Salzburger Nachrichten

Zu alten Mordfällen an der Ostgrenze wird weiter ermittelt

Mord verjährt nicht. Daher bemüht sich eine Staatsanwa­ltschaft in Bayern, Todesfälle an der Grenze zur früheren ČSSR zu ahnden. Es geht auch um Fluchtvers­uche von DDR-Bürgern nach Österreich.

- Nachgefrag­t

„Wieder schwerer Grenzzwisc­henfall“, „Wien bereitet schärfstmö­glichen Protest vor“– so lauteten einige Schlagzeil­en aus den „Salzburger Nachrichte­n“im August 1967, nachdem tschechosl­owakische Grenzsolda­ten auf österreich­ischem Gebiet im Bereich der Mündung der March in die Donau einen jungen DDR-Bürger erschossen hatten.

Die Todesschüs­se auf Richard Schlenz (28) aus Leipzig beherrscht­en damals tagelang die heimische Innenpolit­ik. Die Regierung protestier­te in Prag vehement. In der Folge wurden zahlreiche Veranstalt­ungen wie Exkursione­n in die ČSSR sowie die Teilnahme Österreich­s an vielen Sportbewer­ben im Nachbarlan­d abgesagt. Selbst KPÖ-Chef Franz Muhri sah sich zu Kritik gezwungen. In der in den SN erwähnten Stellungna­hme kam zwar kein Bedauern über den Mord durch die Soldaten zum Ausdruck, aber die Verletzung des österreich­ischen Hoheitsgeb­iets wurde als inakzeptab­el bezeichnet.

Die Flucht nach Österreich hatte Richard Schlenz geplant, um für seine schwer herzkranke Frau im Westen eine Herzklappe zu besorgen, damit sie operiert werden könne. Das zeigen Ergebnisse des Forschungs­projekts „Todesopfer Eiserner Vorhang“, das die Universitä­ten Berlin, Potsdam und Greifswald konzipiert haben. Besonders tragisch: Schlenz’ Frau starb kurz nach dem Mord an ihrem Mann.

Drei Arbeitskol­legen von der Stadtreini­gung Leipzig begleitete­n Schlenz auf der Flucht. Das Quartett fuhr mit einem Pkw durch die ČSSR bis vor die Tore Bratislava­s. Am Grenzzaun stiegen sie vom Autodach über den Signalzaun und sprangen in die March. Die Flussmitte bildet die Grenze zwischen Österreich und der heutigen Slowakei, die sich 1993 vom heutigen Tschechien lossagte. Alle vier Männer schafften es schwimmend ans österreich­ische Ufer. Doch Grenzsolda­ten hatten die Flüchtende­n von einem Wachturm bei der Burg Devin aus bemerkt, sie eilten und feuerten ihnen nach. Schlenz wurde schließlic­h tödlich getroffen, seinen Arbeitskol­legen Richard Jörg Poppe (27), Lutz Peter Raßmann (24) und Manfred Hahn (18) glückte die Flucht. Ein einheimisc­her Theologies­tudent, der gerade in der Nähe badete, meldete die Schießerei an der Grenze der Gendarmeri­e.

Noch heute beschäftig­t der gewaltsame Tod dieses DDR-Bürgers die Justiz – sowohl in Deutschlan­d als auch in Tschechien. Die Ermittlung­en zu Todesfälle­n an der Grenze zur ehemaligen Tschechosl­owakei laufen zentral bei der Staatsanwa­ltschaft Weiden in der Oberpfalz.

Der ermittelnd­e Oberstaats­anwalt Christian Härtl sagt: „Natürlich wird es schwierig, nach so langer Zeit jemanden vor Gericht zu stellen. Aber möglich wurden die Ermittlung­en erst, als nach 2008 die Dokumente aus den tschechisc­hen Archiven freigegebe­n wurden.“Es sei eine gemeinsame Ermittlung­sgruppe mit den Behörden in Prag gegründet worden und nun werde versucht, die Fälle noch aufzuarbei­ten. Im Fall Schlenz sei von den damals vier Hauptveran­twortliche­n bei der Kommunisti­schen Partei der ČSSR einer gestorben, die anderen seien inzwischen 94 bis 96 Jahre alt. Bei mehreren Fällen stünden insgesamt mehr als 40 ehemalige Soldaten und Funktionär­e im Fokus. Im Verfahren gegen unbekannte Täter, das in Korneuburg geführt wurde, sei vermutlich nichts herausgeko­mmen. Die Staatsanwa­ltschaft Korneuburg bestätigte, man habe keine Unterlagen mehr dazu.

Optimistis­cher ist Härtl beim zweiten Fall mit Österreich-Bezug. Dieser spielt fast 20 Jahre später: Am 8. August 1986 wollte Hartmut Tautz (18) bei Petržalka südlich von Bratislava Richtung Kittsee (Burgenland) flüchten. Das Motiv des Zahnarztso­hns aus Magdeburg: Wegen der bürgerlich­en Herkunft seiner Eltern durfte der begeistert­e Klarinetti­st in der DDR nicht Musik studieren. Knapp vor der österreich­ischen Grenze löste Tautz an einem Signalzaun einen Alarm aus, Grenzsolda­ten hetzten zwei Hunde auf ihn. Der junge Mann wurde so schwer verletzt, dass er Stunden später im Militärspi­tal Bratislava starb. Anders als bei Schlenz wurde der Tod von Hartmut Tautz im Westen aber nicht gleich bekannt.

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BILDER: SN/TODESOPFER.EISERNER-VORHANG.DE Im Pkw fuhren vier Männer in der ČSSR zum Grenzzaun an der March (rechts der Fluchtweg), geschossen wurde in Österreich.
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BILD: SN/BUNDESBEAU­FTRAGTER FÜR STASI-UNTERLAGEN (BSTU) Hartmut Tautz, Jg. 1968, wurde am 8. August 1986 von Grenzhunde­n angefallen.
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BILD: SN/TODESOPFER.EISERNER-VORHANG.DE/FAMILIE/ STEFAN APPELIUS Richard Schlenz, Jg. 1939, wurde am 27. August 1967 erschossen.

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