Führungsfigur und Feindbild
Die ÖVP arbeitet sich konsequent an Umweltministerin Leonore Gewessler ab. Und zwar nicht nur aus dem Grund, dass Gewessler konsequent grüne Politik macht.
Die grüne Umwelt-, Energie- und Infrastrukturministerin Leonore Gewessler hat einige politische Erfolge vorzuweisen. Das Klimaticket, die ersten Schritte in Richtung einer Ökologisierung des Steuersystems, das Gesetz über den Ausbau der erneuerbaren Energie, die Absage des Lobautunnels – nicht jeder Bürger, nicht jede Bürgerin wird der grünen Ministerin für diese Maßnahmen applaudieren, manche dieser Maßnahmen – Stichwort Lobautunnel – haben sogar breitflächige Empörung ausgelöst, und das möglicherweise sogar mit Recht. Und mit ebensolchem Recht kann man der Ministerin vorhalten, dass sie – als Verantwortliche für Österreichs Versorgung mit Energie – derzeit Wichtigeres zu tun hätte, als, wie am Freitag geschehen, sich den Kopf über das Radfahren gegen die Einbahn zu zerbrechen.
Und dennoch bleibt festzuhalten: Für eine Politikerin, die noch vor drei Jahren als Aktivistin an der Spitze einer Umwelt-NGO stand und auf die Politik bestenfalls durch Appelle und Aktionen einwirken konnte, ist das eine herzeigbare Bilanz. Herzeigbar zumindest für jene, als deren Vertreterin in der Bundesregierung sich Leonore Gewessler versteht. Dass die grüne Ministerin mittlerweile als potenzielle Nachfolgerin von Parteichef Werner Kogler gilt, ist dieser Bilanz geschuldet.
Ebenfalls dieser Bilanz geschuldet ist freilich der Umstand, dass nämliche Ministerin zum Feindbild Nummer eins für die ÖVP aufgerückt
Die ÖVP sucht nach Sollbruchstellen bei den Grünen
ist. Das hat nicht nur damit zu tun, dass fast jeder der Schritte, die Gewessler tat, sie in Gegensatz zur ÖVP brachte. Höhere Steuern auf Energie, die Einschränkung des Autoverkehrs – das schmeckt weder dem Wirtschafts- noch dem Arbeitnehmerflügel der ÖVP. Im Fall des Lobautunnel-Stopps drohte der Präsident der Wiener Wirtschaftskammer der Ministerin, mit der sich seine Partei in aufrechter Koalition befindet, sogar mit der Gesetzeskeule. Diese könnte dann über Gewessler niedergehen, wenn sich herausstellen sollte, dass ihre sanfte Anregung an die Asfinag, auf den Lobautunnel zu verzichten, einer formellen Weisung gleichkam (was Gewessler bestreitet). Zu einer solchen ist die Ministerin nicht berechtigt, denn es handelt sich bei der Asfinag nicht um eine Abteilung ihres Hauses, sondern um eine Aktiengesellschaft. Hier könnte der Ministerin also noch ernstliches Ungemach drohen.
Herbe und vor allem laut geäußerte Kritik der ÖVP musste Gewessler auch für den Umstand einstecken, dass sie den einstigen GrünPolitiker und nunmehrigen Unternehmer Lothar Lockl mit ministeriellen Aufträgen bedacht hatte. Beinhart bestand die ÖVP drauf, dass die Ministerin die entsprechenden Unterlagen dem Korruptionsuntersuchungsausschuss übermitteln müsse.
Und schließlich lassen Politiker der Volkspartei gerne subtil durchblicken, dass Energieministerin Gewessler schuld sei an den explodierenden Energiepreisen und an der Gasmisere, in der Österreich steckt. Wie gesagt: All das sind inhaltliche Argumente und Positionen, die Gewessler von der ÖVP trennen und die erklären, warum die Ministerin nicht eben als Anwärterin für die Verleihung der Alois-MockMedaille gilt.
Die Angriffe der ÖVP gegen die umtriebige Ministerin haben freilich nicht nur inhaltliche, sondern vor allem auch taktische Gründe. Denn es geht hier darum, eine Politikerin, die das Zeug zur neuen grünen Führungsfigur hat, schon im Vorhinein ein wenig zurechtzustutzen. Und es geht wohl auch ein wenig um Rache. Schließlich haben die Grünen maßgeblich dazu beigetragen, dass die Führungsfigur der ÖVP, nämlich Sebastian Kurz, nicht bloß zurechtgestutzt wurde, sondern aus dem Amt scheiden musste. Und auch jetzt noch zieren sich die Grünen zunehmend, ihrem in diverse Affären verstrickten Koalitionspartner politisch zu Hilfe zu eilen. Wer der grünen Fraktionsführerin im Korruptionsausschuss, Nina Tomaselli, lauscht, würde nie auf die Idee kommen, dass es sich bei ihr um die Repräsentantin einer Partei handelt, die sich in Koalition mit der ÖVP befindet. Daher sucht die ÖVP emsig nach Sollbruchstellen bei den Grünen. Und glaubt, sie in der Person Gewessler gefunden zu haben.
Bleibt die Frage, wie tragfähig eine Koalition eigentlich noch ist, deren Vertreter einander so behandeln wie eben geschildert. Ein wenig erinnern die Vorgänge an die Endphase der SPÖÖVP-Koalition, in der die beiden verfeindeten Partner lieber die gemeinsame Regierung untergehen ließen, ehe sie einander einen Erfolg gönnten. Genützt hat das weder den beiden Parteien noch ihrer Regierung noch dem Land. Ob sich Österreich derlei Krisen wie diese leisten kann, sei dahingestellt.