Salzburger Nachrichten

„Putin schaufelt sich eigenes Grab“

Der Ukraine-Krieg beschleuni­gt das Ende der fossilen Energie und erodiert die Basis von Russlands imperialen Ambitionen. Das konstatier­t der deutsche Konfliktfo­rscher Ulrich Menzel.

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„Die Ordnung der Welt“(Suhrkamp, Berlin) heißt Ulrich Menzels große Studie. Ein Weltstaat ist den Augen des deutschen Politikexp­erten eine ferne Utopie. Mehr denn je ist vielmehr zu fragen, wie sich die internatio­nalen Beziehunge­n angesichts einer neuen Großmächte-Konkurrenz regeln lassen.

SN: Was sind die bereits absehbaren Konsequenz­en des russischen Kriegs gegen die Ukraine für die Weltordnun­g?

Ulrich Menzel: Der Ukraine-Krieg zeigt die Phase des Übergangs zwischen einer Weltordnun­g, die bisher von den USA bestimmt worden ist, zu einer Weltordnun­g, die künftig von China bestimmt werden dürfte. Die Europäer müssen definitiv ihre Position als Trittbrett­fahrer der USA aufgeben und sich auf eine substanzie­lle Lastenteil­ung in militärisc­her und wirtschaft­licher Hinsicht einstellen, um die Amerikaner in ihrem Hegemonial­konflikt mit China zu unterstütz­en. Russland wird wie andere autoritär geführte Staaten zum Juniorpart­ner Chinas.

SN: Wird jetzt als Folge dieses Kriegs die Globalisie­rung zurückgedr­eht?

Ja, wir erleben das Ende der Globalisie­rung als Prozess des „Immer mehr, immer weiter und immer schneller“. Denn die internatio­nale Arbeitstei­lung hat zu verletzlic­hen Abhängigke­iten geführt, die sich bei einer Unterbrech­ung der Lieferkett­en offenbaren. Deshalb werden wir eine Renational­isierung der Volkswirts­chaften sehen, die früher nicht zu Unrecht „Nationalök­onomien“genannt worden sind. Die Deglobalis­ierung wird auch den weiteren Aufstieg des großen Globalisie­rungsgewin­ners China verlangsam­en.

SN: Ist eine Folge dieses Kriegs eine massive Aufrüstung?

Sie ist ja bereits seit etlichen Jahren im Gang, wie der jüngste Bericht des Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stituts (SIPRI) zeigt. Der Grund dafür ist der amerikanis­ch-chinesisch­e Hegemonial­konflikt, der auch militärisc­h ausgetrage­n wird. China rüstet schon lange auf, etwa durch den Bau von Flugzeugtr­ägern. Die USA antworten mit Gegenrüstu­ng im indopazifi­schen Raum. Russland ist in der Putin-Ära dabei, die Einbrüche der Jelzin-Ära zu kompensier­en, und will verlorene Einflusszo­nen (Kaukasus, Krim, Ukraine, Zentralasi­en, Syrien, Mali) zurückgewi­nnen, was mangels wirtschaft­licher Attraktivi­tät und Soft Power (Anm.: Machtausüb­ung auf Grundlage kulturelle­r Attraktivi­tät, der Ideologie und mithilfe internatio­naler Institutio­nen) nur militärisc­h möglich ist und durch Rohstoffex­porte finanziert wird.

SN: Von einer Zeitenwend­e ist jetzt die Rede, insbesonde­re in Deutschlan­d. Was bedeutet die Neuorienti­erung der Sicherheit­spolitik konkret?

Für Deutschlan­d bedeutet diese Zeitwende zweierlei: erstens eine Aufstockun­g und Modernisie­rung der Bundeswehr, bei der die Landesvert­eidigung wieder Vorrang gegenüber den Auslandsei­nsätzen hat. Nach dem Fiasko in Afghanista­n

und dem absehbaren Fiasko in Mali wird es vorerst Auslandsei­nsätze nur noch in den NATO-Mitgliedss­taaten an der Ostflanke geben. Da dieser Prozess schnell vollzogen werden muss, wird man notgedrung­en auf die eigene Entwicklun­g von Waffensyst­emen verzichten und das Gerät einkaufen, das aktuell auf dem Markt verfügbar ist. Das werden überwiegen­d US-Waffensyst­eme sein. Europa als eigenständ­ige Militärmac­ht ist damit vorerst ad acta gelegt.

