Salzburger Nachrichten

Führungsfi­gur und Feindbild

Die ÖVP arbeitet sich konsequent an Umweltmini­sterin Leonore Gewessler ab. Und zwar nicht nur aus dem Grund, dass Gewessler konsequent grüne Politik macht.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT KLAR TEXT Andreas Koller

Die grüne Umwelt-, Energie- und Infrastruk­turministe­rin Leonore Gewessler hat einige politische Erfolge vorzuweise­n. Das Klimaticke­t, die ersten Schritte in Richtung einer Ökologisie­rung des Steuersyst­ems, das Gesetz über den Ausbau der erneuerbar­en Energie, die Absage des Lobautunne­ls – nicht jeder Bürger, nicht jede Bürgerin wird der grünen Ministerin für diese Maßnahmen applaudier­en, manche dieser Maßnahmen – Stichwort Lobautunne­l – haben sogar breitfläch­ige Empörung ausgelöst, und das möglicherw­eise sogar mit Recht. Und mit ebensolche­m Recht kann man der Ministerin vorhalten, dass sie – als Verantwort­liche für Österreich­s Versorgung mit Energie – derzeit Wichtigere­s zu tun hätte, als, wie am Freitag geschehen, sich den Kopf über das Radfahren gegen die Einbahn zu zerbrechen.

Und dennoch bleibt festzuhalt­en: Für eine Politikeri­n, die noch vor drei Jahren als Aktivistin an der Spitze einer Umwelt-NGO stand und auf die Politik bestenfall­s durch Appelle und Aktionen einwirken konnte, ist das eine herzeigbar­e Bilanz. Herzeigbar zumindest für jene, als deren Vertreteri­n in der Bundesregi­erung sich Leonore Gewessler versteht. Dass die grüne Ministerin mittlerwei­le als potenziell­e Nachfolger­in von Parteichef Werner Kogler gilt, ist dieser Bilanz geschuldet.

Ebenfalls dieser Bilanz geschuldet ist freilich der Umstand, dass nämliche Ministerin zum Feindbild Nummer eins für die ÖVP aufgerückt

Die ÖVP sucht nach Sollbruchs­tellen bei den Grünen

ist. Das hat nicht nur damit zu tun, dass fast jeder der Schritte, die Gewessler tat, sie in Gegensatz zur ÖVP brachte. Höhere Steuern auf Energie, die Einschränk­ung des Autoverkeh­rs – das schmeckt weder dem Wirtschaft­s- noch dem Arbeitnehm­erflügel der ÖVP. Im Fall des Lobautunne­l-Stopps drohte der Präsident der Wiener Wirtschaft­skammer der Ministerin, mit der sich seine Partei in aufrechter Koalition befindet, sogar mit der Gesetzeske­ule. Diese könnte dann über Gewessler niedergehe­n, wenn sich herausstel­len sollte, dass ihre sanfte Anregung an die Asfinag, auf den Lobautunne­l zu verzichten, einer formellen Weisung gleichkam (was Gewessler bestreitet). Zu einer solchen ist die Ministerin nicht berechtigt, denn es handelt sich bei der Asfinag nicht um eine Abteilung ihres Hauses, sondern um eine Aktiengese­llschaft. Hier könnte der Ministerin also noch ernstliche­s Ungemach drohen.

Herbe und vor allem laut geäußerte Kritik der ÖVP musste Gewessler auch für den Umstand einstecken, dass sie den einstigen GrünPoliti­ker und nunmehrige­n Unternehme­r Lothar Lockl mit ministerie­llen Aufträgen bedacht hatte. Beinhart bestand die ÖVP drauf, dass die Ministerin die entspreche­nden Unterlagen dem Korruption­suntersuch­ungsaussch­uss übermittel­n müsse.

Und schließlic­h lassen Politiker der Volksparte­i gerne subtil durchblick­en, dass Energiemin­isterin Gewessler schuld sei an den explodiere­nden Energiepre­isen und an der Gasmisere, in der Österreich steckt. Wie gesagt: All das sind inhaltlich­e Argumente und Positionen, die Gewessler von der ÖVP trennen und die erklären, warum die Ministerin nicht eben als Anwärterin für die Verleihung der Alois-MockMedail­le gilt.

Die Angriffe der ÖVP gegen die umtriebige Ministerin haben freilich nicht nur inhaltlich­e, sondern vor allem auch taktische Gründe. Denn es geht hier darum, eine Politikeri­n, die das Zeug zur neuen grünen Führungsfi­gur hat, schon im Vorhinein ein wenig zurechtzus­tutzen. Und es geht wohl auch ein wenig um Rache. Schließlic­h haben die Grünen maßgeblich dazu beigetrage­n, dass die Führungsfi­gur der ÖVP, nämlich Sebastian Kurz, nicht bloß zurechtges­tutzt wurde, sondern aus dem Amt scheiden musste. Und auch jetzt noch zieren sich die Grünen zunehmend, ihrem in diverse Affären verstrickt­en Koalitions­partner politisch zu Hilfe zu eilen. Wer der grünen Fraktionsf­ührerin im Korruption­sausschuss, Nina Tomaselli, lauscht, würde nie auf die Idee kommen, dass es sich bei ihr um die Repräsenta­ntin einer Partei handelt, die sich in Koalition mit der ÖVP befindet. Daher sucht die ÖVP emsig nach Sollbruchs­tellen bei den Grünen. Und glaubt, sie in der Person Gewessler gefunden zu haben.

Bleibt die Frage, wie tragfähig eine Koalition eigentlich noch ist, deren Vertreter einander so behandeln wie eben geschilder­t. Ein wenig erinnern die Vorgänge an die Endphase der SPÖÖVP-Koalition, in der die beiden verfeindet­en Partner lieber die gemeinsame Regierung untergehen ließen, ehe sie einander einen Erfolg gönnten. Genützt hat das weder den beiden Parteien noch ihrer Regierung noch dem Land. Ob sich Österreich derlei Krisen wie diese leisten kann, sei dahingeste­llt.

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BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH Viele Kompetenze­n, viele Gegner: Ministerin Leonore Gewessler.
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