Jeden Tag geht eineWiese für immer verloren
Immer mehr Grünfläche wird versiegelt. Nicht nur Naturschützer üben Kritik. In vielen Orten gehen auch Anrainer auf die Barrikaden.
SALZBURG. Trotz aller Rufe, die Versiegelung zu stoppen, schreitet die Verbauung von wertvollem Grünland voran. In Salzburg gingen von 2010 bis 2020 im Schnitt pro Tag 0,7 Hektar verloren – also ein Fußballfeld jeden Tag. Offiziell heißt das „Flächeninanspruchnahme“– es bedeutet den Verlust von Boden durch Verbauung, Deponien, Kraftwerke oder Ähnliches. 44 Prozent dieser beanspruchten Fläche sind in Salzburg versiegelt, was bedeutet, dass es dort kein Bodenleben mehr gibt. Auf jeden Salzburger kommen aktuell laut Angaben des Umweltbundesamts 246 Quadratmeter versiegelte Fläche.
In den vergangenen Jahren ging der Flächenfraß zwar zurück: 2020 waren es „nur“noch 1000 Quadratmeter pro Tag. Das sei aber immer noch zu viel, sagt Hannes Augustin vom Naturschutzbund. Er fordert „NettoNull“. Wenn schon gebaut werde, dann müsse „eine ökologisch gleichwertige Fläche geschaffen werden. Dann muss begrünt werden, damit die Flächen nicht wegfallen.“
Vielerorts regt sich auch Widerstand in den Gemeinden. In Mauterndorf etwa will eine Initiative den Bau eines Chaletdorfs verhindern. Konkret ist im Ortsteil Hammer eine Ferienhotelanlage mit bis zu 350 Betten geplant. Eine Bürgerinitiative protestiert gegen die Verbauung des „in unseren Augen schönsten Naherholungsgebiets unseres Orts“, wie es in einem Schreiben an die Gemeinde heißt. 300 Mauterndorfer hätten dagegen unterschrieben, sagt einer der Kritiker, Johann Steffner-Wallner. Er befürchtet, dass sich die Geschichte wiederholen könnte: Die Gemeinde habe schon vor über 15 Jahren einem ähnlichen Projekt zugestimmt, das damals auch als „zukunftsweisendes touristisches Großprojekt“beworben worden sei. „Mittlerweile stehen an dieser Stelle über 20 Häuser, die sich fast alle im Besitz von holländischen Eigentümern befinden und zu 90 Prozent als stille Zweitwohnsitze und kalte Betten genutzt werden.“
Die Lokalpolitik hat sich noch nicht festgelegt. „Wir haben ein Widmungsansuchen gekriegt, das wird ordnungsgemäß abgehandelt und an die Aufsichtsbehörde – das Land – weitergegeben. Dann werden wir weitersehen“, sagt der Mauterndorfer
Bürgermeister Herbert Eßl (ÖVP). Aber warum sagt die Gemeinde angesichts des Widerstands im Ort und der allgemeinen Kritik an Chaletdörfern nicht von vornherein Nein? „Sie werden von mir keine Aussage kriegen, ob ich für oder gegen etwas bin“, sagt Eßl. „Bei uns wird jedes Projekt ordnungsgemäß geprüft.“
In Neumarkt wiederum gibt es anhaltenden Widerstand gegen den Bau eines Hotels in der Ostbucht des Wallersees im Bereich des Campingplatzes, für den sogar ein Teil des Sees aufgeschüttet werden soll (Bild oben).
Eines der umstrittensten Projekte ist momentan die Erweiterung des Sonnenschutz-Herstellers Schlotterer in Adnet bei Hallein. Das Werk 3 inklusive 315 Parkplätzen soll auf den Adnetfeldern entstehen. Eine Bürgerinitiative hat sich gebildet. Sie argumentiert – neben der Verkehrsund Lärmbelastung – vor allem mit dem Schutz des Naherholungsgebiets. Das Unternehmen und die Mehrheit der Gemeindevertretung rechtfertigen das Vorhaben damit, dass es um Hunderte neue und bestehende Arbeitsplätze gehe und im Tennengau keine geeignete Alternative verfügbar sei. Eine naturschutzund landschaftsverträgliche Lösung solle verwirklicht werden, was die Gegner wiederum bezweifeln. „Die Felder mit ihren Hecken sind ein wertvoller Lebensraum“, sagt die Anrainerin Waltraud Rehrl. „Ich erhole mich hier jeden Tag und setze mich für die Natur ein.“Sie verstehe nicht, „dass man eine so schöne Landschaft zerstören kann“. Die Politik spreche sich gegen den Flächenfraß aus, „sie macht hier aber das Gegenteil“. Die Betroffenen sind von der Landes- und Gemeindepolitik enttäuscht. Sie bedauern, dass Landwirte die Bewirtschaftung einstellen, und ärgern sich darüber, dass mit einer Verbauung „unsere Häuser und Grundstücke entwertet werden“.
Agrarlandesrat Josef Schwaiger (ÖVP) betont, dass der Flächenverbrauch in den vergangenen Jahren zurückgegangen sei – auf zuletzt 0,1 Hektar täglich. „Tausend Quadratmeter pro Tag – das ist in Österreich ein hervorragender Wert.“Andere Bundesländer seien nicht so weit. Zum Vergleich: Der Flächenverbrauch lag 2020 in Kärnten bei einem Hektar pro Tag, im Burgenland bei 1,6 Hektar pro Tag.
Schwaiger verweist außerdem auf das neue Landesentwicklungsprogramm (LEP), mit dem Grünland für die Zukunft gesichert werden soll. Ausnahmen soll es lediglich für den förderbaren Wohnbau geben, für die Energieraumplanung (Windkraftwerke) und Photovoltaik. Der Tourismus soll sich künftig in den „Hauptsiedlungsbereichen“abspielen. Jedenfalls wolle er den „Flächenfraß bei Tourismusprojekten“einbremsen. „Wir wollen keine Zweitwohnsitze und Chaletdörfer.“
SPÖ-Landtagsabgeordnete Karin Dollinger, die seit vielen Jahren Kritik an der fortschreitenden Verbauung und an Chaletdörfern übt, hält das LEP für ein zu schwaches Instrument: „Ich würde mir eine verschärfte Regelung im Raumordnungsgesetz (ROG) wünschen, weil man es dort besser durchsetzen kann.“Das ROG könnte auch rasch novelliert werden. Beim aktuell heiß diskutierten MauterndorfProjekt seien die Fehler aber schon beim Verkauf der Grundstücke durch zwei Bauern an einen Seilbahnunternehmer passiert. „Die Grundverkehrskommission hätte das nicht durchwinken dürfen.“
„Tausend Quadratmeter pro Tag sind hervorragend.“