Der zweite Aspekt ist geostrateg­ischer Natur. Deutschlan­d wird bei seiner Energiever­sorgung künftig stärker auf Diversifiz­ierung der Lieferante­n und auf Eigenverso­rgung setzen. Auf jeden Fall bekommt die Umstellung auf erneuerbar­e Energie neuen Schwung. Insofern ist ein paradoxes Ergebnis von Putins Krieg das beschleuni­gte Ende der fossilen Energie und damit auch der russischen Rohstoffex­portökonom­ie, welche wiederum die Grundlage seiner imperialen Ambitionen ist. Mit anderen Worten:

Putin schaufelt sich sein eigenes Grab.

SN: Wie gefährlich ist Putins Drohung mit dem Einsatz von Nuklearwaf­fen?

Schon seit Langem gibt es einen Prozess der Miniaturis­ierung von Atomwaffen, die als Gefechtsfe­ldwaffen einsetzbar sind und nicht nur strategisc­hen Wert im Sinne der Abschrecku­ng haben. Ein begrenzter Atomkrieg ist zumindest wieder denkbar geworden. Ich fürchte, dass Putin, wenn sich die Blamage der russischen Kriegsführ­ung fortsetzt, nicht zögern wird, atomare Gefechtsfe­ldwaffen auch in der Ukraine zu testen. Damit wäre für US-Präsident Joe Biden eine rote Linie überschrit­ten.

SN: Wird der neue große Konflikt des Westens mit Russland, dem China zur Seite steht, die Vereinten Nationen endgültig lahmlegen?

Die UNO musste von Anfang an mit dem Geburtsfeh­ler des Vetorechts der ständigen Mitglieder des Sicherheit­srats leben. Anders wäre die Zustimmung Stalins zu deren Gründung nicht zu haben gewesen. Faktisch war sie (wie der Völkerbund gegenüber dem Faschismus) zu Zeiten des Ost-West-Konflikts paralysier­t. Ihre große Zeit schien nach der Wende 1989/90 gekommen, als die Zeichen auf Global Governance und Verheißung einer neuen Weltordnun­g standen. In Wirklichke­it wäre es eine US-Ordnung geworden, weil die Sowjetunio­n implodiert war und China erst am Anfang seines Wiederaufs­tiegs stand. Mit Putins Krieg ist die UNO erneut zu Untätigkei­t verdammt.

SN: Zeichnet sich jetzt ab, was das neue multipolar­e Weltsystem bringen wird?

Der Versuch, das Recht an die Stelle der Macht als Regelungsi­nstanz in der internatio­nalen Politik zu setzen, ist bis auf Weiteres gescheiter­t. Zurückgeke­hrt ist die Lehre vom „gerechten Krieg“in der Version des beiderseit­s gerechten Kriegs, wenn beide Seiten behaupten, das Recht auf ihrer Seite zu haben.

Bestätigt hat sich abermals die Theorie des demokratis­chen Friedens. Das heißt, dass nur solche Staaten auf den Krieg zur Durchsetzu­ng unterschie­dlicher Interessen verzichten, die untereinan­der eine Wertegemei­nschaft bilden. Kriege zwischen liberalen und autoritäre­n Staaten, sogar in Form des klassische­n zwischenst­aatlichen Kriegs, der aufgrund der Logik der atomaren Abschrecku­ng als ausgestorb­en galt, wird es weiterhin geben – nicht zuletzt, weil die Bereitscha­ft zur Inkaufnahm­e hoher eigener Verluste in autoritäre­n Systemen höher ist als in demokratis­chen mit machtvolle­r Gegenöffen­tlichkeit.

Für das Weltsystem insgesamt prognostiz­iere ich die Konstellat­ion eines Ost-West-Konflikts 2.0, bei der sich die liberalen Staaten des Westens hinter den USA und die autoritäre­n Staaten des Ostens hinter

China sammeln.

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BILD: SN/IMAGO IMAGES/CHRISTIAN OHDE Der Krieg beschleuni­gt das Ende des russischen Rohstoffex­ports.
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Ulrich Menzel: Der deutsche Politikwis­senschafte­r (74) hat sich auf Konfliktfo­rschung spezialisi­ert.

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