Der Brexit holt Boris Johnson ein
Der britische Premier hat seit Neuestem nicht nur mit Brüssel ein Problem. Geschaffen hat er es höchstpersönlich.
Als die britische Außenministerin Liz Truss das weitere Vorgehen der Regierung in Nordirland umriss, waren die Reihen im britischen Parlament nur halb gefüllt. Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Provinz sahen darin womöglich einen Eindruck bestätigt. Nämlich, dass man sich in London nicht wirklich für sie interessiert.
Truss jedoch behauptete am Dienstag das Gegenteil: Man könne nicht länger warten, um die Probleme zu lösen. Zu den Forderungen, die London gegenüber Brüssel so schnell wie möglich durchboxen will, gehört vor allem der freie Fluss von Waren von der britischen Insel in die Provinz Nordirland.
Das aber verhindert das von Premier Boris Johnson persönlich ausverhandelte Nordirland-Protokoll. Es ist Teil des Brexit-Vertrags und völkerrechtlich verbindlich.
Die britische Regierung werde in den nächsten Wochen ein Gesetzgebungsverfahren einleiten, um notfalls einseitig das Protokoll auszuhebeln, kündigte Truss an. Das wäre ein glatter Vertragsbruch. Er würde den gesamten Brexit-Deal infrage stellen und könnte Gegenmaßnahmen der EU auslösen. Einen Handelskrieg mit dem europäischen Bündnis wolle man aber vermeiden, betonte die Ministerin und folgte einer tags zuvor veröffentlichten Vorgabe ihres Chefs.
Der ist auf der Suche nach einer Lösung in einer schier ausweglosen Lage. Denn bevor es keine grundlegenden Änderungen des Nordirland-Protokolls gibt, boykottiert die unionistische Democratic Unionist Party (DUP) in Nordirland die vorgesehene Regierungsbildung mit der nationalistischen Sinn-FéinPartei. Sie wurde bei den Wahlen Anfang Mai erstmals stärkste Kraft in Nordirland. Die Zeit des Redens sei vorbei, sagte DUP-Chef Jeffrey Donaldson in Richtung London. Das Protokoll untergrabe die Position der Provinz innerhalb des Vereinigten Königreichs. Sinn Féin dagegen und mit ihr die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler kann sich durchaus mit dem Protokoll abfinden. Sie hoffen letztlich auf eine Wiedervereinigung mir der Republik Irland – und eine Rückkehr in die EU. Ein Gräuel für die DUP und Brexit-Cheerleader Johnson.
Im Nordirland-Protokoll wurde die Zollgrenze zwischen Nordirland und der britischen Insel in die Irische See verlegt, um sichtbare Kontrollen zwischen Nordirland und Irland zu verhindern und so den Frieden in der Provinz zu sichern. Johnson selbst hatte den Vertrag mit Brüssel 2019 ausgehandelt und unterschrieben. „Eine gute Vereinbarung mit einem Minimum an bürokratischen Konsequenzen“, jubelte er öffentlichkeitswirksam.
Dann aber verschob er die Umsetzung immer wieder auch nach Zugeständnissen der EU. Jetzt fordert die DUP weitreichende Änderungen. Bis dahin werde sie keinen Vizeministerpräsidenten stellen und die Konstituierung des neuen Parlaments verhindern. Für die Region bedeutet das: Stillstand.
Um die Wogen zu glätten, bemühte sich Johnson am Montag nach Belfast. Bei seiner Ankunft wurde er von Demonstranten mit Buhrufen begrüßt. Überrascht hat das kaum. Schließlich hatte er noch 2020 betont, dass es eine Grenze in der Irischen See nur über seine Leiche geben werde.
Auf der anderen Seite stehen diejenigen in Nordirland, die an dem Protokoll festhalten wollen. Es habe der Wirtschaft im Vergleich zum Rest des Vereinigten Königreichs Vorteile gebracht, wie Stephen Kelly von Manufacturing Northern Ireland (MNI) betont. Denn schließlich habe Nordirland weiterhin vollen Zugang zum Binnenmarkt der EU und dies mache die Nachteile durch Kontrollen der Einfuhren aus der britischen Insel wett. Vor allem betroffen sind Nahrungsmittel und lebende Tiere.
Und Johnson selbst? Er habe nicht damit gerechnet, dass die EU den Vertrag so „drakonisch“anwende, meinte er in der BBC.