Gerichtsstreit wird zur Reality Soap
Sensationslust pur: Der Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard ist ein von Dutzenden Kameras permanent begleitetes Medienspektakel. Warum so eine öffentliche Schlammschlacht in Österreich nicht möglich wäre.
Jede mimische Veränderung, jede Geste der Akteure, jede Handbewegung in Richtung Kopf wird vom Klicken der Fotokameras begleitet. Die zahlreichen Videokameras im Gerichtssaal sind ohnehin ständig auf die sich einst Liebenden, die heute Kontrahenten sind, gerichtet: Hollywoodstar Johnny Depp und seine Ex-Frau, die Schauspielerin Amber Heard.
Spätestens hier, im Gericht des Bezirks Fairfax (Virginia), sind die beiden öffentliche Personen. Seit Wochen wird im Verleumdungsprozess höchst private Schmutzwäsche gewaschen, ein Vorgang, der via Sender Court TV in amerikanische Wohnzimmer und über den YouTube-Kanal „Law & Crime Network“in alle Welt übertragen wird – live. Die Schlammschlacht, die keine moralische Grenzen zu kennen scheint, befeuert zudem die sozialen Medien, in denen Spott, Häme,
Beschimpfungen und Vorverurteilungen gang und gäbe sind. Depp versus Heard, das ist abseits all der traurigen bis ungustiösen Szenen einer Ehe auch ein Sittenbild amerikanischer Gerichtsöffentlichkeit. Ein Zivilprozess, der eigentlich die Frage klären soll, ob Depp von Heard als Ehemann mit Hang zu Missbrauch und häuslicher Gewalt dargestellt werden darf, avanciert zu einer mit True-Crime-Elementen gespickten Reality-Soap für Millionen. Kurzum: Voyeurismusfestspiele mit eingeschriebener Lagerbildung und Empörungskultur der Konsumentenschaft.
„In Amerika werden Gerichtsprozesse schon lange als Medienspektakel inszeniert“, sagt der Salzburger Rechtsanwalt und Medienexperte Stephan Kliemstein und spricht von einer „regelrechten Sensationslust“: „Man erinnere sich etwa an die Verhandlungen gegen O. J. Simpson oder gegen Michael Jackson. Durch die sozialen Medien und die mangelnde Regulierung des Internets verbreiten sich solche Berichte mittlerweile noch viel rascher als bisher. Sie werden kommentiert, ins Lächerliche gezogen oder mit Unwahrheiten versehen.“
Ob so etwas auch in Österreich möglich wäre? Der Medienanwalt verneint: Während in den USA LiveÜbertragungen von Gerichtsverhandlungen üblich seien, seien sie bei uns nach wie vor verboten. Im Mediengesetz finde sich dazu die Regel, dass „Fernseh- und Hörfunkaufnahmen und -übertragungen sowie Film- und Fotoaufnahmen von Verhandlungen der Gerichte“unzulässig sind. Wie Kliemstein die Rolle der Geschworenen in so einem Szenario beurteilt? „Für Gerichte und Anwälte – aber insbesondere auch für Laienrichter – ist die mediale oder gesellschaftliche Vorverurteilung ein schwieriges Thema.“Dies habe schon der Fall des Ex-Wetter-Moderators Jörg Kachelmann in Deutschland gezeigt. Natürlich habe das Medienspektakel Auswirkung auf Geschworene, auch wenn stets versucht werde, diese von der Öffentlichkeit und damit von der öffentlichen Meinung abzuschirmen: „Doch das gelingt eben nicht immer.“
Wie mehrfach berichtet, hält Depp seiner Ex-Frau vor, in einem 2018 von der „Washington Post“veröffentlichten Kommentar zum Thema häusliche Gewalt falsche Aussagen gemacht zu haben. Dies habe seinem Ruf geschadet. Wegen Verleumdung klagte Depp auf rund 50 Millionen Dollar (48,15 Mill. Euro) Schadenersatz, Heard hat eine Gegenklage auf 100 Millionen Dollar eingereicht. Und wie sieht die
Lage österreichischer Medien, die pikante Details aus diesem Prozess berichten, aus? Könnten sie verklagt werden? „Sofern die Öffentlichkeit in einem Prozess nicht ausgeschlossen wurde, sind wahrheitsgemäße Berichte grundsätzlich erlaubt“, sagt Kliemstein. Es bedürfe aber stets einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Eingriff in das Privatleben einer Person. In Salzburg wurde etwa die Öffentlichkeit in einem Verfahren ausgeschlossen, in dem es unter anderem um den Gesundheitszustand des Schauspielers Helmut Berger ging.
Auswege aus dem sichtbar gewordenen Dilemma? Letztlich müsste der Gesetzgeber regulierend eingreifen, betont Kliemstein. Oder die Konsumenten ändern ihr Sehund Leseverhalten. Mit Blick auf den Wunsch vieler, Informationen immer rascher, überall und jederzeit zu bekommen, hält der Experte Letzteres für unwahrscheinlich.
„Aus dem Fall Depp gegen Heard wird purer Klamauk – es ist grotesk.“
Stephan Kliemstein, Medienanwalt