Strauss darf auch wie „Star Wars“klingen
Andris Nelsons realisierte mit Orchestern aus Boston und Leipzig ein Großprojekt: die Einspielung aller Tondichtungen von Richard Strauss.
Im Programm der kommenden Osterfestspiele Salzburg, deren musikalische Leitung Andris Nelsons im Alleingang bewältigen wird, fehlt ein Name: Richard Strauss. Womöglich hat Nelsons den bayerischen Komponisten, dessen opulent besetzte Werke sich bekanntermaßen ideal für das Große Festspielhaus eignen, bewusst ausgespart. Schließlich bestimmt Strauss Nelsons’ gegenwärtige Agenda. Der Chefdirigent des Gewandhausorchesters Leipzig und des Boston Symphony Orchestra hat für den Frühling eine ParallelTournee beider Klangkörper durch Europa eingeplant, die sämtliche Tondichtungen umfasst.
Auch wenn das Orchester aus Boston die Reise über den großen Teich pandemiebedingt absagte, lässt sich das Strauss-Projekt in seiner Gesamtheit erleben. Nelsons hat eine Einspielung des riesigen Werkkomplexes gestemmt, die nun in einer Box auf sieben (!) CDs erschienen ist. Den Kern bilden die symphonischen Dichtungen, die – abgesehen von der populären „Alpensinfonie“aus 1915 – noch vor den großen Opern entstanden sind. Acht der neun Werke, die im Genre der spätromantischen Programmmusik neue Maßstäbe setzten, schuf Richard Strauss zwischen 1886 und 1898. Im Kontext einer Gesamtaufnahme lassen sich viele Bezüge zwischen diesen Werken aufspüren.
Wie Richard Strauss in dieser Schaffensphase bereits die späteren expressionistischen Grenzgänge von „Salome“und „Elektra“austestet, zeichnet Nelsons mit dem luxuriösen Klangpotenzial zweier Spitzenorchester eindrucksvoll nach. Bereits in der Tondichtung „Macbeth“werden Klangwirkungen erzielt, die man so noch nicht gehört hat. Obwohl das Frühwerk noch einer tonalen Klangwelt angehört, bereichert der feinnervig oszillierende Klang des Gewandhausorchesters die düstere Dramatik.
Zehn Jahre später wird bereits im „Don Quixote“ein anderer Ton angeschlagen. Orchesterflächen überschreiten die Grenzen zur Atonalität, Andris Nelsons spitzt diese Reibungen kompromisslos zu. Solist Yo-Yo Ma wiederum entlockt seinem Cello Klänge von maschineller rhythmischer Kraft. Das Boston Symphony Orchestra lässt diese Musik glitzern und funkeln, dass man sich – etwa in der gleißenden Brillanz der Blechbläser – an die effektreiche „Star Wars“-Filmmusik erinnert fühlt.
Auch das ist ein hörenswerter Aspekt des Projekts: die unterschiedlichen Strauss-Zugänge, der US-amerikanische Orchesterklangs mit seiner Präzision und Dynamik auf der einen und die warme, sinnliche Klangkultur eines mitteleuropäischen Klangkörpers auf der anderen Seite. Das verbindende Element bildet Andris Nelsons, der kraft seines Gespürs für Struktur und seines Gestaltungswillens eine Musik ganz natürlich fließen lässt, die sonst oftmals bockig und verschnörkelt klingt. Wie auch in seinen Bruckner-, Mahlerund Schostakowitsch-Interpretationen vermag der Dirigent zudem große Bögen zu spannen, was in dieser kleinteiligen Klangwelt umso bemerkenswerter ist.
Richard Strauss selbst hinterließ als Dirigent sowohl in Leipzig als auch in Boston Spuren. Beide Orchester dürfen in diesem Repertoire gewissermaßen das Originalklang-Gütesiegel für sich beanspruchen. 1932 etwa dirigierte Bruno Walter in Leipzig die Uraufführung der „Schlagobers“-Suite. Das Werk zählt zu den Raritäten, die diese in vielerlei Hinsicht massive Strauss-Box komplettieren.
CD-Box: „Strauss“, Gewandhausorchester Leipzig, Boston Symphony Orchestra, Andris Nelsons, 7 CDs (Deutsche Grammophon). Live: Wien, Musikverein, 25. und 26. Mai.
Richard Strauss hat beide Orchester dirigiert