnerung. Experten gingen von einer „zehnjährigen Vorwarnzeit“für das Entstehen von Konflikten aus, was die Rechtfertigung bildete für das Einkassieren einer „Friedensdividende“nach dem Ende der Blockkonfrontation und der Kriege im ehemaligen Jugoslawien. Begründet mag diese Hoffnungshaltung auch durch das aufsehenerregende Buch von Francis Fukuyama gewesen sein. In seinem „Ende der Geschichte“ging er von einer sukzessiven Demokratisierung der Gesellschaften aus, womit Kriege der Vergangenheit angehören würden. Die „Geschichte“ginge folglich ihrem Ende entgegen. Ein fataler Irrtum, wie wir heute wissen. Trotzdem bildeten „Vorwarnzeit“und „Ende der Geschichte“die Grundlage für die Entscheidung vieler Staaten des Westens, die Verteidigungshaushalte massiv zu kürzen. Aufgrund der häufiger werdenden internationalen Interventionen (z. B. Afghanistan) wurden zudem nahezu sämtliche Streitkräfte auf diese als Hauptzweck ausgerichtet
– die „alten“Kernaufgaben traten in den Hintergrund.
Diese Fehlentwicklung und das Scheitern der Interventionspolitik wurden indes von anderer Seite genau beobachtet. Insbesondere Russland und China betrieben einen groß angelegten Umbau ihrer Armeen, was jedoch nicht richtig gedeutet und verstanden wurde. Forderungen nach einem ausreichenden Verteidigungsetat in Europa schienen in den Wind gesprochen (es war ja der ungeliebte Donald Trump, der zwei Prozent Verteidigungsetat gefordert hatte!). Die Frage, was in Europa passieren würde, wenn dessen Schutzmacht USA durch einen immer wahrscheinlicher werdenden Krieg in Südostasien gebunden würde, blieb ausgeblendet. Und dann kam der 24. Februar 2022 mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, welcher die bestehenden Defizite in unserer Verteidigung schonungslos offenlegte.
Die politischen Führungseliten hatten es jahrelang verabsäumt, die nötigen Investitionen in die Rüstung zu tätigen und damit zur Ermutigung des Aggressors beigetragen. Auch nahezu jede Waffengattung des Bundesheers weist einen fundamentalen Investitionsbedarf auf. Ein Heer ist auf das Zusammenwirken vieler Systeme angewiesen, Mängel auch nur in Teilbereichen stellen daher das Funktionieren des Ganzen infrage. Man kann nun vielleicht eine Logik der Selbstunterwerfung vertreten, wie dies Franzobel unlängst in einem Kommentar in der Tageszeitung „Der Standard“tat; er riet der Ukraine, nach der Kapitulation mit Putin zu verhandeln (stellt sich die Frage, worüber dann noch?) – zutreffend hat der Journalist und Autor Martin Pollack diesen „Rat“als „schändlich und dumm“qualifiziert.
Will man sich also dieser Selbstunterwerfung nicht aussetzen, dann bleibt nur das Eintreten für die Freiheit und die sie begründenden Werte.
Sollen Frieden und Sicherheit mit Aussicht auf Erfolg gesichert werden, dann müssen rasch Investitionen in die jeweiligen Armeen erfolgen. Auch Österreich muss, umso mehr als neutrales Land, das nicht auf ein Bündnis setzen kann, seinen Teil dazu beitragen. Dies jedenfalls im Sinne der Bundesverfassung, die dem Bundesheer als Milizheer die Landesverteidigung überträgt. Wir sind daher angehalten, Schönfärberei, Besserwisserei und Naivität abzulegen und uns – verdammt noch einmal – endlich als erwachsene Nation zu benehmen, die wie die Schweiz für sich selbst sorgt. Trittbrettfahren in puncto Sicherheitspolitik sollte weder unserem Selbstverständnis entsprechen, noch ist es geeignet, den Frieden in Freiheit für Österreich und seine Nachbarn zu sichern.
