Im Zeitalter der Überraschungen ist Vorhersagbarkeit gefragt.
Die Falten am Hals waren etwas deutlicher sichtbar, das Haar schien etwas dünner geworden zu sein. Kein Wunder, der lange Blonde mit dem Strahlelachen hat mittlerweile 71 Lenze auf dem Buckel, aber das Sakko mit den goldenen Ornamenten saß ebenso gut wie die Pointen aus dem Mund Thomas Gottschalks. Sein vorjähriges, als einmaliges Ereignis geplantes „Wetten, dass..?“Comeback überzeugte nicht nur wegen der Rekordquoten in Deutschland und Österreich. Gottschalk („Die Sendung ist von einer gewissen Grundfröhlichkeit“) schaffte es doch tatsächlich – und allen Unkenrufen zum Trotz – in tristen, weil pandemischen Novembertagen generationsübergreifend Publikum vor dem TV-Schirm (oder Tablet oder Handy) zu versammeln. Ein Hauch Lagerfeuerfernsehen, wie es früher einmal war. Gottschalk, der mit „Wetten, dass..?“-Erfinder Frank Elstner auftrat, traf sowohl den Nerv einer alteingesessenen, in die Jahre gekommenen Fernsehfamilie und lockte zudem gar nicht so wenige Protagonisten der Generation Streaming an. Ein TV-Ereignis mit Folgen. Die Bildschirm-Revivals scheinen seit damals so richtig in Mode zu kommen.
„Rückwärts immer, vorwärts nimmer – als TV-Konzept funktioniert’s“titelte „Der Tagesspiegel“nach dem Gottschalk’schen Überraschungscomeback. Wie sich der Sender die offenbar tiefe Sehnsucht nach der Samstagabend-Familiensendung erklärt? „Wir stecken mitten in einer deprimierenden Pandemie und freuen uns über ein wenig Nostalgie“, sagte ZDF-Intendant Norbert Himmler kürzlich. Nachsatz: „Man sieht aber schon, dass in dem Konzept nach wie vor etwas steckt.“Promigäste, Baggerwetten und flotte Sprüche: Dieser vor gar nicht so langer Zeit etwas schal und abgestanden schmeckende Cocktail mundete vielleicht auch deshalb so, weil in ihm das Narrativ einer heilen Welt eingeschrieben ist. Wer erinnert sich nicht an Fernsehabende im Kreise der Familie, an Diskussionen über zu freche Bemerkungen oder zu tiefe Ausschnitte, an launige Wettkandidaten oder Superstars (z. B. Madonna oder Michael Jackson) im Showblock. Unterhaltung pur in einer weithin sorgenfreien Zeit, in der Globalisierung noch eine Hoffnung, Klimawandel noch kein Megathema und mit Pandemie bestenfalls die Spanische Grippe in Verbindung gebracht worden war. „Der Nostalgiefaktor spielt eine große Rolle. Man erinnert sich zurück und in der Erinnerung verklären sich die jeweiligen Zeitabschnitte. Außerdem war man jünger und alles war – subjektiv gesehen – ein bisschen besser“, sagt der Medienpsychologe Peter Vitouch. Dazu komme noch, dass man bei Sendungen wie „Wetten, dass..?“die Strukturen und die Dramaturgie bestens kenne. Das tue gut in Zeiten, in denen man in gesundheitlichen, ökonomischen und politischen Belangen permanent von unvorhersagbaren Dingen überschwemmt werde: „Da will man sich in der Unterhaltung nicht auch noch auf Suche nach ganz Neuem begeben. Überraschungen hat man im täglichen Leben ohnehin schon genug.“
Thomas Gottschalk wird auch heuer und 2023 einmal die 1981 eingeführte Wettsendung moderieren. Und die Retrophase des deutschsprachigen Fernsehens ebbt nicht ab: Drei Wochen nach der „Wetten, dass..?“-Renaissance im Vorjahr kehrte auf Sat.1 die Gameshow „Geh aufs Ganze!“zurück. 18 Jahre nach der letzten Folge zockte Jörg Draeger wieder um Geld- und Sachpreise in Umschlägen, Kisten oder Toren. Die Show lief weiland (ab 1992) im Vorabendprogramm und erinnerte ein wenig an das Ladenspiel von Josef „Joki“Kirschner in der ORF-Sendung „Tritsch Tratsch“(wäre wohl auch einmal ein Fall für ein Comeback). Mit „Geh aufs Ganze“kehrte auch der kultige Trostpreis Zonk zurück, eine rotschwarze Stoffratte.
„7 Tage, 7 Köpfe“wurde von RTL heuer reanimiert. Von Kultshowmaster Rudi Carrell geschaffen und von Jochen Busse zwischen 1996 und 2005 moderiert, ist die satirische Talkshow, in der auf die vergangene Woche zurückgeblickt wird, wieder auf Sendung. Moderator der Neuauflage ist Guido Cantz, allein der Quotenerfolg ließ bislang zu wünschen übrig, die Comedyshow wurde deshalb bereits ins Nachtprogramm verlegt.
Dass es aber auch gelingen kann, die Quotenerfolge aus der Vergangenheit noch zu übertrumpfen, weiß der Entertainer
Sebastian Pufpaff (45), der seit dem November des Vorjahrs die Neuauflage des Stefan-Raab-Klassikers „TV total“auf ProSieben präsentiert. Insbesondere beim jüngeren Publikum kommt der 45-Jährige gut an. „Seit 2015 waren wir nicht mehr da, und alles lief außer Rand und Band. Soziale Medien, Fernsehen, Internet, Fake News, alternative Nachrichten. Jetzt ist es an der Zeit. Es reicht. Wir müssen zurückkommen. Und jetzt werden wir hier richten und strafen für den ganzen Schrott, den es da draußen gibt“, sagte Pufpaff zum Auftakt. Der Mann am Nippelboard ist respektlos, humorvoll, versprüht das Fair einer neuen Fernsehmachergeneration und nimmt die Bewegtbildwelt süffisant aufs Korn.
Auf der Retrowelle versucht auch der ORF zu schwimmen: „Starmania“, 2002 erstmals ins Rennen um ein jüngeres Publikum geschickt, kehrte 2021 wieder – damals wie heute mit Moderatorin Arabella Kiesbauer. Erzielte man im Vorjahr noch einen Achtungserfolg, stürzt die Castingshow heuer quotenmäßig ab. Keine zündende Jury, keine überzeugenden Kandidatinnen und Kandidaten – da kämpft auch ein Profi wie Kiesbauer vergeblich.
Das nächste Revival im ORF lässt nicht lang auf sich warten. Zu Weihnachten ist ein dreiteiliges Wiederaufleben der legendären „MA 2412“in der Regie von Harald Sicheritz und mit Alfred Dorfer und Roland Düringer als kauzige, in der Kunst des Nichtstuns versierte Beamte auf dem Programm. Ob das skurrile Treiben im Amt für Weihnachtsdekoration auch anno 2022 zu gefallen vermag?
In Deutschland werden gerade die Shows „Der Preis ist heiß“und die „100.000 Mark Show“, beide auf RTL, reaktiviert. Letztere behält trotz der mittlerweile erfolgten Umstellung auf den Euro ihren Namen, Ulla Kock wird mit der Sendung, die sie einst berühmt machte, ihr Comeback feiern.
Medienpsychologe Vitouch verweist in diesem Zusammenhang auf die Bereitschaft vieler Menschen, sich an Wochenenden alte Filme mit Hans Moser oder Peter Alexander anzuschauen: „Man weiß ganz genau, was passiert, und dennoch sind die Wiederholungen sehr beliebt.“Was auch ein Reflex auf das mediale Überangebot sein könnte. Bevor man sich im schwer zu durchschauenden Überangebot verliert, vertraut man lieber alten, ausgetretenen Pfaden: Geborgenheit durch Vorhersagbarkeit. Der Trend zum Aufwärmen werde so schnell nicht abnehmen, betont Peter Vitouch.
Und die Schatzkiste der einstigen TV-Highlights ist mit Shows wie „Einer wird gewinnen“(Hans-Joachim Kulenkampff), „Am laufenden Band“(Rudi Carrell), „Wünsch Dir was“(Dietmar Schönherr und Vivi Bach) oder „Dalli Dalli“(Hans Rosenthal) prall gefüllt. Letztgenannte Spielshow feierte 2021 mit zwei Sendungen zum 50-Jahre-Jubiläum fröhliche Urständ.
Medienpsychologe
Peter Vitouch