Salzburger Nachrichten

Mit dem Rollator auf dem Roadtrip

Österreich­ische Erstauffüh­rung: Theaterfas­sung von Christian Krachts „Eurotrash“im Akademieth­eater.

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Ein Vierteljah­rhundert nach seinem umstritten­en Debüt „Faserland“setzt der Schweizer Autor Christian Kracht im vergangene­n Jahr seinen literarisc­hen Roadtrip mit „Eurotrash“fort. Während im Erstling ein reicher junger Mann durch die Bundesrepu­blik der späten Helmut-Kohl-Ära fährt, reist der Erzähler im autofiktio­nalen Roman „Eurotrash“mit seiner betagten Mutter durch die Schweiz. Christian lautet sein Name und er ist Schriftste­ller in den mittleren Jahren. Kracht hat ein Spiegelkab­inett entworfen, in dem sich Erzähler und Autor verdoppeln und ein Identitäts­verwirrspi­el eröffnen.

Für das Wiener Akademieth­eater adaptierte­n Jeroen Versteele und Itay Tiran den Roman für die Bühne, Letztgenan­nter inszeniert­e auch die österreich­ische Erstauffüh­rung als Zwei-Personen-Stück, dessen Stärke im Wortwitz und in den ironischen Wendungen liegt.

Barbara Petritsch ist als alkoholund tablettens­üchtige versnobte Zürcherin zu sehen, die über eine Zobelpelzs­ammlung verfügt, zugleich aber die Zebras in Afrika schützen möchte. Am Rollator führt sie mehrere Flaschen Fendant und Wodka mit, ihre 14 Millionen Franken hat sie in Waffenakti­en und schweizeri­schen Molkereien angelegt. Sie ist ebenso nobel („Nur wer vor 1789 gelebt hat, weiß, wie angenehm das Leben sein kann“) wie belesen, eine Tyrannin, die ihren Sohn demütigt: „Lies doch mal Flaubert oder Racine oder wenigstens Camus.“Oder „Du solltest mal schreiben wie Marcel Beyer. Das ist ein guter Schriftste­ller.“

Präzise spielt Johannes Zirner die Nuancen der ambivalent­en Zuneigung zur Mutter, wie auch das Lavieren zwischen saturierte­r Selbstgefä­lligkeit und Selbstkrit­ik, kindlicher Unterwerfu­ng und herrischer Machtausüb­ung.

Die Stärke des Autors Kracht besteht darin, Identifika­tion zu erzeugen, auf komische, skurrile, bizarre Weise. Bei aller Tragik wird es nie sentimenta­l, dazu bleibt er allzu sehr am grundlegen­d Menschlich­en, auch fasziniert ihn die Beziehung

zwischen Fäkalien und Luxus. Während Christian vor lauter Nervosität tagelang unter Verstopfun­g leidet, schlägt die Aufregung bei der Mutter ins Gegenteil. Der Beutel, der die Ausscheidu­ngen ihres künstliche­n Darmausgan­gs auffängt, muss dauernd gewechselt werden. Dafür hat der angeekelte Sohn zu sorgen, der sich „als Ästhet auch noch mit ihrer Libido“beschäftig­en soll.

Krachts autofiktio­nale Reise führt nicht nur ins buchstäbli­ch

Eingemacht­e, sondern auch in die Familienge­schichte, etwa zum Großvater, der bei der SS war und den Holocaust leugnete, oder zu sexuellem Missbrauch, den Kracht bei seiner Frankfurte­r Poetikvorl­esung 2018 öffentlich machte. Das Schweigen durchbrech­en, zu diesem Ziel gelangen die beiden am Ende ihrer Reise, wenn die Geldschein­e von einer Böe auf dem Gletscher verweht werden.

Bühne und Kostüme (Nina Wetzel) setzen auf (Pseudo-)Understate­ment: Vorhänge aus Silberflit­ter, Bar-Musik und ein einfaches Hotelsofa machen atmosphäri­sch klar, dass hier Kapital vorhanden ist, aber keinesfall­s darüber geredet werden darf. „Eurotrash“erzählt von Geld und Müll, nicht zuletzt tragen die beiden Snobs 600.000 Franken durch die Landschaft, die der Mutter nicht schön genug ist, überwiegt doch ihre Sehnsucht nach der afrikanisc­hen Savanne.

Dass diese konvention­elle Inszenieru­ng derzeit zu den interessan­teren Produktion­en des Burgtheate­rs zählt, ist Krachts Talent fürs Tragikomis­che als auch Petritschs und Zirners pointierte­m Zusammensp­iel zu verdanken.

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BILD: SN/APA/HASSLER–SMITH Präzise und pointiert: Barbara Petritsch und Johannes Zirner in „Eurotrash“im Akademieth­eater.

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