Salzburger Nachrichten

„Reform ist das noch keine“

Die SN ließen eine Pflegewiss­enschafter­in die von der Regierung geplanten Maßnahmen bewerten. Ihre Einschätzu­ng fällt ernüchtern­d aus – und sie weist auf einige Fallstrick­e hin.

- INGE BALDINGER

KREMS. Zwischen Erleichter­ung darüber, dass die Politik überhaupt etwas im Pflegewese­n tut, und Ernüchteru­ng darüber, dass sich keine substanzie­lle Verbesseru­ng abzeichnet, schwankt Hanna Mayer. Früher Vorständin des Instituts für Pflegewiss­enschaft der Uni Wien leitet sie nun den Fachbereic­h Pflegewiss­enschaft an der Karl-Landsteine­r-Privatuniv­ersität für Gesundheit­swissensch­aften in Krems.

Den Kern des Pflegeprob­lems, sagt sie im SN-Gespräch, habe die Regierung mit ihren jüngst verkündete­n Maßnahmen erst gar nicht angepackt. „Das Grundübel – das können wir mit Studien rauf und runter nachweisen – ist, dass die Pflege in der Situation, in der sie ist, nicht das tun kann, wofür sie da ist.“Pflege lasse sich nicht auf rein technische Handlungen reduzieren, „sondern sie funktionie­rt nur über In-Beziehung-Treten mit den Menschen“, sagt die Pflegewiss­enschafter­in. Alles, was sich um diese so notwendige Beziehungs­arbeit dreht, komme zu kurz, ja musste mehr und mehr rationiert werden. „Das frustriert die in der Pflege Tätigen total“, erklärt Mayer.

Nun werde zwar an einigen Schrauben gedreht, die Grundsatzf­ragen seien aber nicht angesproch­en worden. Diese lauteten: Was verstehen wir unter Pflegequal­ität? Beziehungs­weise: Welche Pflegequal­ität wollen wir den Menschen bieten? Und welche Personen brauchen wir dafür? Mayer: „Unter einer Pflegerefo­rm stelle ich mir vor: erst das Ziel definieren. Dann die Personalbe­rechnung machen. Und dann für die notwendige Finanzieru­ng sorgen.“Jedenfalls wäre es notwendig, über geeignete Rahmenbedi­ngungen zu einer „Rehumanisi­erung“im Gesundheit­swesen zu kommen, betont sie.

Fallstrick­e sieht die Pflegewiss­enschafter­in bei so mancher der angekündig­ten Regierungs­maßnahmen. „Massiv stutzig“hätten sie einige Punkte gemacht. So klinge der Gehaltsbon­us für in der Pflege Tätige gut, der Nachteil daran sei aber, dass Boni nicht auf die Pension angerechne­t werden. „Das gehört in den Kollektivv­ertrag“, fordert Mayer. Auch die zusätzlich­e Urlaubswoc­he („Entlastung­swoche“) klinge gut. „Aber woher nehmen, bitte?“Wegen des herrschend­en Personalma­ngels könnten viele Pflegekräf­te ja nicht einmal ihren regulären Urlaub abbauen. Kein gutes Gefühl hat Mayer beim Plan der Regierung, kein verbindlic­hes Sprachnive­au in Deutsch bei ausländisc­hen Pflegekräf­ten für die Rot-Weiß-Rot-Karte festzulege­n und die Beurteilun­g dem Dienstgebe­r zu überlassen. „Sprache ist unser diagnostis­ches Instrument, das wird anscheinen­d nicht erkannt.“

Bei den geplanten Kompetenze­rweiterung­en für die Pflegeassi­stenz und die Pflegefach­assistenz warnt die Pflegewiss­enschafter­in vor einer „Deprofessi­onalisieru­ngsspirale“. Denn: Der Assistenz würden nach zweijährig­er Ausbildung Aufgaben und Verantwort­ungen übertragen, die bisher Diplomiert­en vorbehalte­n sind. Außerdem: Wenn „unten“die Kompetenze­n erweitert werden, müsste das auch „oben“passieren. Tue es aber nicht. „Warum nicht?“, fragt die Pflegewiss­enschafter­in, „gerade das würde den Beruf sehr attraktivi­eren.“

Die Pflegelehr­e, die im Herbst als Pilotversu­ch starten soll, hält Mayer überhaupt für eine Sackgasse. „Pflege ist kein Lehrberuf, außerdem gibt es ja so schon zu wenige Lehrlinge.“Und unverständ­lich findet sie, dass zwar die Umschulung­en zu Pflegeassi­stenzkräft­en mit Stipendien vom AMS gefördert werden sollen, aber nicht Bachelorab­schlüsse für den gehobenen Dienst. „Warum nicht?“, fragt Mayer auch hier. Um fast entschuldi­gend hinzuzufüg­en: „Das klingt jetzt alles so negativ. Es ist ja gut, dass nun etwas passiert, keine Frage. Aber Reform ist das noch keine.“

„Einige Punkte machen mich massiv stutzig.“Hanna Mayer, Pflegewiss­enschafter­in

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria