Bedrohung mit vielen schönen Urviechern
MAGDALENA MIEDL
Auf einem Hochzeitsvideo krallt sich ein Pterodaktylus eine der weißen Tauben aus der Luft, eine Auto-Dashcam fängt einen Stegosaurus ein, bevor der Wagen von der Straße abkommt und in die Tiefe stürzt: Die privaten Videos, die offenbar von Menschen auf der ganzen Welt aufgenommen wurden und den Beginn von Colin Trevorrows „Jurassic World: Ein neues Zeitalter“bilden, sind aberwitzig. Der späte Nachzügler von „Jurassic Park“spielt in einer Welt, in der Saurier so alltäglich sind wie Rehe und Waschbären, wenn auch wesentlich gefährlicher. Mit den Sauriern leben lernen ist die neue Devise, die irgendwie vertraut klingt.
Ohne Dinosaurier wäre die Popkultur der letzten dreißig Jahre undenkbar: Ungezählte Schulkinder verbrachten die Neunziger damit, Sauriersammelkarten zu tauschen, mit T-Rex-Füllfedern in Brontosaurierhefte zu schreiben, sich paläontologisch fortzubilden, und ihre Eltern so sehr damit zu nerven, dass die bis heute auf das Präfix „Dino-“allergisch reagieren.
Schuld waren Michael Crichton und Steven Spielberg mit „Jurassic Park“: In Crichtons Vorlage wie in Spielbergs Kinofilm von 1993 klonten Wissenschafter aus SaurierDNS, die im Magen von Stechmücken in Bernstein überdauert hatte, echte Dinos, und setzten sie auf der Südseeinsel Isla Nublar aus. Ein findiger Geschäftsmann errichtete daraufhin einen Abenteuerpark auf der Insel, doch weil menschlicher Hochmut bestraft gehört, brachen die Urviecher aus ihren Gehegen aus und gingen auf Menschenjagd, wie Paläobotanikerin Ellie Sattler (gespielt von Laura Dern), Paläontologe Alan Grant (Sam Neill) und Mathematiker Ian Malcolm (Jeff Goldblum) hautnah zu spüren bekamen.
29 Jahre, fünf Fortsetzungen, diverse Trickfilmserien, absurde Lego-Spin-offs und Computerspiele später kommt nun das Finale des Jurassic-Franchise
ins Kino: „Jurassic World: Ein neues Zeitalter“spielt dreißig Jahre nach den ersten Ereignissen auf der Isla Nublar und fünf Jahre nach „Jurassic World: Das gefallene Königreich“(2018).
Die Welt ist seither eine andere, Saurier sind allgegenwärtig geworden. Auch der Jurassic-Park-Nachfolger Jurassic World war gescheitert, nicht zuletzt deswegen, weil der Vergnügungspark in Wahrheit eine Deckorganisation für die Züchtung genmanipulierter Killerraptoren war, die für den internationalen Waffenhandel bestimmt waren. Maisie (Isabella Sermon), die neugierige Enkelin des tattergreisigen Unternehmensbesitzers, entpuppte sich zu aller Entsetzen als Klon ihrer verstorbenen Mutter, womit klar war, dass die Genmanipuliererei ein für alle Mal zu weit gegangen war. Und endgültig vorbei war es mit dem Dino-Lebensraum auf der Insel dann, als ein Vulkan ausbrach und das Überleben der Saurier bedrohte. Dabei war aus der einst kaltschnäuzigen Vergnügungspark-Managerin Claire Dearing (Bryce Dallas Howard) eine Dino-Freundin geworden, die gemeinsam mit Maisie am Ende aus Sympathie zu den ebenfalls durch Gentechnik wiedergeborenen Dinos alle Saurier in die Welt entließ.
Inzwischen wohnt Maisie mit Claire und dem naturburschigen Saurier-Dompteur Owen Grady (Chris Pratt) als Ersatzeltern im gebirgigen Nirgendwo von Montana, in einer Gegenwart, in der Saurier zu dauerpräsenten Zivilisationsfolgern geworden sind. Nur dass sie immer daheim bleiben soll, weil schon ein Ausflug in die nächste Stadt gefährlich sein soll, leuchtet ihr naturgemäß nicht ein, doch es sind ihr tatsächlich Menschenhändler auf der Spur – denn in ihrem Erbgut verbirgt sich unschätzbar wertvolles Wissen.
Zugleich dräut eine Katastrophe: Schwärme überdimensionaler Heuschrecken fallen über die Felder der Erde her und fressen jede Pflanze, die nicht aus der Produktion eines Konzerns namens Biosyn stammt. Dabei wirbt Biosyn damit, besonders um das Wohlergehen von Natur und Menschheit besorgt zu sein, in einem Saurier-Reservat in den italienischen Dolomiten forschen Wissenschafterinnen und Wissenschafter an Dino-Genen, vorgeblich, um Krebs und Welthunger auszurotten. Doch Ellie Sattler zweifelt an den hehren Motiven des Konzernchefs, der Ian Malcolm als Haus-Philosophen engagiert hat, und reist mit ihrem alten Kollegen Alan Grant an, um der Sache auf den Grund zu gehen.
„Jurassic World: Ein neues Zeitalter“holt das alte und das neue Jurassic-Team zusammen, in einer kompliziert geklöppelten Dramaturgie, die sehr viel Exposition braucht, um endlich zum Eingemachten zu kommen, nämlich zu den vielen schönen Urviechern, die einander und die Menschen in allerschönster Geisterbahn-Manier bedrohen. Die ganze Bioethik-Debatte beiseite, die schon im Kern von Crichtons Vorlage angelegt war, vor allem geht es doch um die Saurier, von denen hier endlich einige auch gefiedert sein dürfen – die allerersten fossilen Dinosaurierskelette mit Federn wurden erst 1996 entdeckt, drei Jahre nach dem ersten Film. Dass es jetzt zu Ende sein soll, ist eigentlich schade.
Film:
Jurassic World: Ein neues Zeitalter. Action, USA 2022. Regie: Colin Trevorrow. Mit Bryce Dallas Howard, Chris Pratt, Laura Dern u. a. Start: 8. 6.