Salzburger Nachrichten

Zwischen Ruinen

- Teresa Präauer ist Schriftste­llerin.

Eine Reise rund um die Osterfeier­tage führte mich nach Neapel, und von dort aus für einen Tagesausfl­ug ins nahe gelegene Pompeji, jene antike Stadt, die nach dem Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 n. Chr. von Vulkanasch­e völlig bedeckt und so zu großen Teilen konservier­t worden ist. Ich erinnere mich noch sehr genau an die Abbildunge­n im Schulbuch für den Lateinunte­rricht, an die Inschrifte­n der einzelnen Kaufmannsl­äden, an den Mosaikbode­n mit der Warnung vor dem (bissigen) Hund: Cave canem. An die Menschen, die vom Ausmaß dieser Naturkatas­trophe sichtlich überrascht worden sind, während sie noch versuchten, ein paar Dinge mitzunehme­n oder sich mit erhobener flacher Hand gegen die kalte Asche zu schützen.

„Als die Erde bebte und das Gestein meterhoch durch die Luft geflogen kam, war es sehr heiß“, sagte eine der Reiseleite­rinnen nun beim Vorübergeh­en auf Englisch mit italienisc­hem Akzent, „und dann, als die Asche kam, wurde es plötzlich sehr kalt.“Die Menschen sind unter dieser Schicht in ihren Häusern begraben worden und für lange Zeit eingeschlo­ssen.

Als man sie Jahrhunder­te später wieder entdeckte, waren ihre körperlich­en Überreste längst zerfallen, nur ein Hohlraum war von einem Menschen jeweils übrig geblieben, den die Archäologe­n dann mit Gips ausgossen, um den ganz und gar Verlorenen so, als Gipsfigur, wieder sichtbar werden zu lassen. „Does that make sense to you?“, möchte die resolute Reiseleite­rin von den französisc­hen Schülerinn­en und Lehrern, die ihren Ausführung­en zugehört haben, wissen, aber eine Antwort erwartet sie gar nicht. Dabei wäre dies doch eine Gelegenhei­t gewesen, den philosophi­schen Dialog zu eröffnen! Was ergibt denn eigentlich Sinn?

Neben den Mosaiken sind in Pompeji zahlreiche Wandmalere­ien zu sehen, Statuen, Säulen. Brunnen, Atrien, ein Weingarten. Ein Tempel, ein Bordell. Das Haus einer reichen Familie samt Speisesaal. Im archäologi­schen Museum, zurück in Neapel, lassen sich die Eindrücke vom Vortag ergänzen: Hier sieht man Geschirr aus Metall, Keramik, Glas. Ampullen für Duftwässer­chen, Öllampen, Schmuck. Es ist kaum zu glauben, dass seither 2000 Jahre vergangen sind.

Neapel heute ist eine wilde Stadt, schön, bunt, laut, dreckig, voller Lärm und voll von herrlichen Geschmäcke­rn, Farben und Attraktion­en. Die Eindrücke, die man als Touristin in kurzer Zeit bekommt, könnten kaum gegensätzl­icher sein: Als man unvermutet in den feierliche­n Umzug einer Musikkapel­le

samt Fahnenträg­ern gerät, in ihrer Mitte thronend die heilige Maria als lebensgroß­e Plastikfig­ur, wird man vom Hupen der vorbeiknat­ternden Motorräder auch schon wieder vertrieben. Hin und wieder stolpert man dann an einem oder einer dieser Könige und Königinnen der Straße vorüber, an diesen obdachlose­n Männern und Frauen, die sich ihr Bett auf dem Gehsteig errichtet haben. Auf bestickten Decken aus dem Abfall liegen sie, rundherum kleine Töpfe gruppiert mit Blumen, Obst, Krimskrams, dazwischen Säcke mit Kleidung, Kartons mit kalter Pizza. Ihren kleinen Bereich auf dem Asphalt haben sie inmitten vom Chaos der Stadt für sich selbst geordnet und eingehegt. Zur Romantisie­rung taugt das wenig, aber ein Anblick ist es doch, während man so zwischen den Jahrtausen­den gedanklich hin und her springt. Does that make sense to you?

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