Der Polit-Erdrutsch nach Ibiza
Drei Jahre nach der Videofalle hat die Republik mehr denn je mit den Folgen der Affäre zu kämpfen.
In der Nacht auf den 17. Mai 2019 schrieb der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz ein dringendes SMS an seinen Vizekanzler Heinz-Christian Strache: „Was kommt da genau?“Das Team um Kurz war nervös. Vor der Textnachricht des Kanzlers waren Medienanfragen zu belastendem Material gegen Strache eingelangt. Gerüchte machten im Wiener Regierungsviertel die Runde. „Halb so wild. Viele falsche Vorwürfe, welche so nicht stattgefunden haben ... Lg“, schrieb Strache zurück. Damit war die Sache zunächst erledigt – und Kurz dürfte nicht geahnt haben, dass da etwas kam, das in der Folge seine politische Karriere beenden sollte. Wenige Stunden später, am Abend des besagten Freitags, veröffentlichten „Süddeutsche Zeitung“und „Spiegel“die Videoausschnitte, die unter dem Titel Ibiza-Video in die Geschichtsbücher eingingen.
Neben den umwälzenden politischen Folgen, inklusive Neuwahlen und Expertenregierung, brachte das Ibiza-Video großflächige Ermittlungen ins Rollen. Diese hatten wiederum weitere politische Umbrüche zur Folge, sowie heftige Konflikte zwischen Korruptionsstaatsanwaltschaft, Justizverwaltung und Innenministerium. Derzeit tagt mit dem ÖVP-U-Ausschuss gewissermaßen der zweite Ibiza-U-Ausschuss, um die politische Dimension zu beleuchten. Aber wie steht es um die Strafverfahren?
Hauptdarsteller
Der langjährige FPÖ-Chef hatte in der Finca den Mund recht voll genommen, als er irrtümlich erklärte: „Solange ich nicht tot bin, habe ich die nächsten 20 Jahre noch das Sagen“und zudem erläuterte, wie einfach Parteispenden am Rechnungshof vorbeigelotst werden könnten. Nach den Sagern Straches und seines früheren Klubchefs Johann Gudenus im Ibiza-Video wurden Ermittlungen wegen illegaler Parteienfinanzierung über FPÖ-nahe Vereine aufgenommen – und im Herbst 2020 wieder eingestellt.
„Zufallsfunde“im Zuge der Ermittlungen rund um das Ibiza-Video haben die halbe Republik unter Druck und unter Verdacht gebracht. Auch Strache hat seine erste Post-Ibiza-Verurteilung einem „Zufallsfund“zu verdanken. Der Ex-FPÖ-Chef wurde im Prozess um den Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds im August des Vorjahrs wegen Bestechlichkeit nicht rechtskräftig zu 15 Monaten bedingt verurteilt. Ab 7. Juni steht Strache wieder vor Gericht. Ein mitangeklagter oberösterreichischer Immobilienunternehmer soll Strache bestochen haben, um einen Aufsichtsratsposten in der Asfinag zu erlangen. Und zwar gegen eine Spende an einen FPÖ-nahen Verein und eine angebotene Reise nach Dubai. Strache und der Unternehmer wollen die Vorwürfe entkräften.
Außer Spesen …
In der „Spesenaffäre“droht Strache weiteres Ungemach. Die Wiener Staatsanwaltschaft steckt, wie den SN am Montag bestätigt wurde, „mitten im Ermittlungsverfahren“gegen den Ex-FPÖ-Chef und seine mittlerweile getrennt lebende Frau Philippa. An diesem Nebenschauplatz der Ibiza-Affäre steht der Vorwurf im Raum, der auf durchaus großem Fuß lebende ehemalige FPÖ-Chef habe private Ausgaben in Höhe von mehr als 500.000 Euro als Parteispesen abgerechnet, indem er Rechnungen „umwandeln“ließ. Tatsächlich wurde Strache 2019 nicht wegen des Ibiza-VideoSkandals aus der FPÖ ausgeschlossen, sondern, weil gegen den damals schon schwer angeschlagenen Politiker Vorwürfe laut geworden waren, er und seine Frau hätten private Ausgaben in großem Stil der Partei verrechnet.
50 Beschuldigte
Doch es geht schon lange nicht mehr nur um Strache. Das Auftauchen des Ibiza-Videos und anschließende Ermittlungen führten zu zahlreichen weiteren Verfahren und Causae. Im Zentrum steht häufig die Frage, ob es gegen Spenden Leistungen von Amtsträgern – also Korruption – gegeben hat. Für Politund Justizwirbel sorgten die Casino-Affäre, der Novomatic-Komplex oder die Umfrage-Causa, die schlussendlich auch zum Rücktritt von Kurz führte. Auf den Aktendeckeln der Ermittlungsunterlagen steht fast immer „Strafsache/Anzeige gegen Heinz-Christian Strache u. a.“, denn die Strafprozessordnung sieht vor, dass Fälle mit einem gewissen Konnex unter einem Stammverfahren laufen. Und das ist mächtig: Rund 50 Beschuldigte werden darin geführt. So laufen gegen Ex-Kanzler Kurz, der angesichts der Ermittlungen zurücktreten musste, und vier ehemalige ÖVP-Minister Ermittlungen, weiters gegen Vereine, die ÖVP oder Unternehmen. Weil Aktenleaks immer wieder Thema sind: Alle Beschuldigten und ihre Anwälte haben Akteneinsicht und so die Möglichkeit, Aktenteile strategisch zu „leaken“.
67.000 Aktenseiten
Bei der zuständigen und immer wieder hart kritisierten Wirtschaftsund Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) arbeiten acht Beamte an diesem Stammverfahren mit seinen Seitensträngen, wobei diese acht Beamtinnen und Beamte nicht nur in der Sache Ibiza ermitteln. Mittlerweile umfasst der Stammakt 67.000 Seiten, die dazugehörigen Aufzeichnungen der Staatsanwaltschaft umfassen 8300 Seiten. Grundlage für die Ermittlungen sind neben Zeugenaussagen Hunderttausende im Akt befindliche Chatnachrichten. Zu sichten haben die Ermittler 28 Terabyte, das sind etwa 6,5 Millionen Dokumentenseiten. Die Delikte, derentwegen in all diesen Verfahren ermittelt wird, reichen von Bestechung und Bestechlichkeit über Amtsmissbrauch bis zu Geldwäsche oder Untreue. Für alle in diesem Artikel Genannten gilt die Unschuldsvermutung. In der ÖVP verweist man auf mehrere Verfahrenseinstellungen. So wurden Ermittlungen gegen ExFinanzminister Hartwig Löger wegen Untreue in der Causa Premiqamed eingestellt.
„Zahlt eh alle …“?
In der Causa Casinos sind Strache und Gudenus so wie auch Löger weiter im Visier der Staatsanwaltschaft. Es geht um die Bestellung des FPÖ-Bezirksrats Peter Sidlo nach einem mutmaßlichen politischen Deal mit dem Glücksspielkonzern Novomatic zum Finanzvorstand der Casinos AG. Dem Satz Straches im Ibiza-Video „Novomatic zahlt alle“wurde vom Glücksspielkonzern stets heftig widersprochen. Ermittlungen gegen ExFinanzminister Gernot Blümel und Novomatic führten im Vorjahr zu Hausdurchsuchungen. Im Hintergrund steht ein Steuerproblem von Novomatic in Italien, bei dem Kurz als damaliger Außenminister helfen sollte. Der damalige NovomaticChef Harald Neumann stellte in einer Chatnachricht eine „Spende“in Aussicht. Er schrieb an Blümel: „Bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz (erstens wegen Spende und zweitens bezüglich eines Problems das wir in Italien haben).“Sowohl Novomatic als auch die ÖVP-Politiker haben die Vorwürfe stets zurückgewiesen.
Chats, Chats, Chats
Als Folge der Ibiza-Ermittlungen geriet auch ein gewisser Thomas Schmid in den Fokus der WKStA. Gegen den einstigen Generalsekretär im Finanzministerium, späteren Chef der Staatsholding ÖBAG und Kurz-Vertrauten wurde zunächst in der Casino-Affäre ermittelt. Bei einer Hausdurchsuchung übergab Schmid sein Handy an die Ermittlungsbeamten, auf dem zuvor Tausende Handynachrichten gelöscht worden waren. „Ich habe heute alles gelöscht. Bei WhatsApp“, schreibt er im Oktober 2019 an seine Assistentin und setzt nach: „Genial.“Doch die Nachrichten befanden sich als Sicherheitskopie auf einer Festplatte. Darauf fanden die Ermittler 300.000 Nachrichten, von denen noch lange nicht alle ausgewertet sind. Die Chats brachten den damaligen Kanzler Kurz in Bedrängnis, unter anderem als es um Schmids Besetzung als ÖBAGChef ging. Kurz schrieb damals an diesen: „Kriegst eh alles, was du willst!“, Schmid antwortete: „Ich liebe meinen Kanzler!“Abgesehen von politisch brisanten Nachrichten ergab sich aus den Chats eine Fülle weiterer Ermittlungen.
Frisierte Umfragen
So brachten die Schmid-Chats auch die Umfrage-Affäre ans Tageslicht und die ÖVP in Bedrängnis. Über teilweise frisierte Umfragen und aus Steuermitteln bezahlte Rechnungen soll von Kurz-Vertrauten positive Berichterstattung erkauft worden sein. Es darf gezittert werden: Denn die im Zentrum der Affäre stehende Meinungsforscherin Sabine B. packte vor den Staatsanwälten aus, um den Kronzeugenstatus zu erlangen. Ex-Familienministerin Sophie Karmasin, die von B. massiv belastet wurde, landete in Untersuchungshaft. B. soll im Zusammenspiel mit Thomas Schmid und weiteren Kurz-Vertrauten das „Österreich Tool“umgesetzt haben, bei dem von der ÖVP bestellte Umfragen in Fellner-Medien veröffentlicht wurden. Im Gegenzug für üppige Inserate habe es positive Berichterstattung in der Fellner-Mediengruppe gegeben haben. Die Abrechnung der frisierten Meinungsforschungsergebnisse, soll B. laut Chatprotokollen mit Kurz-Vertrauten, in für das Finanzministerium erstellte thematisch oft fragwürdige Studien „hineingepackt“haben.
Video-Drahtzieher
Der Drahtzieher des Ibiza-Videos Julian H. wurde Ende März zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Und zwar wegen Kokainhandels und Urkundendelikten (nicht rechtskräftig). NGOs kritisierten dass es in dem Verfahren darum gegangen sei, „abschreckende Wirkung“auf zukünftige Aufdecker zu erzielen. Die Ermittlungen gegen H. wegen der Videofalle gegen Strache laufen noch. Aktuell liegt ein „Vorhabensbericht“beim Justizministerium.