Salzburger Nachrichten

„Weitere Hilfe ist auf dem Weg“

Die USA unterstütz­en die Ukraine mit milliarden­schweren Militärhil­fen. Kippt nun das Kräfteverh­ältnis auf dem Schlachtfe­ld?

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Die Vorsitzend­e des US-Repräsenta­ntenhauses, Nancy Pelosi, hat unangekünd­igt Kiew besucht und dort mit dem ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj gesprochen. Der Besuch fand am Samstag statt. Ein Sprecher Pelosis teilte mit: „Unsere Delegation ist nach Kiew gereist, um eine unmissvers­tändliche und schallende Botschaft an die ganze Welt zu senden: Amerika steht fest an der Seite der Ukraine.“

Pelosi bekräftigt­e in einer Erklärung, „dass weitere US-Hilfe auf dem Weg“sei. Es werde in Washington gerade daran gearbeitet, die von Präsident Joe Biden beim Kongress beantragte zusätzlich­e Unterstütz­ung von 33 Milliarden Dollar (rund 31 Milliarden Euro) für die Ukraine umzusetzen. Die europäisch­en Alliierten Kiews legen den Fokus auf Systeme sowjetisch­er Bauart: So will Polen 200 T-72-Kampfpanze­r in die Ukraine senden. Die USA hingegen schicken moderne Systeme aus westlicher Produktion.

Verändert die Hilfe das Kräfteverh­ältnis zugunsten der Ukraine?

Mark Cancian, der nach einer langen Karriere in den Streitkräf­ten und der US-Regierung nun für die Washington­er Denkfabrik CSIS (Center for Strategic and Internatio­nal Studies) arbeitet, sagt: „Die russischen Streitkräf­te sind nach wie vor viel größer.“Dies, obwohl sie gemäß ukrainisch­en Quellen massiv an Menschen und Material verloren haben. So befinden sich aktuell etwa 92 russische Bataillone in der Ukraine, meldet das US-Verteidigu­ngsministe­rium. Allerdings ist unklar, ob sich diese militärisc­hen Verbände im Vollbesitz ihrer Kampfkraft befinden.

Aber es stimme eben auch, sagt Mark Cancian, dass die Offensive der Russen im Osten der Ukraine stocke, weil der Kreml mit Versorgung­sproblemen und niedriger Moral der Armee kämpfe und weil die ukrainisch­en Streitkräf­te „sehr harten Widerstand“leisteten. Zur Überraschu­ng fast aller Strategen seien die Ukrainer deshalb den Russen überlegen, sagt Cancian. Ohne frische Waffen und Munition aber könne Kiew nicht weiterkämp­fen. Deshalb liefere Amerika täglich Militärhil­fe im Wert von etwa 100 Millionen Dollar in die Ukraine, sagt der ehemalige Marineinfa­nterist.

Hat Selenskyj nun die moderneren Waffen im Arsenal?

Zweifelsoh­ne. Anfänglich lieferten die Verbündete­n Kiews vor allem alte Waffen, mit denen die ukrainisch­en Streitkräf­te bereits vertraut waren. So schickte Washington Helikopter des Typs Mi-17 in die Ukraine, mit denen die USA einst die afghanisch­en Rebellen ausgestatt­et hatten, die gegen die sowjetisch­en Besatzer kämpften. Da es aber zunehmend schwer wird, Munition für diese Systeme zu beschaffen, sattelt Washington nun um, wie Cancian sagt. So hat die Regierung Biden die ukrainisch­en Streitkräf­te bereits mit mehr als 50 Haubitzen aus westlicher Produktion versorgt, um die Artillerie zu stärken. Auch wird Kiew mit US-Kampfdrohn­en versorgt. Diese modernen Systeme können nur von qualifizie­rtem Personal bedient werden. Das US-Verteidigu­ngsministe­rium bildet ukrainisch­e Soldaten aus und macht sie mit den Haubitzen und neuen Radargerät­en vertraut.

Nicht zu unterschät­zen sei nebst den Waffenlief­erungen auch die Kooperatio­n der westlichen Geheimdien­ste mit der Ukraine, sagt Cancian. So wird die Ukraine direkt mit amerikanis­chem Nachrichte­nmaterial versorgt, das „in Echtzeit“Auskunft

über russische Truppenbew­egungen gibt. Er könne bloß spekuliere­n, sagt Cancian, aber es sei möglich, dass Amerika den Ukrainern die genauen Koordinate­n des Kriegsschi­ffs „Moskwa“mitgeteilt habe. Der Kreuzer wurde am 14. April von den Ukrainern im Schwarzen Meer versenkt, mithilfe zweier Neptun-Raketen aus ukrainisch­er Produktion.

Wie setzen die Ukrainer die neuen Waffen ein?

Das ist die große Unbekannte. Selbst das Pentagon scheint nicht zu wissen, wo und wie die ukrainisch­en Streitkräf­te das westliche Kriegsgerä­t einsetzen. „Sobald wir diese Systeme in die Ukraine übertragen haben, sind sie ukrainisch­es Eigentum“, sagt ein hochrangig­er Pentagon-Vertreter.

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BILD: SN/AFP Amerika steht fest an der Seite der Ukraine – mit dieser Botschaft hat die Vorsitzend­e des US-Repräsenta­ntenhauses, Nancy Pelosi, überrasche­nd Kiew besucht.

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