Wo die Zivilisation im Fluss ist
Große Ströme lenkten immer die Weltgeschichte. Dennoch wird die Kraft des Wassers für den Lauf der Dinge unterschätzt.
Flüsse haben eine gewaltig unterschätzte Bedeutung für die menschliche Kultur. Sie üben auf uns einen weit größeren Einfluss aus als nur einen ästhetischen. Die großen und kleinen Ströme haben immer schon die Weltgeschichte gelenkt, das Zusammenleben historischer und heutiger Gesellschaften maßgeblich beeinflusst. Doch die Kraft des Wassers auf den Lauf der Dinge blenden wir bei der Betrachtung der Vergangenheit unserer Zivilisation bislang weitgehend aus. So jedenfalls lautet die These von Laurence C. Smith, der mit seinem Werk „Weltgeschichte der Flüsse“auf dieses epochale Missverständnis aufmerksam machen und es zugleich zurechtrücken will. Seine Behauptung macht er an etlichen Beispielen fest. Dabei geht es nicht nur um den profanen Nutzen von Flusswasser zur Verschiffung von Gut und Mensch oder als Trinkwasser oder Lebensraum von essbarem Fisch. Flüsse sind auch Grenzlinien, bestimmen durch Überschwemmungen Lebensräume, sind seit jeher für unser Wohlbefinden verantwortlich, sind Expeditionswege in unbekannte (und ohne Fluss unerreichbare) Gefilde und werden deshalb auch schon seit Urzeiten von Menschenhand manipuliert über Deiche, Kanäle und andere Wasserleitungen.
Auch finden sich schon in der Frühgeschichte zahlreiche Hinweise auf Regeln in Gesellschaften, die sich auf Wassersysteme beziehen. Die ersten bedeutenden Städte erwuchsen an Wasserwegen, wenn sie nicht an Ufern von Seen oder Meeren lagen. Märchen, Mythen und Erzählungen speisen sich oft aus oder beziehen sich zumindest gerne auf ein fließendes Gewässer. Flüsse spielen selbst als Kriegswaffe eine Rolle, etwa durch die Zerstörung von Staudämmen. Auch in Zukunft wird die Bedeutung der Flüsse – vor allem unter dem Eindruck von weltweit drohendem Wassermangel durch den Klimawandel – weiter steigen.
Der Autor zeigt über seine Erzählungen, wie sich die Bedeutung der Ströme im Lauf der Geschichte gewandelt hat und wie sehr sich damit auch das Nutzungsverhalten verändert hat – nicht zuletzt als Ort für Abfall und Abflüsse. Allerdings erkennt man seit geraumer Zeit auch die Fehlentwicklungen und Irrwege bei der Nutzung von Flüssen und baut Begradigungen zurück, reinigt das Wasser und schützt wieder vermehrt den Lebensraum von vielen Tieren, Pflanzen und, ja, auch Menschen. Smith hat eine spannende Geschichte über die Geschichte der Flüsse geschrieben, die viel Neues über die Ströme an die Oberfläche spült.