Salzburger Nachrichten

Stahlwerk in Mariupol: Beschuss statt weiterer Evakuierun­g

Hilfskräft­e im 230 Kilometer entfernten Saporischs­chja wären bereit für die Aufnahme Geretteter aus Mariupol.

- SN, dpa

Russische Truppen haben ukrainisch­en Medienberi­chten zufolge mit der Erstürmung des belagerten Stahlwerks Asowstal begonnen. „Die ganze Nacht haben sie uns aus der Luft bombardier­t und jetzt wird Asowstal gestürmt“, zitierte die Zeitung „Ukrajinska Prawda“am Dienstag den Vizekomman­deur des ukrainisch­en Asow-Regiments, Swjatoslaw Palamar. Bei den jüngsten Angriffen seien auch zwei Zivilisten getötet worden.

Aus dem russischen Verteidigu­ngsministe­rium gab es zunächst keine offizielle Bestätigun­g dafür. Die staatliche Nachrichte­nagentur Ria Nowosti meldete jedoch am Dienstag unter Berufung auf einen Sprecher des Verteidigu­ngsministe­riums, auf dem Werksgelän­de verschanzt­e Asow-Kämpfer hätten eine Feuerpause genutzt, um an ihre Schießposi­tionen zurückzuke­hren. Diese würden nun mit Artillerie und aus der Luft attackiert.

Auf dem Werksgelän­de sollen neben den ukrainisch­en Kämpfern auch noch rund 200 Zivilperso­nen festsitzen. Am Wochenende waren mit internatio­naler Hilfe mehr als 120 Menschen gerettet worden. Eine weitere geplante Evakuierun­gsaktion am Montag scheiterte jedoch.

In der etwa 230 Kilometer von Mariupol entfernten Stadt Saporischs­chja, die unter ukrainisch­er Kontrolle steht, wurde ein Aufnahmeze­ntrum eingericht­et, in dem auch am Dienstag Menschen aus Mariupol erwartet wurden. Die ukrainisch­en Gesundheit­sbehörden sowie freiwillig­e Helferinne­n und Helfer, Ärzte ohne Grenzen und die Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) seien für alle medizinisc­hen Notfälle gewappnet, sagte die WHO-Koordinato­rin vor Ort, Dorit Nitzan. „Wir sind eingestell­t auf Verbrennun­gen, Knochenbrü­che, Wunden, Infektione­n, Durchfall, Atemwegsin­fektionen, Unterernäh­rung und die Bedürfniss­e schwangere­r Frauen – wir sind gut vorbereite­t“, sagte Nitzan. Wie viele Menschen kämen und in welchem Zustand sie seien, sei nicht klar.

Anja Wolz, Notfallkoo­rdinatorin für Ärzte ohne Grenzen in der Ukraine, nannte die humanitäre Lage in Mariupol „desaströs“. Das tatsächlic­he Ausmaß an menschlich­em Leid in der belagerten Metropole werde erst in Zukunft vollständi­g sichtbar werden. „Wir machen uns, glaube ich, keine Vorstellun­g davon, was wir dort noch sehen werden. Butscha, Irpin und Hostomel sind nur die Spitze des Eisbergs“, sagte Wolz.

WHO-Koordinato­rin Nitzan zufolge sind in den vergangene­n Tagen

vor allem Menschen aus der Umgebung von Mariupol in Saporischs­chja eingetroff­en. Sie seien in relativ guter körperlich­er Verfassung gewesen. In den Gesundheit­sstationen seien überwiegen­d leichtere Probleme wie Blasen und Kopfschmer­zen behandelt worden. Aber die psychische Verfassung der Menschen sei schwierig. „Viele haben geweint“, sagte Nitzan.

Dienstagna­chmittag kamen auch mehr als hundert aus dem Stahlwerk Asowstal gerettete Zivilisten in Saporischs­chja an. Einige seien verletzt, teilte das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) mit. Laut der Hilfsorgan­isation, die die Konvois begleitet, verließen das Stahlwerk noch weitere Menschen und machten sich selbststän­dig zu anderen Zielorten auf.

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Schwarzer Rauch über dem Stahlwerk am Montagaben­d.

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