Putins Aggressionskrieg bringt unermessliches Leid und Zerstörung über die Menschen in der Ukraine. Schnell steigt die Zahl der toten und verwundeten Soldaten auf beiden Seiten. Keine Frage: Die Kriegsverbrechen müssen vom Internationalen Gerichtshof verfolgt, die dafür Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Als Reaktion auf Putins Krieg jetzt in Europa die Rüstungsetats hochzufahren, erscheint mir jedoch kontraproduktiv. Der Jahresmilitäretat der NATO ist 14 Mal so hoch wie jener von Russland – den Großteil davon stellen die USA, aber auch die EU-Länder geben heute 196 Mrd. Euro jährlich für ihre Streitkräfte aus. Zum Vergleich: Die OSZE hat nur über 140 Mill. Euro Jahresbudget. Noch mehr Waffen machen die Welt nicht friedlicher, sosehr sie auf Verteidigung ausgerichtet sein mögen.
Beiden Weltkriegen sind Rüstungsspiralen der späteren Kriegsgegner vorausgegangen. Wir sind gut beraten, dieser Falle nun zu entgehen. Notwendig wird eine multipolare Sicherheitsarchitektur, die auf globaler wirtschaftlicher, wissenschaftlicher, ökologischer und kultureller Kooperation basiert. Die Nationen Europas haben hier aus der Tragödie der beiden Weltkriege durchaus gelernt. Krieg dürfe nicht länger ein Mittel zur Durchsetzung von Interessen sein, Konflikte werden friedlich bearbeitet, lautet die Maxime. Zudem wirkt Wohlstand pazifizierend, Wohlstandsgesellschaften werden zugleich zu postheroischen Gesellschaften – unsere Leidenschaften gelten neuen Konsumprodukten und kollektiv unserer Fußball- oder Eishockeymannschaft. Und die Kriege der USA waren nach dem Vietnamkrieg-Debakel allesamt Hightech-Kriege mit blutigen Folgen für die Angegriffenen, aber geringen eigenen Verlusten. Umso heftiger war der Schock über Putins Aggressionskrieg. Auch wenn dieser genug Vorboten hatte: den Einmarsch russischer Truppen in Georgien 2014 nach dem Beschluss der NATO, mit Georgien und der Ukraine NATO- Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, das brutale Eingreifen der russischen Armee in Syrien auf der Seite von Assad.
Das Gespenst der mangelnden Wehrhaftigkeit Europas soll uns jedoch nicht blenden. Eine weltweite neue Rüstungsspirale verschlingt Ressourcen, die wir anderwärtig brauchen – etwa 800 Millionen Menschen leiden aktuell Hunger.
Sie konterkariert auch alle Anstrengungen zur Eindämmung der Klimakrise. Der CO2-Ausstoß allein der US-Armee ist größer als jener von Schweden, wie eine 2019 veröffentlichte Studie berechnet hat. In den Vereinbarungen von Kyoto und Paris zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes spielen diese Zahlen keine Rolle: Seit mehr als 20 Jahren ist das Militär auf Druck der USA und NATO sowie Russlands von Berichtspflichten über den CO2-Ausstoß freigestellt. Gewinner einer neuen Aufrüstungswelle sind die Waffenschmieden und jene, die an ihnen mitverdienen.
Wir alle hoffen auf ein baldiges Ende des Kriegs, am sehnlichsten die Menschen, die ihn erleiden. Es wird und muss eine Nachkriegsordnung geben. Eine europäische sowie eine globale Sicherheitsarchitektur erfordert hierfür eine Vielzahl an Kanälen der Kooperation. Bringen wir unsere Programme zur Abschaffung des Hungers und der Entschärfung der ökosystemischen Krisen voran – etwa durch den Know-how-Transfer im Bereich erneuerbarer Energien. Interessieren wir uns viel mehr für die Länder
Osteuropas.
Stärken wir Einrichtungen wie die OSZE, die meist unspektakulär wichtige Arbeit in der Bearbeitung von Konflikten leistet, sowie die UNO – vielleicht wären Blauhelme ein guter Weg für die
Ukraine? Kehren wir zurück zu Rüstungskontrollund Abrüstungsgesprächen und engagieren wir uns gemeinsam gegen die sich zuspitzende Klimakrise.