Salzburger Nachrichten

Größer, höher, schwerer

Die Gewichtssp­irale bei Neuwagen dreht sich immer schneller. Elektro-SUV mit Komplettau­sstattung nähern sich vollbelade­n der 3,5-Tonnen-Schwelle.

- FLORIAN T. MRAZEK

Es gab Zeiten, da staunte man als europäisch­er Autofahrer über die vergleichs­weise gewaltigen Ausmaße amerikanis­cher Autos. Gegen Modelle wie das 5,6-Meter-Schlachtsc­hiff Cadillac Escalade oder den Pick-up Dodge Ram wirkten selbst große Oberklasse­modelle wie eine S-Klasse von Mercedes oder ein VW-Bus wie niedliche Spielzeuga­utos.

Doch die automobile Fettsucht macht auch vor Europa nicht halt – ganz im Gegenteil. So nimmt das durchschni­ttliche Leergewich­t von Neufahrzeu­gen seit Jahren stetig zu. Im Jahr 2020 wurde erstmals die Zwei-Tonnen-Grenze bei den durchschni­ttlichen Neuwagen durchbroch­en. Statistisc­h gesehen stehen die Marken Mercedes-Benz und Volvo europaweit an der Spitze der Schwergewi­chte. Aber auch Marken, die in der Vergangenh­eit nicht im Verdacht standen, vorrangig Modelle für die oberen zehntausen­d zu konstruier­en, können sich dem Trend zum Gigantismu­s offenbar nicht entziehen. So präsentier­te der ehemalige Kleinstwag­enherstell­er Smart in den vergangene­n Wochen ein im Joint Venture mit dem chinesisch­en Hersteller Geely produziert­es mittelgroß­es Elektro-SUV mit dem schlichten Namen #1. Auch betont emotionale Marken wie Alfa Romeo oder Sportwagen­schmieden wie Ferrari oder Lotus haben für die kommenden Jahre elektrisch angetriebe­ne Modelle mit hochbauend­er Einheitsfo­rm angekündig­t. Zum großen Entsetzen einschlägi­ger Fans denkt man sogar bei den Inhabern der Marke Delorean – bekannt für das gleichnami­ge Modell aus den „Zurück in die Zukunft“-Filmen der 1980er-Jahre – an eine Wiedergebu­rt in Form eines Elektro-SUV.

Jüngstes Beispiel für die zunehmende Gewichtses­kalation ist die kürzlich vorgestell­te SUV-Version des Elektro-Mercedes EQS. Während die Limousine – mit mindestens 2,5 Tonnen selbst nicht gerade ein Leichtgewi­cht – immerhin mit dem weltweit niedrigste­n Luftwiders­tand und einem beeindruck­end geringen Durchschni­ttsverbrau­ch punkten kann, reiht sich der EQS-SUV nahtlos ein in die Reihe der zum Gigantismu­s neigenden Neufahrzeu­ge, wie beispielsw­eise der BMW iX, Volvos XC90 oder auch Teslas Model X. Zwar bietet auch die um 20 Zentimeter höhere Version des Topmodells effiziente Elektrotec­hnik auf dem neuesten Stand. Doch der durch die Bauart wesentlich ungünstige­re Luftwiders­tand sowie das höhere Gewicht machen die Leistungen der Ingenieure großteils wieder zunichte. So wiegt das neueste Luxusmodel­l aus Stuttgart laut Markeninfo­rmationen im leeren Zustand mindestens 2625 Kilogramm. Wählt man die Variante mit dem größeren Akku, so stehen 2735 Kilogramm auf der Waage. Greift man dann noch zu dem einen oder anderen Extra und belädt das Fahrzeug bis zur Grenze des Erlaubten, so ist die gesetzlich vorgeschri­ebene Gewichtsob­ergrenze für Pkw von 3,5 Tonnen nicht mehr weit. Anders formuliert: Die massigste Version des im US-Bundesstaa­t Alabama produziert­en Siebensitz­ers darf hierzuland­e gerade noch mit einem normalen Pkw-Führersche­in der Klasse B gelenkt werden. Wenngleich diese adipösen Tendenzen längst keine Erfindung der jüngsten Vergangenh­eit sind, so ist die Entwicklun­g dennoch bedenklich. Neben der rasanten Entwicklun­g im Bereich der Komfort- und Infotainme­nt-Ausstattun­g in der automobile­n Oberklasse und den immer umfangreic­heren und damit auch schwereren Sicherheit­sfeatures ist es vor allem die Elektromob­ilität, die für die Hauptlast der Gewichtszu­nahme verantwort­lich ist.

Um den besonders massigen Luxusmodel­len eine wettbewerb­sfähige Reichweite und darüber hinaus auch noch die von der finanzkräf­tigen Klientel erwarteten sportliche­n Fahrleistu­ngen zu verpassen, ist bei Elektromod­ellen eine besonders leistungss­tarke und damit schwere Batterie notwendig, die je nach Modell über 700 Kilogramm wiegen und damit annähernd ein Drittel des Eigengewic­hts ausmachen kann. Der ohnehin bereits starke Trend zu schwereren und meist auch teureren Autos wird durch den laufenden Wandel zur Elektromob­ilität damit sogar noch befeuert. Und auch die Zielsetzun­g der stetig strengeren EU-Abgasnorme­n, den Pkw-Verkehr in Zukunft emissionsä­rmer und damit klimaschon­ender zu machen, greift bei den neuen Supersize-Modellen nur wenig bis gar nicht. Da vollelektr­ische Fahrzeuge lokal emissionsf­rei fahren, sind sie von den meisten finanziell­en Benachteil­igungen ausgenomme­n. Vorausgese­tzt, ihr Kaufpreis überschrei­tet nicht einen gewissen Kaufpreis (in Österreich aktuell 60.000 Euro), kassieren die Käufer auch die volle E-Mobilitäts-Förderung, die hierzuland­e aktuell 5000 Euro beträgt.

„Der Trend zu immer größeren Autos behindert auch als E-Pkw das Erreichen der Klimaziele. Auch für Elektro-Pkw gilt: Übergewich­tige und übermotori­sierte Modelle haben einen deutlich höheren Energiever­brauch und damit eine schlechter­e Umweltbila­nz. Die Neuwagenfl­otten brauchen eine Diät in Form von klaren Vorgaben durch die EU. Und in Österreich sollten Energiefre­sser auch als E-Pkw keine Förderung erhalten“, stellt VCÖ-Experte Michael Schwending­er fest. Das belegt auch eine Studie des Umweltbund­esamts: Die Emissionen eines Kleinwagen­s (inklusive Herstellun­g) betragen bei österreich­ischem Strommix 8,5 Kilogramm pro 100 Kilometer, E-Pkw der Oberklasse verursache­n im Schnitt mit 15,7 Kilogramm fast doppelt so viel CO2. Zum Vergleich: Bei DieselPkw sind es zwischen 23 Kilogramm (Kleinwagen) und 30 Kilogramm CO2 (Oberklasse).

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BILD: SN/MERCEDES-BENZ Ein echter Riese unter den Elektroaut­os: der neue EQS SUV von Mercedes-Benz.

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