EU-Parlament fasst historische Klimabeschlüsse
Die Beschlüsse gelten als historisch. Das Europaparlament in Straßburg stimmt über das bisher größte Maßnahmenpaket gegen die Erderwärmung ab.
Das EU-Parlament legt sich am Mittwoch fest, wie die Klimaziele der EU erreicht werden sollen. Es handelt sich um das größte Maßnahmenpaket gegen die Erderwärmung, das jemals in der europäischen Volksvertretung zur Abstimmung stand.
Es geht unter anderem darum, ob der Verbrennungsmotor 2035 vollständig oder nur fast Geschichte sein soll. Das ist die symbolträchtigste Entscheidung.
Die Abgeordneten seien im Vorfeld mit einem „Tsunami an Lobbyismus“konfrontiert gewesen. So schilderte Pascal Canfin, der Vorsitzende des Umweltausschusses, die vergangenen Wochen und Monate. Denn die Beschlüsse im Parlament in Straßburg tangieren die Interessen aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Gruppen – vom Privathaushalt bis zum Industrieunternehmen. So steht ein Sozialfonds zur Abfederung höherer Preise fürs Heizen, Fahren und Dämmen ebenso auf dem Programm wie die weltweite Premiere eines Einfuhrzolls auf Güter, die in Drittstaaten ohne Umweltauflagen billig produziert werden.
Das Parlament zurrt mit der Serie von Beschlüssen seine Verhandlungsposition fest. Ende des Monats wird der Rat der Mitgliedsstaaten dies ebenso tun. Danach werden die Verhandlungen darüber beginnen, mit welchen gesetzlich verankerten Maßnahmen die EU bis 2030 55 Prozent ihrer Treibhausgase einsparen kann. Denn darum geht es bei dem 4000 Seiten dicken „Fit for 55“-Paket. Die Kommission hat es als Vorschlag vor einem Jahr vorgelegt.
Über das grundsätzliche Ziel herrscht bei den Parteien – mit Ausnahme der ganz rechts stehenden – weitgehend Einigkeit. Unterschiede gibt es im Ausmaß der Ambition. So verhält es sich auch bei den Mitgliedsstaaten.
Am Mittwoch fallen wichtige Vorentscheidungen über die weitere Klimaschutzpolitik der EU. Das Europaparlament in Straßburg stimmt seine Position über eine Reihe von Kernvorhaben aus dem Klimaschutzpaket „Fit for 55“ab.
Der Name ist Programm: 55 Prozent weniger Emissionen bis 2030. Die Kommission hat dazu vor einem Jahr 16 Gesetzespakete vorgelegt. Bei gut der Hälfte legen sich die EUParlamentarier nun fest. Ende des Monats folgen die Staaten. Der große Schlussmarathon findet im Herbst statt. Dann verhandeln Parlament, der Rat der Staaten und die Kommission das endgültige Paket.
Verbrennungsmotor
Ab 2035 soll kein Pkw oder Kleintransporter mehr zugelassen werden, bei dem Treibhausgase aus dem Auspuff kommen. Das will man über verschärfte CO2-Normen erreichen. So hat es die Kommission vorgeschlagen. Es wäre das Ende des Verbrennungsmotors. Die größte Gruppe im EU-Parlament, die Europäische Volkspartei (EVP), will nur ein 90-prozentiges Aus – was wohl im Endeffekt wenig ändern würde. Es gehe um Technologiefreiheit, sagt Umweltsprecher Peter Liese (CDU). Sozialdemokraten, Grüne, Liberale und Linke halten dagegen. Hier solle der Autoindustrie geholfen werden. Es wird massiv lobbyiert, der Ausgang ist offen.
Privathaushalte
Die Kommission hat vorgeschlagen, den Handel mit Verschmutzungsrechten (Emission Trading System, kurz: ETS), der bisher nur für den Energiesektor und die Industrie gilt, auf Verkehr und Gebäude auszuweiten. Das ist umstritten. Sprit zum Fahren sowie Öl und Gas zum Heizen würden noch teurer. „Das ist sozial unakzeptabel“, sagt der Chef des Umweltausschusses, der französische Liberale Pascal Canfin.
Der Kompromiss: Nur Gewerbebetriebe werden ab 2025 in den ETS-Handel einbezogen, Private frühestens ab 2029. Eine Mehrheit ist sicher. In der Praxis würde das bedeuten: zwei Preise an der Zapfsäule, je nachdem ob ein Firmenwagen oder ein Privat-Pkw tankt. Wenig praktikabel, sagen Kritiker.
Sozialfonds
Um Privathaushalten den grünen Übergang zu erleichtern, soll es einen Sozialfonds geben. Die Kommission hatte mehr als 70 Milliarden Euro veranschlagt. Das Geld soll an die Mitgliedsstaaten gehen, die es an betroffene Gruppen weitergeben.
Problem Nummer 1: Das Geld soll aus dem ETS-Handel kommen. Wenn dieser aber nicht wie vorgesehen auf den gesamten Gebäudeund Verkehrssektor ausgedehnt wird, kommt weniger herein.
Problem Nummer 2: „Der Fonds muss zielgerichtet sein“, wie die belgische Grün-Abgeordnete Sara Matthieu sagt. Das heißt: keine Subventionierung von Gas oder Sprit, sondern Förderprogramme für Wärmepumpen, Solaranlagen und Gebäudedämmung.
CO2 -Grenzabgabe
Produzenten aus Drittstaaten mit laxen Umweltauflagen müssen beim Import ihrer Waren in die EU die Differenz zu den teureren EUProdukten zahlen. Das ist die Grundidee der CO2-Grenzabgabe. Sie soll die europäische Industrie vor Billigimporten schützen. Die Einführung ist unstrittig. Sie soll laut Pascal Canfin 2026 kommen. Es wäre eine weltweite Premiere.
Die Hoffnung: Andere Staaten wie die USA folgen.
Schluss mit Gratis
Heftig umstritten ist, wann Schluss sein soll mit den CO2-Gratiszertifikaten für die Industrie. Das sind derzeit mehr als 40 Prozent der im ETS gehandelten Zertifikate. Sie sind viel Geld wert: Die Tonne CO2 kostet derzeit rund 85 Euro.
Die Gratiszertifikate sollen bis 2030 auslaufen. Die Konservativen bremsen. Der Industrie dürften in Zeiten der hohen Energiepreise keine zusätzlichen Belastungen auferlegt werden, sagen sie.
Sozialdemokraten, Grüne und Liberale pochen auf ein früheres Ende der Gratiszertifikate. Ihr Argument: Mit der Einführung der CO2-Abgabe verlieren die Gratiszertifikate ihren Sinn.
Energie sparen
„Wohnungen zu isolieren bedeutet Putin zu isolieren.“Auf diesen Nenner bringt es der irische Grün-Abgeordnete Ciarán Cuffe. Es geht darum, den Ausstieg aus russischem Öl und Gas bis 2030 zu schaffen – und zwar durch Energieeffizienz und den Ausbau der Erneuerbaren. Die Kommission hat vorgeschlagen, die entsprechenden Ziele in zwei Richtlinien drastisch zu erhöhen. Auch das wird beschlossen.