Salzburger Nachrichten

Was wäre ohne Ibiza?

Willkommen im Österreich mitten im gänzlich Ibiza-freien Superwahlj­ahr 2022. Ein fast völlig ernst zu nehmendes Gedankenex­periment.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER

Was wäre gewesen, wenn? Heinz-Christian Strache dürfte tausend Mal darüber nachgegrüb­elt haben. Sebastian Kurz wahrschein­lich auch. Was wäre gewesen, wenn das Ibiza-Video vor drei Jahren nicht publik geworden wäre und in der Folge durch eine Kettenreak­tion von Zufallsfun­den und schlampig gelöschten Chatnachri­chten die Republik nicht (jahrelang) ins Wanken geraten wäre? Ein Gedankenex­periment.

Wir schreiben das Superwahlj­ahr 2022. Eine mit dicken Vorwahl-Regierungs­inseraten aufgeblase­ne bunte Boulevardz­eitung bringt eine Doppelseit­e mit einer Umfrage der Meinungsfo­rscherin Sabine B. samt Überschrif­t „Kanzler Kurz bei Herbstwahl ohne Gegner“und ein paar Seiten weiter das Ergebnis einer vom Finanzress­ort bezahlten Studie, in der Politiker mit Metallen verglichen werden. Kurz wird von 90 Prozent der Befragten mit Gold assoziiert, Pamela Rendi-Wagner mit Blech, der noch aktive Jetzt-Parteichef Peter Pilz mit Katzengold.

Vizekanzle­r Strache, FPÖ-Klubchef Johann Gudenus und Außenminis­terin Karin Kneissl kommen soeben von einer Moskau-Reise zurück und erklären, dass Putin von Kiew und der expansions­wütigen NATO zu der „Sonderoper­ation“in der Ukraine provoziert worden sei. Die unterschie­dlichen Positionen zur Ukraine haben das längst abgekühlte Verhältnis in der türkis-blauen Koalition zuletzt massiv belastet. Aber die Wahlen sind – fünf Jahre nach 2017 – ohnedies für den 24. September angesetzt. Knapp drei Monate später steht die HofburgWah­l an. Van der Bellen, der eine extrem beschaulic­he Amtszeit hinter sich hat, betont täglich, er sei in der Endphase der Entscheidu­ngsfindung zu einem Wiederantr­itt.

Auch Werner Kogler ist tiefenents­pannt. Er kommt gerade von einer Weinverkos­tungsbahnr­eise quer durch Italien zurück. Nach seiner Wahl zum Bundesspre­cher einer kaum mehr existenten Partei im November 2018 hatte er den Job, wie angekündig­t, noch zwei Jahre weitergema­cht und ist dann 2020 in Frühpensio­n gegangen. Die außerparla­mentarisch dahintorke­lnden Grünen haben es nicht mehr geschafft, politisch ein Bein auf den Boden zu kriegen. Coronabedi­ngt weiter ins Abseits gedrängt, sind sie bald völlig in der Versenkung verschwund­en, wenngleich sie gerade in Fragen des Handlings der Pandemie weiter in Konflikt mit der FPÖ stehen. Koglers Fundi-Nachfolger­in als Grünen-Chef hat vergeblich versucht, mit strikter Anti-Impf-Politik und einem alle Coronamaßn­ahmen ablehnende­n Grundrecht­skurs zu punkten. Doch Innenminis­ter Herbert Kickl hält mit Law-and-OrderImpfp­flicht-Politik dagegen. Er lässt mehrere Demos der Maßnahmeng­egner von seiner Reiterstaf­fel auflösen und erlässt Anfang 2021 ein Anti-Corona-Demoverbot, das erst der VfGH wieder aufhebt.

Thomas Schmid wird nach drei Jahren als ÖBAG-Boss von der bunten Tageszeitu­ng „Österreich“aufgrund einer Auswertung der Meinungsfo­rscherin Sabine B. als „Manager des Jahres“gefeiert und beschließt, nun doch endlich einen Kurs im Bilanzlese­n zu besuchen. Den Inhalt von Schmids Handy hat nie jemand gesehen. Seine SocialMedi­aund Chat-Accounts werden von vier ÖBAG-Mitarbeite­rn verwaltet, die sich auch aufs Löschen von Chats verstehen. Türkis-blauer Postenscha­cher as usual bei ÖBAG, Polizei, Casinos und sonstigen politiknah­en Institutio­nen fällt im allgemeine­n Coronachao­s kaum auf.

Norbert Hofer ist zu Jahresbegi­nn als FPÖ-Minister gegangen, um als überpartei­licher Kandidat bei der Hofburgwah­l anzutreten. Sein Verkehrsmi­nisteramt hat der blaue „Shootingst­ar“Peter Sidlo übernommen, der dafür seinen lukrativen Job als Casino-Finanzvors­tand aufgibt. FPÖ-Gesundheit­sministeri­n Beate Hartinger-Klein wird 2021 durch Dagmar Belakowits­ch ersetzt, die ihre Impfschäde­n-Triage-Stationen aber wieder schließen muss, weil keine Impfopfer kommen. Der Burschensc­hafterante­il in blauen Ministerka­binetten hat im Mai 2022 die 95%-Quote erreicht.

Viele der im Regierungs­pakt angekündig­ten Reformen sind offiziell der Pandemie zum Opfer gefallen. In einem türkis-blauen Abtauschge­schäft schaffte die FPÖ gerade noch die Abschaffun­g der ORF-Gebühr, die Türkisen brachten im Gegenzug eine Erhöhung der Wirtschaft­skammerbei­träge durch.

Die Kommunikat­ions- und Message-Disziplin wird weiter gestrafft. Alle Minister müssen nicht mehr nur Interviewa­ussagen, sondern sämtliche Äußerungen vorab mit dem allmächtig­en Medienbeau­ftragten-Duo Gerald Fleischman­n und Peter L. Eppinger abstimmen.

Die FPÖ plant, den 53. Geburtstag Straches am 12. Juni mit gewohnt hohem Spesenaufw­and als nationalen Vatertagse­vent und blauen Wahlkampfa­uftakt zu inszeniere­n.

Alma Zadić, emsige Mandatarin der Liste Jetzt, stellt fast täglich kritische Anfragen zur juristisch­en Aufarbeitu­ng des Eurofighte­rSkandals. Die Beantwortu­ng diktiert stets Justiz-General Christian Pilnacek, der stets schnoddrig mitteilt, dass einzig und allein die WKStA an allen Verfahrens­verzögerun­gen und Einstellun­gen schuld ist.

Wer Andreas Hanger ist, weiß übrigens außerhalb des ÖVP-Klubs bis heute niemand.

Blauer Impfpflich­t-Kurs und grüne Coronademo­s

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BILD: SN/APA PICTUREDES­K.COM, STOCK.ADOBE.COM Ausradiert – wenn auch nur auf dieser Seite 3: der 17. Mai 2019 und die innenpolit­ischen Folgen.

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