In einer Wüstenregion liegen große Vorkommen des begehrten Metalls.
Kalifornien gilt bei Umwelt- und Klimaschutz als ein Vorreiter in den USA. Der einwohnerreichste US-Bundesstaat setzt oft die Maßstäbe für das gesamte Land. Dazu gehören unter anderem strenge Verbrauchsvorgaben für Verbrennerfahrzeuge, Investitionen in erneuerbare Energien – und Anreize zum Kauf von Elektrofahrzeugen.
Mehr als 40 Prozent aller in den USA zugelassenen E-Autos sind in Kalifornien zu finden. Und geht es nach der Regierung von Gouverneur Gavin Newsom, einem Demokraten, soll der Bundesstaat mit seinen mehr als 37 Millionen Einwohnern künftig auch einer der wichtigsten Rohstoffhersteller der gesamten E-Auto-Branche werden. Denn eine neue Abbaumethode könnte Kalifornien zu einem führenden Herstellern von Lithium machen. Das Metall gehört zu den wichtigsten Rohstoffen in der Elektromobilität, da die Stromer meist Lithium-Ionen-Batterien haben. „Wir stehen vor einer riesigen Wirtschaftschance“, betonte Newsom in einem virtuellen Gespräch mit Präsident Joe Biden bereits im Februar. „Das Imperial Valley ist das Saudi-Arabien für Lithium.“
Damit könnte der demokratische Gouverneur recht haben. Das arabische Königreich ist der größte Ölexporteur der Welt und verfügt über etwa 15 Prozent der bekannten Ölreserven. Das im äußersten Südosten Kaliforniens gelegene Imperial Valley könnte aber bis zu 40 Prozent des weltweiten Lithium-Bedarfs abdecken.
Derzeit verfügen die USA nur über eine einzige Abbaustätte für Lithium. Der globale Markt ist dominiert von Australien, Chile und China. Damit Newsoms Vision allerdings Realität wird, bedarf es Millionen von Dollar. Hinzu kommt, dass das Imperial Valley eine äußerst strukturschwache Region ist. Ohne Investitionen in die Infrastruktur aus privater und öffentlicher Hand lässt sich in dieser Region kaum eine weltweit führende Industrie aufbauen.
Doch aufgrund der steigenden globalen Nachfrage haben bereits mehrere Unternehmen Pilotprogramme zur Lithium-Gewinnung gestartet. Dass sich ausgerechnet die Wüstenregion des Imperial Valley als Goldgrube erweisen könnte, liegt daran, dass dort mehrere tektonische Platten aufeinandertreffen. Es ist eine geologisch aktive Zone, die sich perfekt zur Energieproduktion aus Erdwärme eignet. Lithium ist ein Nebenprodukt. Es ist Bestandteil eines salzhaltigen Laugengemischs, das bei der Energieerzeugung anfällt.
Derzeit wird das Gemisch samt Lithium einfach zurück in die Erde gepumpt, da das Extrahieren des Rohstoffs bis jetzt zu teuer war. Zu den herkömmlichen Abbaumethoden von Lithium zählen bisher Bergbau – vor allem in Australien – und Verdunstungspools, die in den Salzwüsten Chiles zu finden sind. Mehrere Energieunternehmen haben aber begonnen, ein neues Verfahren zu entwickeln, um das begehrte Lithium kosteneffektiv aus dem Gemisch zu ziehen, das bei der Erdwärme anfällt. Über die genaue Methode schweigen die Entwickler.
Eine dieser Firmen ist
EnergySource. Das US-Unternehmen betreibt eine geothermische 50-Megawatt-Anlage in der Region. Spätestens im Sommer 2024 solle die Lithium-Produktion in Betrieb genommen werden, sagte Betriebsleiter Derek Benson im Gespräch mit den „Salzburger Nachrichten“. „Wir rechnen damit, dass unser Verfahren zur Lithium-Gewinnung um ein Vielfaches mehr Umsatz und Profit abwerfen wird als die geothermische Energieproduktion“, erklärt Benson.
Das Firmengelände liegt nur wenige Kilometer vom südlichen Ufer des größten Sees Kaliforniens entfernt. Er heißt Salton Sea und entstand 1905, als der Colorado River über seine Ufer trat und das Wüstenbecken mit Wasser füllte. In den 1950ern und 1960ern war Salton Sea ein beliebtes Reiseziel auch für Hollywoodstars wie Frank Sinatra oder die Beach Boys. Doch der Aufschwung als kalifornische Riviera hielt nicht lange. Da der See über keinen natürlichen Abfluss verfügt und das Wasser in der Wüste rapide verdunstet, wurde der See immer salzhaltiger.
Heute ist der Salzgehalt fast doppelt so hoch wie im Pazifik. Das Schwimmen ist bereits untersagt. Wo früher Touristen flanierten, finden sich heute leer stehende Häuser und verrostende Fahrzeuge. Die Arbeitslosenquote in der Region ist mit 15,5 Prozent mehr als zehn Prozentpunkte höher als im kalifornischen Schnitt. Die Lithium-Industrie könnte die wirtschaftliche Situation
also wirklich sehr verbessern.
Zur Lösung der ökologischen Probleme, mit denen das Imperial Valley zu kämpfen hat, braucht es aber eine Zusammenarbeit zwischen Bund, Land und den lokalen Kommunen. Denn der Wüstenstaub und die vom Wind aufgewirbelten giftigen Stoffe im Seeboden sorgen für viele Atemwegserkrankungen in der Umgebung. Jedes fünfte Kind im Grundschulalter hat Asthma, wie eine Studie der University of Southern California feststellte. Da der See schrumpft und immer mehr Seeboden freigelegt wird, geht die Professorin Jill Johnston davon aus, dass die Lage eher schlimmer wird. Ob der Aufbau einer Lithium-Industrie die Luftverschmutzung dann auch noch verschlimmern könnte, ist unklar. Klar ist jedoch, dass die Uhr tickt. „Die Menschen werden immer kranker, die Vögel sterben und das Wasser wird immer mehr verseucht“, sagte Frank Ruiz von der Umweltorganisation Audubon Kalifornien. Andererseits: Das begehrte Lithium könnte indirekt eine vernachlässigte Region retten und eine Verbesserung der Lebensqualität bringen. Allerdings müssten alle Beteiligten zu Kompromissen bereit sein, betont Ruiz. Und es müsste Vertrauen aufgebaut werden. Die vielen leeren Versprechen der vergangenen Jahrzehnte haben Politik und Wirtschaft viel Glaubwürdigkeit gekostet.