„Es gab eine Abschussliste“
Vom „System Pilnacek“zum „System Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft“. Der ÖVP-U-Ausschuss offenbarte tiefe Risse im heimischen Justizsystem.
Gleich zu Beginn seiner Befragung holte der einstige JustizSpitzenbeamte und Topjurist Christian Pilnacek zum Rundumschlag aus. Es geht darum, dass Pilnacek Zugang zu Kopien seiner E-Mails und Chats wollte, die Basis zahlreicher Ermittlungen des ÖVP-U-Ausschusses sind. Dazu schrieb der suspendierte Sektionschef laut eigenen Angaben über ein Dutzend Ansuchen an Justizressort, Staatsanwaltschaft, Datenschutzbehörde und Parlamentspräsidentschaft. Laut Pilnacek ohne Ergebnis. „Ich kann deshalb nicht nachvollziehen, ob Nachrichten aus dem Zusammenhang gerissen werden und ich deshalb Gefahr laufe, wegen Falschaussage angezeigt zu werden“, so Pilnacek. Und weiter: „Ich will deshalb keine Frage zu diesen Korrespondenzen beantworten. Ich bin aber bereit, noch einmal zu kommen, wenn ich alle Mails und Chats bekommen habe“, sagte er in einer Stellungnahme und berief sich auf die Menschenrechtskonvention.
Fast zehn Jahre lang leitete der Topjurist eine der heikelsten Abteilungen im Justizressort, die Strafrechtssektion. Auf seinem Schreibtisch landeten spektakuläre Kriminalfälle. Nun steht er selbst im Fokus staatsanwaltlicher Ermittlungen und der parlamentarischen Aufklärung. Gegen den einst mächtigen Sektionschef wird wegen des Verdachts der Falschaussage und des Amtsmissbrauchs ermittelt. Profitiert soll die ÖVP haben, das legen laut Opposition zahlreiche Chats nahe. Die Opposition spricht vom „System Pilnacek“, Pilnacek hingegen spricht vom „System Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft“, die eine „interne Abschussliste“führe, auf der er selbst, der Chef der Oberstaatsanwaltschaft Wien und der ehemalige Kanzler stünden. Ein Vorwurf, der vonseiten der WKStA bestritten wurde. Es folgten in der Befragung Pilnaceks ein Gezerre um jede Formulierung
und zähe Geschäftsordnungsdebatten, auch wenn der Verfahrensrichter Pilnaceks Ansicht auf eine Blanko-Aussageverweigerung nicht teilte. Deshalb stand die Verhängung einer Beugestrafe gegen den Spitzenjuristen den ganzen Sitzungsnachmittag über im Raum.
Zuvor war der Chef der Wiener Oberstaatsanwaltschaft, Johann Fuchs, der einst für die Dienstaufsicht der WKStA zuständig war, geladen. Dass er mit seiner ihm einst untergebenen Dienststelle, der WKStA, im Clinch lag, erklärte er zu Beginn der Befragung. Allerdings sei er kein Teil eines ÖVP-nahen
Netzwerks. Und: „Ich bin nicht der Anstandswauwau von Pilnacek“, so Fuchs.
Probleme mit der WKStA habe es bereits im Eurofighterverfahren gegeben. Bei einer Dienstbesprechung sei bekanntlich die Lage eskaliert. Fuchs stellte in der Folge das Team für die Eurofighter-Ermittlungen zusammen, was ursprünglich die Aufgabe der Dienststellenleitung, in dem Fall der WKStA-Chefin, gewesen wäre. Der Riss zwischen WKStA und Fuchs wurde dadurch nicht kleiner. Und Pilnacek und Fuchs überlegten, nachdem interne Infos in den Medien gelandet waren, wie sie die WKStA überwachen könnten. Etwa seien, so der Verdacht Fuchs’ und Pilnaceks, Infos von der WKStA an die Medien weitergespielt worden. Im Anschluss besprach man per Chat, einen WKStA-Mann zu observieren und wegen Amtsmissbrauchs zu ermitteln. Diese Chats tat Fuchs, der sich mit dem damaligen Sektionschef über eine weitreichende Maßnahme gegen einen Korruptionsstaatsanwalt austauschte, als Wirtshausplauderei ab. Es sei darüber hinaus auch nichts in diese Richtung geschehen. Und: „Es zeigte den Grad unserer Verzweiflung.“