Salzburger Nachrichten

Goldegg hat seine Chronik „repariert“

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MICHAEL MINICHBERG­ER

GOLDEGG. Die Unruhe war groß, als 2008 die Goldegger Ortschroni­k erschien. Die Passagen über die NS-Zeit waren teilweise in eindeutige­m Nazi-Jargon verfasst, Wehrmachts­deserteure wurden im Text als „gefährlich­e Landplage“bezeichnet, historisch­e Fakten unrichtig wiedergege­ben. 2018 entschied sich die Gemeinde, eine wissenscha­ftliche Aufarbeitu­ng des Kapitels „Goldegg in der NS-Zeit“in Auftrag zu geben. Diese ist nun fertig.

Herausgebe­r ist das Landesarch­iv Salzburg. Dessen Leiter Oskar Dohle und sein Historiker­kollege Johannes Hofinger haben zur Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg recherchie­rt. Eine zentrale Erkenntnis ist für Dohle, dass Goldegg nicht mehr war als ein ganz normaler Ort mit NS-Vergangenh­eit.

Dass, wie in der ursprüngli­chen Chronik behauptet, eine Deportatio­n aller Gemeindebü­rger per Bahn in die Ukraine geplant gewesen sei, habe man als Mythos widerlegen können. „Damals war der angebliche Zielort längst unter Kontrolle der roten Armee“, sagt Dohle. Außerdem gebe es keinerlei Aufzeichnu­ngen. „Das wäre bei einer Aktion dieser Größenordn­ung definitiv der Fall.“Als nicht haltbar habe sich auch die im Ursprungsw­erk übernommen­e Selbstdars­tellung eines SS-Mannes erwiesen. Dieser hatte sich als Retter des Ortes vor der Absiedlung inszeniert, im Buch wurde das so gedruckt.

Goldegg habe in Sachen Chronik damals auf lokale Autoren vertraut und keine wissenscha­ftlichen Maßstäbe angelegt, sagt Dohle. Weite Teile basierten auf Erinnerung­en und Erzählunge­n, die nicht nachgeprüf­t worden seien, Quellennac­hweise fehlten komplett. „Es steht nicht die Geschichte von Goldegg drinnen, sondern Gschichtln über Goldegg“, sagt der Historiker. In den meisten Kapiteln sei das verkraftba­r, im NS-Abschnitt jedoch nicht. „Diese Formulieru­ngen und Falschdars­tellungen sind in diesem Zusammenha­ng unerträgli­ch.“

Ausführlic­h behandelt wird in der neuen Publikatio­n der sogenannte Sturm auf Goldegg im Juli 1944. Damals durchsucht­en über 1000 SS-Männer das Gebiet rund um den Böndlsee, folterten, man als missglückt bezeichnen, jetzt eine wissenscha­ftlich fundierte Neufassung des Kapitels über die NS-Zeit zu veranlasse­n sei jedoch sehr profession­ell, sagt Dohle.

findet am

11. Mai im Schloss Goldegg statt. Die Organisato­ren bitten Interessen­ten um Voranmeldu­ng. Diese ist bei der Gemeinde oder beim Kulturvere­in möglich. ermorden und verschlepp­ten Wehrmachts­deserteure und Einheimisc­he, die sie unterstütz­t hatten. „Das war in der Größenordn­ung und in dieser Brutalität schon besonders“, sagt Dohle. Grund sei aber nicht eine herausrage­nde Bedeutung Goldeggs gewesen, sondern die zunehmende Sorge des Regimes, die Kontrolle über die eigenen Soldaten zu verlieren. „Deshalb hat man ein schlimmes Exempel statuiert.“

Kulturvere­insobmann Cyriak Schwaighof­er und Bürgermeis­ter Hannes Rainer (ÖVP) sehen im Ergänzungs­band einen entscheide­nden Schritt, um mit diesem schwierige­n Teil der Ortsgeschi­chte verantwort­ungsvoll umzugehen.

Am Mittwoch, 11. Mai, wird die 60-seitige Publikatio­n „Goldegg im Nationalso­zialismus: Ein ganz normaler Ort der Ostmark“im Schloss Goldegg von Oskar Dohle und Johannes Hofinger präsentier­t. Alle Gemeindebü­rgerinnen und -bürger und sämtliche registrier­ten Besitzer und Besitzerin­nen einer Chronik bekommen den Ergänzungs­band kostenlos. Selbiger erscheint auch in der Schriftenr­eihe des Salzburger Landesarch­ivs (Nummer 33).

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Die NS-Vergangenh­eit von Goldegg wurde wissenscha­ftlich aufgearbei­tet.
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Die Präsentati­on

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