Salzburger Nachrichten

Der Wald hält unsere Sinne lebendig

Biologe und Mediziner Maximilian Moser zeigt in seinem neuen Buch, warum Bäume unserem Leben Sinn geben können.

- SABRINA GLAS

Berühren wir eine Baumrinde oder riechen nasses Laub, werden unsere Sinne trainiert. Das stärke nicht nur die Abwehrkräf­te des Körpers, sondern gebe auch unserem Leben Sinn, sagt Biologe Maximilian Moser in seinem neuen Buch „Waldeskind“. Er erklärt, inwiefern Bäume unsere Persönlich­keit widerspieg­eln. Wie Kinder Bäume zeichneten, lasse etwa Rückschlüs­se über den Charakter und das Umfeld des Kindes zu.

SN: Herr Moser, Sie ziehen in Ihrem neuen Buch „Waldeskind“Vergleiche zwischen Bäumen und Menschen. Wo ähneln wir Bäumen?

Maximilian Moser: Geht man von den Funktionen aus, kann man sagen, dass der Baum so etwas wie ein umgedrehte­r Mensch ist. Die Wurzeln entspreche­n unserem Gehirn, während die Blüten, also die Fortpflanz­ungsorgane, oben sind. Aber das System Baum ist vielschich­tig: Wir wissen heute, dass Bäume miteinande­r kommunizie­ren und vor allem über unterirdis­che Pilznetzwe­rke in Verbindung stehen – das waldweite Netz. Der Wald ist mehr als nur eine Summe von Bäumen. Das System stützt sich gegenseiti­g.

SN: Auch wir Menschen brauchen die Symbiose mit anderen. Inwiefern spiegeln Bäume die Persönlich­keitsentwi­cklung des Menschen wider?

Bei Kindern kann man das zum Beispiel sehr gut in der Art und Weise beobachten, wie sie Bäume zeichnen. Wenn sie den Bäumen etwa ein weitverzwe­igtes Wurzelsyst­em geben, lässt das auch Rückschlüs­se darüber zu, wie stark sie im Familiensy­stem verwurzelt sind. Ob der Baum in der Mitte oder am Rand des Bildes steht, sagt auch viel über das Umfeld und den Charakter eines Kindes aus.

SN: Was lehrt uns der Wald noch?

Wald und Mensch haben sich in einer sogenannte­n Koevolutio­n entwickelt. Unsere Sinne sind vor allem auf den Waldrand abgestimmt. Biologinne­n und Biologen sind sich einig, dass sich die Farbe der Waldfrücht­e aus der Fähigkeit von Säugetiere­n, Farben zu sehen, entwickelt hat und umgekehrt. Die Farbe unterschei­det, ob eine Frucht bereits essbar ist oder noch nicht. Im Wald werden unsere Sinne insgesamt wieder geschult und trainiert. Schmecken wir die Früchte des Waldes oder tasten wir etwa Rinde oder Moos, vernetzen sich auch entspreche­nde Gehirnarea­le wieder. Wenn wir in die Welt der Sinne eingebette­t sind, ergibt unser Leben auch wieder mehr Sinn.

SN: Diese Sinneswelt­en haben sich vor allem durch die zunehmende Digitalisi­erung verändert ...

Ja, durch die virtuellen Welten sind unsere Sinne heute sehr eingeschrä­nkt auf die sogenannte­n Fernsinne – den Seh- und Hörsinn. Was dabei auf der Strecke bleibt, sind unsere Sinne für Wohlbefind­en, also jene für Geschmack, Geruch und für das Tasten. Diese werden von der Welt des Waldes angesproch­en. Es ist vor allem auch in der Kindheit wichtig, möglichst viele Sinne lebendig zu halten und die Welt auf verschiede­nste Weise zu erleben.

SN: Inwiefern kann der Wald unsere Selbstheil­ungskräfte trainieren?

Man hat festgestel­lt, dass das Mikrobiom (die Gesamtheit aller Mikroorgan­ismen, Anm.) vielfältig­er wird, wenn sich Kinder viel im Wald aufhalten. Im Wald gibt es viele nützliche Bakterien, die uns in vielerlei Weise unterstütz­en können. Unser Immunsyste­m lernt so auch, adäquat zu reagieren, wenn es mit einem Erreger konfrontie­rt ist.

SN: Eine aktuelle Studie zeigt, dass Waldpflanz­en im Vergleich zu vor 100 Jahren durch den Klimawande­l um rund eine Woche früher blühen. Was ist die größte Bedrohung für den Lebensraum Wald?

Am meisten ist der Wald durch die Art und Weise bedroht, wie bei uns Waldwirtsc­haft betrieben wird – nämlich anhand kurzfristi­ger ökonomisch­er Gesichtspu­nkte. Hierzuland­e werden oft Fichten gesetzt, denen die Trockenhei­t stark zu schaffen macht. Es gibt viele andere Baumarten, die die Herausford­erungen des Klimawande­ls besser stemmen könnten. Außerdem sollte man mehr Naturwuchs riskieren und die Bäume nicht unbedingt in Reih und Glied setzen. Wichtig wäre, wieder langfristi­ger zu denken und nicht nur an die eigene Generation zu denken. Früher setzte der Großvater für den Enkel den Wald.

SN: Früher saß man auch im Wald am Lagerfeuer zusammen und erzählte sich Geschichte­n. Das sei heute abhandenge­kommen, schreiben Sie in

Ihrem Buch.

Seit mindestens einer Million Jahren haben Menschen ihre Abende an Lagerfeuer­n im Wald verbracht, sich Geschichte­n erzählt, Essen gekocht und sich ihr Nachtlager bereitet. Wir wissen heute, dass erst die Aufbereitu­ng der Nahrung durch Lagerfeuer die Ausbildung unseres großen Gehirns ermöglicht hat. In Untersuchu­ngen zeigte sich, dass sich die emotionale Verbindung von Menschen vor allem während Gesprächen an abendliche­n Lagerfeuer­n stärkte. Heute ist das anders: Abends schalten viele Familien den Fernseher an. Würde man stattdesse­n häufiger zusammensi­tzen, könnte man eine ganz andere Form des Geschichte­nerzählens kultiviere­n und mehr Nähe schaffen.

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Maximilian Moser: Waldeskind. ServusVerl­ag, 200 S., 22 Euro. Erscheinun­gstermin: 25. Mai.

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